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Eigenmietwert-Abstimmung: Das sind die Konfliktlinien

Eigenmietwert Zweitwohungen
Zweitwohnsitze in den Tourismusgebieten liefern den Anlass für die Abstimmung über den Eigenmietwert. Keystone

Um den Eigenmietwert herrscht ein Kampf zwischen Immobilienbesitzern und Mietern. Doch es gibt weitere Konfliktlinien. Am 28. September stimmt die Schweiz darüber ab. Analyse.

Der Streit über den Eigenmietwert ist alt. Jetzt kommt die Abschaffung dieser Steuer für Immobilienbesitzer vors Volk. Wir erklären, wer sich bei dieser Abstimmung gegenübersteht – und warum.

1. Ältere versus Junge beim Eigenmietwert

Die Abschaffung des Eigenmietwerts reiht sich in eine aktuelle Serie von Vorlagen ein, von denen die über 60-Jährigen besonders profitieren.

Denn die Hypotheken der älteren Semester sind oft zu einem grossen Teil abbezahlt und ihre Liegenschaften gut in Schuss. Die Vorteile des Eigenmietwert-Systems kommen für viele von ihnen damit nicht mehr zum Tragen. Sie haben geringe Schuldzinsen und Renovationskosten, die sie von den Steuern abziehen könnten. Ihnen bleibt noch der Nachteil des Systems: die Steuerlast.

Bereits bei der Vorlage zu einer 13. AHV-Rente hat sich diese Generation letztes Jahr einen Vorteil in Form einer höheren Rente zugesprochen. Und mit einer Initiative der Mitte-Partei zur Abschaffung der Heiratsstrafe bei den AHV-Renten ist bereits eine weitere Vorlage nach diesem Muster in der Pipeline. Es winkt eine Rentenerhöhung für Ehepaare.

Pensionäre sind die Bevölkerungsgruppe, die am verlässlichsten an die Urnen geht. «Das Medianalter einer Wählerin oder eines Wählers in der Schweiz liegt bei rund 57 Jahren», sagt Martina Mousson, Polit-Analystin am Forschungsinstitut Gfs Bern.

Die Babyboomer-Generation der 60- bis 80-Jährigen kann die Schweiz somit in weiten Teilen nach ihren eigenen Bedürfnissen gestalten.

Im Nachteil sind demgegenüber jene, die nicht abstimmen dürfen oder den Urnen fernbleiben. Das sind junge Menschen, die seltener zur Urne gehen, sowie Ausländer.

Letztere wohnen meist zur Miete. 44 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten leben in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus. Schaut man die ganze Wohnbevölkerung an, ausländische Staatsangehörige eingerechnet, sind es 10 Prozent weniger: ein Drittel.

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2. Eigentümer versus Mieter

Die Frage nach einem Ende des Eigenmietwert-Systems hat deshalb auch alle Zutaten für eine klassenkämpferische Abstimmungskampagne.

Stark vereinfacht kämpfen Besitzende gegen Besitzlose, also Eigentümer von Liegenschaften gegen Mieter. Nur wenige Immobilienbesitzer werden wohl gegen einen Systemwechsel votieren, der ihnen finanzielle Vorteile bringt.
Bereits vor einem halben Jahr tobte auf der Konfliktlinie Immobilienbesitzer versus Mietende ein heftiger Kampf.

Damals ging es um zwei Anpassungen im Mietrecht, in denen die politische Linke eine Schwächung des Mieterschutzes sah. In ihrer Kampagne warnte sie vor höheren Mieten und «höheren Renditen der Immobilienkonzerne».

Die SP schrieb damals: «Die Mietpreise sind explodiert und die Renditen der Immobilienkonzerne sind auf Kosten der Mieter:innen immer weiter gestiegen.» Damit obsiegte sie an der Urne.

Heute fragt die SP in ihrer Nein-KampagneExterner Link: «Milliarden für die Reichsten?» und warnt: «Mieter:innen zahlen drauf.»

Auf diesem Teppich bereitet die SP bereits ihre nächste Kampagne vor. Im Moment sammelt sie Unterschriften für eine «Mietpreis-InitiativeExterner Link«, die «missbräuchliche Renditen stoppen» will. Für die Linke ist die Frage des Eigenmietwerts also auch ideal, um dieses Kernthema am Kochen zu halten.

Eigenmietwert Wohnungen Mieten
Aufgebrachte Mietende: Demonstration gegen die Wohnungskrise in Zürich 2024. Keystone / Walter Bieri

Für Martina Mousson ist klar: «Der Graben zwischen Hauseigentümer:innen und Mieter:innen bildet die Haupt-Konfliktlinie in diesem Abstimmungskampf. Er übersetzt sich auf die weiteren Dimensionen wie Alter, Geschlecht und sozialer Status.»

3. Stadt versus Land

Auf dem Land leben die Eigentümer, in der Stadt die Mieter. Diese vereinfachte Formel gilt wie fast überall auf der Welt auch in der Schweiz. Der Grund dafür liegt im Bodenpreis. Auf dem Land ist er niedriger, wodurch Eigenheime dort erschwinglicher sind.

In der Schweiz entspricht diese Formel zudem dem klassischen Links-Rechts-Schema: Die Städte sind tendenziell progressiv und links ausgerichtet, während das Land zu einer konservativ-bürgerlichen Gesinnung tendiert.

Dieses Schema trat laut Martina Mousson bereits bei der Abstimmung über ein angepasstes Jagdgesetz (2020) zutage, aber auch bei Umweltanliegen wie dem CO₂-Gesetz (2021). Besonders ausgeprägt zeigt es sich, wenn eine Abstimmungsvorlage die Landwirtschaft tangiert. Das war etwa 2021 bei den Pestizid-Initiativen oder der Trinkwasserinitiative der Fall.

4. Tourismusgebiete vs. urbane Zentren

Martina Mousson zufolge zeigt sich der Stadt-Land-Graben bei der Frage des Eigenmietwerts in einer speziellen, noch engeren Ausprägung. Sie sieht eine spezifische Konfliktlinie zwischen Tourismusgebieten und urbanen Zentren.

Denn Tourismusdestinationen profitieren vom bestehenden Eigenmietwert-System. In vielen Bergdestinationen ist der Anteil der Zweitwohnungen zuletzt nämlich stark gewachsen. Das schenkt dort ein: Auf jede Zweitwohnung wird eine Eigenmietwertsteuer fällig, die am Standort der Immobilie bezahlt wird.

Für viele Berggemeinden sind das Einnahmen, die bei einer Abschaffung des Eigenmietwertsystems nicht verloren gehen dürfen. Das ist der Grund für die anstehende Abstimmung. Nicht umsonst heisst sie «Einführung einer kantonalen Objektsteuer auf ZweitliegenschaftenExterner Link«.

Es ist eine Kompensation für die Bergkantone – man könnte auch sagen: eine Extrawurst. Das Parlament wollte das System umstellen und alle waren dabei – ausser den Tourismuskantonen. Diese werden nun im Falle einer Annahme auch ohne Eigenmietwert eine Zweitwohnungssteuer erheben können.

Doch auch in den Bergkantonen öffnet sich ein Graben – zwischen Regierung und Volk. Bei der Zweitwohnungsinitiative, die im Jahr 2012 den Anteil von Zweitwohnungen beschränken wollte, stimmte die Bevölkerung dieser Kantone noch dagegen. Die Einnahmen zählten mehr als die Angst vor kalten Betten und Geisterdörfern.

Doch seither sind auch in den Bergkantonen die Mietpreise gestiegen, weil immer mehr Wohnraum als Ferienwohnungen auf den Markt geht. In Schweizer Tourismus-Gebieten manifestiert sich eine Wohnungsnot – und zunehmende Skepsis gegen Ferienwohnungen. «Die Schattenseiten des Zweitwohnungsbooms sind im Bewusstsein der Bergbevölkerung angekommen», sagt Martina Mousson.

Entscheidend wird darum sein, welchem System die Bevölkerung der Tourismuskantone mehr Effizienz bei der Besteuerung der Zweitwohnungen zutraut: Dem bestehenden oder einem, das die Kantone erst noch einführen müssen.

5. Eigenmietwert trennt Banken und Gewerbe

Bei der Abschaffung des Eigenmietwerts beziehen Banken und Gewerbe, zwei traditionell sehr enge Verbündete, unterschiedliche Positionen. Die Banken möchten die Steuer beibehalten, da sie von den Schuldzinsen profitieren. Bisher können Hypothekarzinsen steuerlich abgezogen werden, was Eigentümer davon abhält, ihre Schulden abzubauen.

Die Banken machen mit Hypotheken ein grosses Geschäft, das sie kaum verlieren wollen. Das Hypothekarvolumen der privaten Haushalte in der Schweiz zählt – gemessen am Bruttoinlandprodukts BIP – zu den höchsten der Welt. 2024 betrug es 1271 Milliarden Franken, was mehr ist, als das Land im Jahr produziert: 146 Prozent des BIP.

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Dieser Anteil wächst ständig und bildet laut der Schweizerischen Nationalbank auch ein Klumpenrisiko für die Volkswirtschaft.

Wie weit die steuerlichen Anreize des Schuldenmachens zu dieser weltmeisterlichen Hypothekarverschuldung beitragen, ist schwer zu sagen. Eine Schätzung des Hypothekenmaklers Moneypark geht bis 2030 von einem um 50 bis 150 Milliarden kleineren Hypothekenmarkt aus, sollte das Eigenmietwert-System abgeschafft werden.

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Anders als bei den Banken ist das Gewerbe gespalten. Das Bau- und Baunebengewerbe fürchtet um Renovationsaufträge und steht der Reform deshalb ablehnend gegenüber. Die anderen Sektoren hingegen hoffen auf mehr Kaufkraft und Konsum.

Sie bilden die Mehrheit des Schweizerischen Gewerbeverbands. Darum ist das Gewerbe insgesamt für die Abschaffung der Steuer.

Editiert von Samuel Jaberg

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Gastgeber/Gastgeberin Marc Leutenegger

Welche Erfahrungen haben Sie mit Wohnungsnot und steigenden Immobilienpreisen gemacht?

Die Schweiz schlittert kopfüber in eine Wohnungskrise. Wie lässt sich das noch verhindern? Ihre Ideen sind gefragt.

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