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Die Schweiz, Land der grossen Pharma-Konzerne, versucht Startups einzubinden

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Shahram Ebadollahi, globaler Leiter Datenwissenschaft und KI bei Novartis, an der Intelligent Health AI conference in Basel. Dominique Soguel

Künstliche Intelligenz (KI) könnte für Spitäler Wunder bewirken: Präzisere Diagnosen, weniger Verwaltungsarbeit und mehr Zeit für Patienten und Patientinnen.  Die Schweiz ist gut positioniert, um eine Drehscheibe für KI im Gesundheitssektor zu sein, aber es gibt komplizierende Faktoren.

Maschinen können schon heute klinische Daten erfassen und synthetisieren, die früher in Tausenden von medizinischen Veröffentlichungen verstreut waren. Bots können Soziale Medien durchsuchen, um Anzeichen auf Selbstmordtendenzen in Online-Chats zu erkennen.

Algorithmen können Ansteckungen verfolgen, oder den Ausbruch seltener Krankheiten. Spracherkennungs-Software kann einen Dialog zwischen Arzt und Patient in Echtzeit protokollieren. Smartphone-Apps können dermatologische Zustände aus der Ferne bestimmen.

Die Schweiz verfügt über ein robustes “Ökosystem” mit einem grossen Pharma- und Life-Science-Sektor sowie über ehrgeizige Startups, die als Spinoffs aus Spitzenuniversitäten hervorgehen. Diese Konzentration von Innovatoren und Kapital ist nicht unbemerkt geblieben.

Es ist kein Zufall, dass Basel, die Heimat der Pharmariesen RocheExterner Link und NovartisExterner Link zwei Jahre hintereinander Gastgeber des Intelligent- Health-AI-GipfelsExterner Link ist. Startup-Zentren und Inkubator-Programme rund um KI und den Gesundheitssektor breiten sich im ganzen Land aus.

Fachleute warnen  jedoch, dass es Hindernisse gebe, die das Land in diesem Bereich zurückhielten. Einige stehen im Zusammenhang mit dem kleinen und fragmentierten Markt, andere beziehen sich auf die Unternehmenskultur.

“Wir machen kleinere Schritte”

“Das ist kein Silicon Valley”, erklärt Martin Pietrzyk, Direktor und Gründer von Unit8Externer Link, einem Startup, das KI-Lösungen für medizinische Unternehmen entwickelt. “In den USA denkt man wirklich, wirklich gross und global, vom ersten Tag an, während wir hier eher zurückhaltend sind. Wir machen kleinere Schritte.”

Eine der Ausnahmen ist MindmazeExterner Link, das heute über eine Milliarde Dollar wert ist, und dank einer bedeutenden Investition aus Indien vom Startup zum ersten Schweizer Unicorn wurde. Das Unternehmen ist ein Spinoff der Eidgenössischen Technischen Hochschule in LausanneExterner Link (EPFL). Eine derartige Entwicklungskurve bleibt jedoch eher die Ausnahme als die Norm.

Die Artificial Intelligence Startup MapExterner Link, eine Übersicht der Schweizer KI-Startup-Landschaft des Telekom-Anbieters Swisscom zeigt nur 20 Jungunternehmen in der Gesundheits- und Life-Science-Branche mit Sitz in der Schweiz, die einen klaren Fokus auf Künstliche Intelligenz und ein skalierbares Geschäftsmodell haben.

Die Website startup.chExterner Link führt 211 Unternehmen im Bereich Maschinenlernen/KI auf, sowie 75 im Bereich Digitale Gesundheit. Dies verglichen mit 146 Startups im Bereich Digitale Gesundheit in Israel, das in der von den USA und China dominierten KI-Landschaft als aufstrebender Stern gilt.

Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern ist die Schweiz ein Land mit einem kleinen Anteil von Startups, die sich mit Big Data und KI befassen. Zu diesem Schluss kam die Online-Plattform startupticker.chExterner Link, die eine Datenbank mit Angaben zu 4000 Startups analysiert hatte, die in verschiedenen Branchen in der Schweiz tätig sind. Demnach sind 14% aller Startups in den Sektoren Life-Science, Biotechnologie und Medizintechnik aktiv.

Dennoch sah Stefan Suter in seinem Heimatland klare Vorteile, was ihn motivierte, mit seiner Familie aus Singapur zurückzukehren und Curo-HealthExterner Link zu lancieren. “Die Steuern sind moderat. Die Arbeitskräfte gut ausgebildet. Der Ruf ist gut. Wann immer Sie mit einer Schweizer Visitenkarte irgendwo hingehen, hat dies einen hohen Stellenwert, vor allem in aufstrebenden Märkten. Es gibt nicht wirklich viele Nachteile.”

Stefan Suter
Stefan Suter , CEO von Curo-Health. Dominique Soguel

Steigende globale Anziehungskraft

Faraz Oloumi ist ein junger Mann aus Kanada an der Spitze eines Startups, das Software entwickelt, die darauf abzielt, vorherzusagen, ob eine Person wegen Netzhauterkrankungen erblinden wird oder nicht. Er verlegte sein Unternehmen letzten Januar in die Schweiz, als einer von drei erfolgreichen Bewerbern, die für das DayOne Startup-Accelerator-ProgrammExterner Link in Basel ausgewählt wurden.

Der von ihnen entwickelte Algorithmus, der an etwa 2500 Bildern getestet wurde, sei im Durchschnitt etwa fünf Prozent genauer als ein einzelner Arzt (eine Genauigkeit von 97% gegenüber 92%), erklärte Oloumi.

Der Standort Schweiz habe seinem Unternehmen AurteenExterner Link ermöglicht, viel rascher zu wachsen als zuvor in Kanada, sagte Oloumi. Und fügte hinzu, es sei einfach gewesen, seine Firma auch hier zu etablieren.

“Es gibt Unterstützung aus so vielen Richtungen: Technische Unterstützung, Mentoring, Geschäftsentwicklung, klinische Versuche, Regulatorisches, und sogar Investoren, die bereits in einem frühen Stadium Finanzmittel beschaffen”, erklärte der Gründer von Aurteen. Dennoch sei es sinnvoll, eine Basis in Kanada aufrecht zu erhalten, um für Forschungszwecke auf Daten zugreifen zu können.

Egle B. Thomas brachte ihre Erfahrungen aus Kalifornien in die Schweiz, wo sie heute als Coach bei DayOne arbeitet, einer von mehreren Innovations-Drehscheiben im Land. “Silicon Valley bietet sehr schnelles Wachstum und sehr gute Finanzierung für später. Ich denke aber, in der Anfangsphase gibt in der Schweiz mehr Inkubation und mehr Unterstützung. Es ist hier eher gemeinschaftsorientiert.”

Die weltweite Anziehungskraft der Schweiz zeigt sich im Bewerber-Pool von DayOne. Im letzten Jahr waren 33 von 59 Bewerbungen aus der Schweiz gekommen. Dieses Jahr waren es 19 von 125. Diese Zahlen reflektierten die verstärkten weltweiten Bemühungen bei der Öffentlichkeitsarbeit, wie Fabien Streiff, Direktor Innovation und Gesundheitswesen bei DayOne erklärte.

Bremsklötze: Daten und Geld

Streiff sieht in der Schweiz aber zwei Herausforderungen, wenn es um Digitale Gesundheit geht. Eine ist der Zugang zu grossen Datenmengen – wo grössere Länder einen natürlichen Vorteil haben – die andere ist die Marktplatzierung.

Während die Biotech-Industrie allgemein einen klaren Weg zum Markteintritt bietet, sieht Streiff den Weg in die Zukunft im Bereich Digitale Gesundheit etwas dunkler.

“Es gibt verschiedene Möglichkeiten, in den Markt einzusteigen, und das ist für die Startups eine Herausforderung”, erklärte er. So könnte zum Beispiel eine Firma eine KI-gesteuerte Lösung für den Einsatz in Bildgebung und Diagnose oder in der Medikamentenforschung erwerben.

Der Tech-Unternehmer Christopher Rudolf sagte, ein Gespräch mit dem Schweizer Botschafter in London während einer Veranstaltung, bei der es um Innovation bei Krankenversicherungen ging, habe ihn bewogen, sein Unternehmen Volv Global in der Schweiz zu gründen.

Beim ersten Projekt der im Biopôle-TechnoparkExterner Link in Lausanne angesiedelten Firma ging es darum, einem Pharma-Unternehmen bei der Identifizierung von zusätzlichen Patienten zu helfen, die an einer seltenen Krankheit litten – mit einer Prävalenzrate von eins zu einer Million –, die mit einem spezialisierten Medikament behandelt werden konnten.

Während die Ansiedlung seiner Firma in der Schweiz relativ reibungslos verlief, musste Rudolf feststellen, dass die Sicherung des Cashflows in der Anfangsphase eine Herausforderung war. “Wenn man eine Pipeline mit anstehenden Geschäften hat und damit zur Bank geht, heisst es: ‘Tut uns leid, wir können Ihnen nicht helfen. Ihre Firma ist noch nicht zwei Jahre alt'”, erklärte er. “In Grossbritannien wäre das ganz anders.”

Eine weitere Herausforderung ist das fragmentierte Schweizer Gesundheitssystem. Es gibt im ganzen Land 60 Krankenversicherer, denen es schlicht an Anreiz für umfassende Veränderungen fehle, sagte Rudolf.

Kontakt zu Pharmariesen etablieren – nicht immer einfach

Die hohe Konzentration von Pharma-Unternehmen in der Schweiz bietet jedoch Chancen.

“Die Pharmabranche ist eine wichtige Kundenbasis für uns, und es gibt nicht viele bessere Standorte als die Schweiz allgemein und Basel selbst”, erklärte Suter, der Gründer von CuroHealth.

Er weist darauf hin, die Zusammenarbeit mit Novartis habe seiner Glaubwürdigkeit beim Aufbau von anderen Geschäftsbeziehungen in der Pharmabranche geholfen. Andere Startup-Gründer, die sich nicht offiziell äussern wollten, erklärten gegenüber swissinfo.ch jedoch, es sei oft schwierig, die Aufmerksamkeit der grossen Pharma-Konzerne in der Schweiz auf sich zu lenken. Und einige sagten, falls sie einen Fuss in der Tür hätten, würden sie sich Sorgen machen, dass ihre Ideen kopiert würden.

Shahram EbadollahiExterner Link, globaler Leiter Datenwissenschaft und KI bei Novartis, räumt ein, dass ein Unternehmen wie seines für kleinere Firmen etwas “wie ein Elefant” wirken kann.

“Es könnte für ein Startup schwierig sein, zu wissen, mit welcher Abteilung des Unternehmens es in Verbindung treten sollte”, erklärt Ebdalollah, der über einen technischen Hintergrund verfügt. Im letzten Jahr gründete der Konzern BiomeExterner Link, ein Netzwerk, das Novartis-Geschäftsteams helfen soll bei der Entwicklung von skalierbaren digitalen Programmen mit strategischen Partnern, einschliesslich kleiner Startups, um die Zusammenarbeit mit dem Pharmariesen zu erleichtern.

Der Konkurrent Roche seinerseits initiierte in München einen Accelerator für Startups im Bereich Digitale GesundheitExterner Link und unterstützt das Startup-Unterstützungsprogramm BaseLaunchExterner Link in der Schweiz.

“Wir haben die Leute, [aber] manchmal ist es einfach schwierig für sie, rasch genug zu wachsen”, sagt Marc Stampfli, Vertriebsleiter Schweiz bei NVIDIAExterner Link, einem Unternehmen, das mehr als 1800 AI-Startups in Europa mit einem Accelerator-Programm unterstützt. Er lehnte es ab, offenzulegen, wie viele Startups das Unternehmen in dem Alpenland unterstützt.

“Das Interessante am Deep Learning ist, dass es nicht nur grosse Unternehmen tun können”, erklärt Stampfli. “Hat er seine eigene einzigartige Nische, kann es auch ein kleiner Betrieb weltweit nutzen, um zum grössten Akteur in einem bestimmten Bereich zu werden.”

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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