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Wie ist die Unabhängigkeit der Schweizer Nationalbank im Vergleich zur US-Fed geschützt?

Schweizer Nationalbank
Die Schweizerische Nationalbank steht am Bundesplatz, nur einige Schritte vom Bundeshaus entfernt. Keystone / Peter Schneider

Anders als bei ihrem Gegenstück in den USA ist die Unabhängigkeit der Schweizer Nationalbank in der Verfassung gesichert. Woher das Konzept der Nationalbankunabhängigkeit kommt – und wo es international steht.

US-Präsident Donald Trump sagt deutlich, was er von den Entscheiden der US-amerikanischen Zentralbank hält. Er macht nicht nur Druck über die Öffentlichkeit, sondern hat mit Steve Miran auch einen seiner engsten Wirtschaftsberater interimistisch berufen – als einen der sieben Gouverneure des Federal Reserve Systems (FED), dem US-amerikanischen Zentralbanksystem.

Viele Expert:innen beunruhigt Trumps Gebaren. «Diese Handlungen unterlaufen die Norm der Zentralbankunabhängigkeit», so Professorin Carolina Garriga von der Universität Essex auf Anfrage von Swissinfo. «Doch das ist nicht anders», ergänzt sie, «als der Effekt anderer Handlungen, die andere demokratische und technokratische Institutionen und Normen unterlaufen, leider.»

Aber: Die Unabhängigkeit der Justiz ist in der US-Verfassung gesichert. Zur Unabhängigkeit der Zentralbank findet sich dort nichts.

Woher kommt die Zentralbankunabhängigkeit?

Die Zentralbankunabhängigkeit ist ein jüngeres Konzept, international mehr eine Norm als eine Institution. Entstanden als Reaktion auf die Inflationsentwicklung nach Ende des Bretton-Woods-System. Die Norm unabhängiger Zentralbanken verbreitete sich im Verlauf der 1980er- und 1990er-Jahre. In der Schweiz ist die Zentralbankunabhängigkeit seit 1999 auch in der Verfassung verankert.

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Hans Kuhn ist Jurist und war von 2001 bis 2014 Leiter der Rechtsdienste bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB). «Noch in den 1980er-Jahren waren viele Zentralbanken quasi Abteilungen der Finanzministerien – 20 Jahre später waren die meisten mehr oder weniger unabhängig strukturiert», sagt er.

Weshalb kam es dazu? Die Ursache dafür liegt in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Kuhn erklärt: «Eine grosse Zahl wirtschaftswissenschaftlicher Studien haben empirisch die negative Korrelation zwischen Zentralbankunabhängigkeit und Inflation gezeigt.» Das heisst: Unabhängige Zentralbanken sollen, unabhängig von einer womöglich kurzsichtig agierenden Regierung, dafür sorgen, dass die Preise stabil bleiben.

Die Zentralbankunabhängigkeit soll, wie Garriga in einem aktuellen wissenschaftlichen Beitrag schildert, ein Versuch sein eine Geldpolitik zu verfolgen, die über die Zeit hinweg konsistent bleibt. Selbst, wenn sich die politischen Verhältnisse ändern.

Wie verbreitet ist die Zentralbankunabhängigkeit wirklich?

Garrigas Daten zur Zentralbankunabhängigkeit im weltweiten VergleichExterner Link zeigen, wie unterschiedlich stark die Norm der Zentralbankunabhängigkeit international ausgeprägt ist. Länder wie Indien, aber auch Japan und Australien haben Zentralbanken, die de jure nicht unabhängig sind.

In Ländern wie Belarus, Venezuela und Turkmenistan, aber auch in demokratischen Staaten wie Ecuador beobachtete Garriga «signifikante Restriktionen» der Unabhängigkeit seit der Jahrtausendwende. Verschlechtert hat sich die Zentralbankunabhängigkeit gemäss den Daten ebenfalls in China und Indonesien.

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Welche demokratische Kritik gibt es an der Zentralbankunabhängigkeit?

Im Zuge des Geschehens in den USA bekommen auch Stimmen Aufmerksamkeit, die das Konzept Zentralbankautonomie als undemokratisch kritisieren.

Eine ist die Politiktheoretikerin Leah Downey. Downey sieht die Annahme kritisch, dass Zentralbankunabhängigkeit zu Preisstabilität führe. Die empirischen Nachweise dafür seien «gemischter als üblicherweise zugegeben». Die Datengrundlage vielzitierter Studien sei begrenzt. Zudem findet Downey, dass die Argumente für die Unabhängigkeit in der Konsequenz bedeuten, «dass Geldpolitik einzigartig» ist im Kontrast zu jedem anderen Bereich. Die Komplexität von Geldpolitik ist für Downey kein Grund Expert:innen «Autonomie über das Politikfeld zu geben».

Langfristig, glaubt Downey, untergräbt die Zentralbankunabhängigkeit «die Gesundheit der Demokratie». Geldpolitik solle, geht es nach ihr, weiter «von einer Zentralbank mit vielen Expert:innen und Interessenvertretenden durchgeführt» werden, aber «unter der aktiven Kontrolle der Legislative».

Die Handlungen von Trump sieht Downey gleichwohl als «klar nicht demokratisch». Wenn Trump die Geldpolitik demokratisieren wollen würde, würde er die Angelegenheit vor den Kongress bringen, so Downey.

JEROME Powell
Jerome Powell ist Präsident der FED. Immer wieder stichelt Trump gegen ihn. Ende September 2025 postete Trump einen Comic, wie er ihn entlässt. EPA/JIM LO SCALZO

Diese Zentralisierung von Macht in den Händen eines einzelnen widerspreche auch der Verfassung. Downey sagt: «Die Autoren der US-Verfassung haben die Haushaltsbefugnisse sowie die Macht zur Geldprägung und -regulierung ausdrücklich der Legislative und nicht der Exekutive übertragen.»

Wie ist die Situation in der Schweiz?

Die Unabhängigkeit der FED ist in den USA auf Gesetzesstufe geregelt. In der Schweiz stimmten knapp 60% der Abstimmenden im Frühling 1999 für die neue Bundesverfassung und akzeptierten damit, bewusst oder unbewusst, auch die Nationalbankunabhängigkeit. In Artikel 99 heisst es, die SNB führe «als unabhängige Zentralbank eine Geld- und Währungspolitik, die dem Gesamtinteresse des Landes» diene. Den Schweizer Behörden obliegt die «Mitwirkung und Aufsicht» der Verwaltung.

Jede Verfassungsänderung muss sich in der Schweiz einer Volksabstimmung stellen. Deshalb wäre es – falls sich die politischen Verhältnisse ändern würden – für Bundesrat und Parlament schwieriger, die Unabhängigkeit der Zentralbank anzugreifen als in den USA. Der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Baltensperger schreibt auf Anfrage von einer «demokratiepolitisch weit grösseren Hürde». Noch entscheidender findet Baltensperger den Faktor der «Selbstbindung»: Parlament und Bevölkerung fühlen sich in seiner Wahrnehmung dem Konzept der Zentralbankunabhängigkeit verpflichtet.

In der Schweiz beaufsichtigt ein 11-köpfiger Bankrat die Arbeit der Nationalbank. Die Schweizer Nationalbank ist eine Aktiengesellschaft, deren Mehrheitseigner die Kantone sind. Fünf Bankrät:innen werden von der Generalversammlung gewählt; sechs vom Bundesrat. Die Mitglieder des BankratsExterner Link sollen die Felder Wissenschaft, Wirtschaft und Politik abdecken und einen ökonomischen Hintergrund haben.

Gegenwärtig sitzen darin etwa ein Finance-Professor oder die Präsidentin der grössten Schweizer Gewerkschaft. Der Bankrat als Aufsichtsorgan schlägt bei einem Wechsel dem Bundesrat neue Mitglieder des Direktoriums vor. Der Bundesrat wählt diese dann für die Dauer von sechs Jahren – länger als eine Parlamentslegislatur.

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Ist die Schweizer Nationalbank eine Institution der Demokratie?

Ist die Nationalbank damit eine Institution der Schweizer Demokratie? Der ehemalige SNB-Chefjurist Hans Kuhn sagt: «Es ist eine enorme Macht, die Artikel 99 kreiert. Doch die Ausgestaltung dieser Frage ist gesetzlich geregt. Es gibt eine Rechenschaftspflicht. Es ist ein Spannungsverhältnis, das man verstehen und austarieren muss.»

Vor allem sei die Nationalbankunabhängigkeit in Kuhns Wahrnehmung «breit akzeptiert und respektiert». Der ehemalige SNB-Chefjurist sagt: «Der Respekt ist gross, manchmal zu gross. Ich nehme fast zu viel Zurückhaltung wahr, weil man die Materie nicht genau versteht.»

Doch im Schweizer Parlament gibt es regelmässig Vorstösse, die die Nationalbank tangieren. Der Wirtschaftsverband EconomieSuisse präsentierte Ende 2024 seine Analyse von «Schweizer Trump-Momenten». Demnach hätten seit 2014 alle politischen Parteien Vorstösse zur Nationalbank lanciert, aber eine Mehrheit der Vorstösse komme von links. Etwa 15% der Vorstösse hätten sich mit dem Mandat befasst; ein knappes Drittel mit der Bilanzverwendung. Wie viele davon erfolgreich waren, ist bei EconomieSuisse auf Nachfrage nicht bekannt.

Kuhn sieht es differenziert, wenn das Parlament und die politische Öffentlichkeit diskutiert, wie Nationalbankgewinne verwendet werden: «Es ist nicht verboten, über die Nationalbank nachzudenken. Doch es darf keine Eingriffe ins Kernmandat geben.» Wenn Parlamentarier:innen in die Zinsraten eingreifen wollen, wäre dies heikel.

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«Im Vergleich zu den USA ist die Institution der SNB robust und träge», sagt Kuhn. So gebe es beim FED keinen Bankrat, der die Kandidierenden vorschlägt. Wollte eine Schweizer Regierung aus kritischer Haltung gegenüber der SNB das Führungspersonal austauschen, ginge das nur langsam.

Welche Folgen kann die Entwicklung in den USA international haben?

«In den USA erleben wir dies relativ rasch», sagt Kuhn. Auch weil die soziale Konvention missachtet wird: «Wenn man politische Akteure hat, die sich nicht daran gebunden fühlen, können sie in den fragilen Konstrukten schnell Schaden anrichten.» Er ist der Meinung, dass Steve Miran – anders als die anderen zwei von Trump ernannten FED-Gouverneure – nicht über die, auch gesetzlich vorgeschriebenen, ökonomischen Kompetenzen verfügt.

Prognosen zu den Wechselwirkungen von Trumps Agieren hält Kuhn für schwierig, doch er habe «Vertrauen, dass die Vernunft überwiegt». Viele Länder werden die Norm der Nationalbankunabhängigkeit hochhalten, glaubt er. Hoffnung mache ihm, dass auch in der Zollpolitik die anderen Staaten nicht auf Vergeltung setzen. Donald Trump ist nicht der erste Regierungschef, der Druck auf Nationalbanken macht. So hat beispielsweise Shinzo Abe 2013 Druck auf die Bank of JapanExterner Link ausgeübt.

Doch, wenn die US-Regierung Druck auf die FED ausübt, hat das eine weltwirtschaftliche Dimension. «Der Dollar ist die weltweite Ankerwährung», sagt Kuhn, «Wenn der Ankerwert bricht, ist das Risiko gross.»

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Editiert von David Eugster

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