
Emma Jung: Die Frau von C.G. Jung tauchte ins Unbewusste

In Zürich widmet das Geburtshaus des Dadaismus Emma Jung eine Ausstellung. Die Psychoanalytikerin und Künstlerin fürchtete schon 1911, dass sie neben C.G. Jung unbeachtet bleibt. Über 100 Jahre später wird sie gewürdigt.
2025 wird der 150. Geburtsjahr des Schweizer Psychoanalytikers Carl Gustav Jung gefeiert. Sigmund Freud betrachtete ihn lange als seinen Nachfolger – dann kam es zum Eklat: Jung fand, Freuds Psychologie sei zu stark auf Sexualität fixiert. 1913 hatte C.G. Jung mit Freud gebrochen.
Zum Bruch wäre es wohl auch ohne Zwist in der Psychoanalyse gekommen – wegen Jungs antisemitischen Ansichten und seiner Anbiederung an die NationalsozialistenExterner Link. So wollte er sich eine Stellung im künftigen deutschen Sprachraum sichern – gegen die von ihm als «jüdisch» bezeichnete Psychoanalyse Freuds.
«Der Jude», so schrieb Jung bereits 1918 im Aufsatz «Über das Unbewusste», zeige eine bedenkliche Entfernung von der Natur, er sei wurzellos und habe nichts in sich, «das die Erde berührt».
Diese problematische Abkehr von der inneren Natur sah er auch bei anderen: Sie kehre wieder «in verfälschter, verzerrter Form zum Beispiel als Tango-Epidemie, als Futurismus, Dadaismus und was wir sonst noch an Verrücktheiten und Geschmacklosigkeiten aufweisen können.»
Nun lädt das Cabaret Voltaire, das Geburtshaus des Dadaismus in Zürich, dazu ein, die Kunst von Emma Jung kennenzulernen. «Ich bin erschrocken, als ich realisierte, dass C.G. Jungs Ehefrau Emma Jung selbst Analytikerin war und sehr ähnliche Dinge getan hat, wie ihr Mann – und ich noch nie davon gehört habe», sagt Salome Hohl, die das Cabaret Voltaire leitet und die Ausstellung zu Emma Jung und ihrem Werk kuratiert hat.
Entsprechend möchte Hohl Emma Jung auch weltbildlich nicht in einen Topf mit ihrem Mann stecken. Zu antisemitischen Äusserungen oder Vorstellungen von Emma Jung ist nichts bekannt.

Jung im Cabaret Voltaire
Trotz der schnöden Absage von C.G. Jung an die Avantgarde gab es um 1918 durchaus lose Beziehungen zwischen Emma und C.G. Jung und dem Dadaismus. So inspirierten beispielsweise zwei Hopi-Figuren aus dem Besitz der Jungs die Schweizer Dada-Künstlerin Sophie Taeuber-Arp. Die Ausstellung im Cabaret Voltaire folgt der feinen Spur zwischen Dadaismus mit Fokus auf die Zeichnungen und Malereien von Emma Jung.
«Man hat viel über die Kontakte C.G. Jungs gehört, auch über seine Geliebten – kaum aber etwas über seine Frau», so Hohl.
Begleitet wird die neu entdeckte Kunst von Emma Jung durch Werke der zeitgenössischen Künstlerin Rebecca Ackroyd. Ihre Skulpturen aus Bienenwachs prägen die Ausstellung mit. Auf den ersten Blick erinnern sie an blinde Seher, deren Augen verdeckt sind. Auf den zweiten Blick erscheinen sie weit alltäglicher: Die Figuren tragen Taucherbrillen.

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Ackroyds Schwimmer:innen sind Taucher ins Unbewusste, von hinten erkennt man, dass sich in ihren Hohlräumen Sägeblätter und Bocksschädel verstecken. Ackroyd interessiert sich in ihrer Arbeit für die Welt der Träume und Visionen in der tiefen See in uns.
Für die Ausstellung begann die britische Künstlerin zudem eine jungianisch orientierte Traumtherapie. Zudem hat sie auch kleinformatige Bilder wie Emma Jung gemalt, die mit deren Werk korrespondieren.
Kuratorin Hohl betont, dass in den letzten Jahren Frauen, die an der Grenze der Kunst Bildwelten produziert haben, um Heilungsprozesse oder spirituelle Suchen zu stützen, stärker ins Interesse der Kunstwelt geraten seien.
Sie nennt die Schweizerin Emma KunzExterner Link, die sich als Heilerin verstand, oder die niederländische Mystikerin Olga Fröbe-KapteynExterner Link, die im Austausch mit C.G. Jung stand und ihre Visionen im Tessin zu Papier brachte.
Arbeiten am Ich
Emma Jung reflektierte ihre Träume seit 1910 in sorgfältig gearbeiteten, kleinformatigen Gemälden. «Es handelt es sich um sehr intime Arbeiten, die wahrscheinlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren», ordnet Hohl ein.
Jung nutzte dabei eine Technik, die ihr Mann später als «Aktive Imagination» definiert hat: Man geht seinen Träumen und Fantasien aktiv nach, auch gestalterisch, und tritt so in einen aktiven DialogExterner Link mit seinem Unterbewussten, auch um psychische Herausforderungen aktiv anzugehen.
Ein Bild, das Emma Jung mit diesem Ansatz geschaffen hat, zeigt eine Eidechse in einer Art verwirrendem Labyrinth. «Man kann die Eidechse als Symbol für Überlebensfähigkeit und Anpassungsfähigkeit verstehen. Im Mittelpunkt aller Arbeiten steht die Individuation. Der Versuch, zu sich selbst zu werden und dabei auch unbewusste Anteile ins Bewusstsein zu integrieren. Für sie bedeutete das nicht zuletzt, als intellektuelle Frau an der Seite eines berühmten Mannes ihren eigenen Weg zu finden», führt Hohl aus.

Emma Jung wurde 1882 als Emma Maria Rauschenbach in Schaffhausen geboren. Ihr Vater hatte die International Watch Company (IWC), die von einem amerikanischen Uhrmacher gegründet worden war, übernommen – später wurde auch C.G. Jung Teilhaber. Als Tochter einer vermögenden Industriellenfamilie profitierte Jung von einer Bildung, die ihr den Zugang zu Literatur, Philosophie und Psychologie öffnete – ein Studium blieb ihr aber versagt.
Bereits vor ihrer Hochzeit recherchierte und übersetzte sie für Jung – sie sprach weit mehr Sprachen als er. Mit ihrer Heirat 1903 wurde sie Teil der Forschungs- und Praxisgemeinschaft der Psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich und unterstützte C.G. Jung bei seiner Arbeit. 1911 taucht sie auf dem Gruppenfoto des Psychoanalytischen Kongresses auf, ein Hinweis darauf, dass sie als Analytikerin ernst genommen wurde.

1916 wurde sie die erste weibliche Präsidentin des «Vereins für Analytische Psychologie» – der nach der Abspaltung von den Freudianern gegründet worden war. Doch ihre eigene Arbeit blieb, abgesehen von einigen Vorträgen, eher verdeckt. Jung starb 1955. Ihr Hauptwerk, eine Studie zur Gralssymbolik, wurde erst nach ihrem Tod veröffentlicht.
Anfang 2025 ist bei Princeton University Press ein BandExterner Link erschienen, der Emma Jungs Werk auf Englisch einem internationalen Publikum vorstellt: ihre Gedichte, Theaterstücke und auch ihre Bilder. Darin wird auch deutlich, dass sie ihre Bilder nur bedingt als Ausdruck der eigenen Psyche verstand, sondern diese immer als eingewoben in Mythen aus Religion, Kunst und Literatur sah.
Beispielhaft dafür ist das Werk «Korallenbaum», in dem Emma Jung mittels aktiver Imagination einen Traum verarbeitet hatte. Sie schildert in ihren Notizen den Traum, in welchem sie in die tiefe See tauchte und dort einen leuchtenden Korallenbaum erkannte. Eine Stimme habe ihr befohlen, eine Blume vom Baum zu pflücken.
Darauf weist sie ein Fischmann, der Herrn dieser Gewässer und Wächter des Baumes, zurecht und fordert sie auf, ihren Diebstahl zu rechtfertigen. In Jungs Notizen geht es nicht darum, was dieser Traum wohl über sie selbst aussagt, sondern um den Bezug zu mythischen Figuren wie den babylonischen Oannes, ein Fischwesen, das den Menschen – so der Mythos – die Schrift brachte.

Einige Bilder Emma Jungs sind deutlich von Zerstörung und Umbruch geprägt. Der erste Weltkrieg kommt in einzelnen Zeichnungen zum Ausdruck. Die Arbeit der Jungs ist auch Ausdruck dieser Phase des Umbruchs, wo gerade in Zürich, im Exil, verschiedenste Gruppen, darunter die Künstler:innen um Dada, versuchten, dem Zusammenbruch der Welt einen Umbruch abzugewinnen.
Hohl erklärt, wo die Paralellitäten zur Dada-Bewegung liegen: «Das Ehepaar Jung versuchte Verzweiflung und Ängsten mit Kreativität zu begegnen, und nach Strategien zu suchen, wie man das Verborgene nach aussen tragen kann.
Es ging ihnen darum, wie man damit umgehen kann, dass das Individuum nicht nur von der Vernunft getrieben ist – ohne dass das Individuum als Unausgesprochenes, Unangegangenes zu politische Katastrophen führt. Diese Strategie, Kreativität als Therapie zu verstehen, ist eine wichtige Parallele zu Dada.»
Bereits 1911 schrieb Emma Jung an Sigmund Freud, der sie damals unterstützt hatte: «Von Zeit zu Zeit plagt mich der Konflikt, wie ich mich neben Carl zur Geltung bringen könne; ich finde, dass ich keine Freunde habe, sondern dass alle Menschen, die mit uns verkehren, eigentlich nur zu Carl wollen, ausser einigen langweiligen und mir gänzlich uninteressanten Leuten. Die Frauen sind natürlich alle verliebt in ihn, und bei den Männern werde ich als Frau des Vaters oder Freundes sowieso sofort abgesperrt.»
Es sollte über 100 Jahre dauern, bis ihr Werk gewürdigt wird.
Editiert von Benjamin von Wyl

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