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1991: Die Schweiz und der Golfkrieg

9. Januar 1991: US-Aussenminister James Baker (r.) schüttelt in Genf die Hand seines irakischen Amtskollegen Tarek Aziz. Keystone

Die Irak-Krise Anfang der 90er Jahre stellte in gewisser Hinsicht eine Wende für die Schweizerische Aussenpolitik dar.

Erstmals in ihrer Geschichte trug die Schweiz sämtliche von der UNO verhängten ökonomischen Sanktionen mit.

Der Golfkrieg entbrannte wegen der Invasion von Kuwait durch irakische Truppen. Es handelte sich um den ersten internationalen bewaffneten Konflikt nach dem Fall der Berliner Mauer und somit nach Ende des Kalten Krieges.

Die neue internationale Weltordnung unter der Führung der alleinigen Weltmacht USA sowie die Entwicklung einer multilateralen Diplomatie führte dazu, dass auch die Schweiz ihr Verständnis des Neutralitätsrechts anpassen musste.

Die Reaktion auf die Invasion Kuwaits

Am 2. August 1990, unmittelbar nach dem Einmarsch der irakischen Armee in Kuwait, verurteilte der UNO-Sicherheitsrat die Invasion und forderte den Rückzug der Truppen.

Auch die Schweiz reagierte sofort und verurteilte die Militäraktion des Regimes von Saddam Hussein scharf. Zugleich verordnete der Bundesrat eine verschärfte Aufsicht über kuwaitische Vermögen in der Schweiz. Die Landesregierung verzichtete allerdings auf eine spezifische Neutralitätserklärung.

Sanktionen gegen den Irak

Nur wenige Tage später, am 6. August, beschloss die UNO mit der Resolution 661 einen Wirtschafts- und Finanzboykott gegen Irak und Kuwait. Die Schweiz, die damals noch kein Vollmitglied der Vereinten Nationen war, entschloss sich für einen autonomen Nachvollzug dieser Sanktionen.

Dieser Entscheid des Bundesrats stellte einen Paradigmenwechsel für das Schweizer Neutralitätsverständnis nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Zuvor hatte sich die Schweiz darauf beschränkt, auf internationale Sanktionen zu reagieren, indem sie beispielsweise die ökonomischen Beziehungen mit den vom Boykott betroffenen Nationen einfror.

Dieser «courant normal» kam beispielsweise gegenüber Rhodesien im Jahr 1966 zur Anwendung. In anderen Fällen, wie bei den Sanktionen gegen Südafrika 1977, wurde ein Limit an Exporten festgelegt.

Zwischen Kontinuität und Zäsur

Beide Fälle zeigen auf, dass die Schweiz ihre Neutralität sehr pragmatisch handhabte. «In diesem Sinn steht die faktische Teilnahme der Schweiz an den UNO-Massnahmen gegen den Irak im Zeichen der Kontinuität», schreibt der Jurist André Schaller in einer Studie, die den Sanktionen gegen das Regime von Saddam Hussein gewidmet ist.

Anderseits steht die helvetische Reaktion auch für eine Wende im Neutralitätsverständnis. «Erstmals nahm die Schweiz klar an von der UNO getroffenen Sanktionen teil und bekannte sich öffentlich dazu.»

Die Politologin Aviva R. Schnur hat in einem Essay zu den Entscheidungs-Prozessen in der Bundesverwaltung die Sanktionen analysiert. Sie kommt zum Schluss, dass «die Regierung gemerkt hat, dass die Konstellation im UNO-Sicherheitsrat und die globale politische Situation nach dem Ende des Kalten Krieges eine entschiedenere Position der Schweiz in Hinblick auf Wirtschaftssanktionen erforderlich machten.»

«Die weitreichenden Änderungen im internationalen Umfeld zu Beginn der 90er-Jahre führten in der Schweiz zu einem zeitgemässeren Verständnis der Neutralität, welches 1993 im bundesrätlichen Bericht zur Neutralität seinen Niederschlag fand und der Schweiz nach dem Ende des Kalten Krieges einen grösseren aussen- und sicherheitspolitischen Handlungsspielraum eröffnete», schreibt eine interdepartementale Arbeitsgruppe im August 2000.

Ja und Nein zu Überflugsrechten

Im Dezember 1990 war das Neutralitätsverständnis der Schweiz ebenfalls herausgefordert. Die USA baten die Schweiz um Überflugsrechte, um Truppen und Material durch den Schweizer Luftraum in die Golfregion zu schaffen.

Auch wenn es gemäss Aviva Schnur in der Bundesverwaltung Stimmen gab, diese Flugrechte generell zu gewähren, wurde schliesslich nur ein Überflugsrecht für den Transport von Verwundeten und für sanitäres Material gestattet.

Anderseits verbot die Schweiz den Waffenexport in Länder nahe der Krisenregion (die Türkei inbegriffen) und erlaubte den Verkauf von Waffen an die Staaten der Golfkrieg-Alliierten nur, wenn nachgewiesen werden konnte, dass diese Waffen nicht im Krieg gegen den Irak eingesetzt werden würden.

In den darauf folgenden Jahren und nach dem bundesrätlichen Bericht zur Neutralität vom November 1993 hat sich die Praxis eingebürgert, Überflugsrechte zu gewähren, wenn die Flüge für eine Friedensmission auf der Grundlage einer UNO-Resolution erfolgen.

Deshalb hat die Schweiz die Überflugsrechte für den Einsatz der Nato in Jugoslawien 1999 nicht erteilt. Hingegen gewährte sie diese für die Einsätze der Friedenstruppen SFOR in Bosnien (1995) und KFOR in Kosovo (1999).

Gipfeltreffen Baker-Aziz in Genf

Während der ersten Irak-Krise hat die Schweiz versucht, eine aktive Vermittlerrolle für die Konfliktparteien zu spielen. Ende Dezember 1990 lancierte die Eidgenossenschaft die Idee eines Gipfels zwischen Vertretern der USA und des Irak.

Die Idee konkretisierte sich am 9. Januar 1991 in einem Treffen des damaligen irakischen Aussenministers Tarek Aziz (heute stellvertretender Ministerpräsident) mit US-Aussenminister James Baker. Das Treffen brachte allerdings nicht die erhoffte Einigung.

Am 17. Januar 1991 begann die Operation Desert Storm (Wüstensturm), die am 28. Februar mit der bedingungslosen Kapitulation des Irak endete. Die Schweiz begrüsste das Ende der kriegerischen Auseinandersetzung und bot umgehend ihre Hilfe für humanitäre Anliegen und für Umweltschutz-Massnahmen an.

swissinfo, Andrea Tognina
Übersetzung: Gerhard Lob

2. August 1990: Irak besetzt Kuwait

6. August 1990: Die UNO verhängt ökonomische Sanktionen gegen Irak

7. August 1990: Die Schweiz wendet im autonomen Nachvollzug die von der UNO getroffenen Sanktionen an

8. August 1990: Die USA kündigen die Entsendung von Truppen in die Golfregion an

14. November 1990: Eine Parlamentarierdelegation aus der Schweiz besucht den Irak

Dezember 1990: Die Schweiz erteilt den USA keine Überflugsrechte für den eigenen Luftraum

9. Januar 1991: In Genf treffen sich der irakische Aussenminister Tarek Aziz und sein US-amerikanischer Amtskollege James Baker

17. Januar 1991: Die Militäroffensive gegen Irak beginnt (Operation Desert Storm)

28. Februar 1991: Der Irak kapituliert bedingungslos

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