Bedingt für Borradori senior
Der Vater des Tessiner Staatsrats ist für schwere Vermögens-Delikte mit 18 Monaten bedingt davon gekommen. Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre Gefängnis unbedingt gefordert.
Der 75-jährige Ex-Anwalt Elio Borradori wurde in Lugano des mehrfachen Betrugs, der Urkundenfälschung, der wiederholten Veruntreuung sowie des Verstosses gegen das Sprengstoffgesetz für schuldig befunden. Die Anklageschrift wurde in praktisch allen Punkten bestätigt. Wegen gesundheitlicher Probleme war der Angeklagte nicht selbst vor Gericht erschienen.
Bedingt wurde die Strafe denn auch nur ausgesetzt als Folge seines schlechten Gesundheitszustands, der stark eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit und des fortgeschrittenen Alters.
Schuldenberg von 28 Millionen Franken
«Ein trauriges Ende für diesen Mann», meinte Gerichtspräsident Mario Luvini mit Blick auf die Tatsache, dass Borradori einst ein angesehener Anwalt und Kommandant des Luganeser Freiwilligenkorps war.
Der einwöchige Prozess mit der Rekonstruktion der Delikte ergab das Bild einer psychisch kranken Person, die unter starkem Realitätsverlust litt.
Borradori hat zwischen 1988 und 1995 durch Betrug und Veruntreuung Kunden um rund acht Millionen Franken gebracht. Er handelte anfänglich, um einen eigenen Gläubiger zu besänftigen und geriet in einen teuflischen Kreislauf. Sobald er ein Finanzloch stopfte, tat sich ein anderes auf. Beim Konkursverfahren von 1997 ergab sich ein Schuldenberg von 28 Mio. Franken.
Geld von der Lega Nord ?
Offen blieb während des Prozesses die Herkunft der zirka 4 Millionen Franken von Konten aus San Marino, von denen sich Borradori einen Teil einverleibt hatte, nachdem sie über eine Mittelsfrau in die Schweiz transferiert worden waren. Luvini folgte dem Antrag von Staatsanwalt Franco Lardelli, die übrig gebliebenen Gelder zu beschlagnahmen. Im Vorfeld des Prozesses war spekuliert worden, das Vermögen könne von einem Politiker der italienischen Lega-Nord stammen.
Leichtfertige Banken
Lardelli hatte eine unbedingte Gefängnisstrafe von drei Jahren gefordert – nicht nur wegen der «gravierenden Delikte», sondern auch um ein Exempel zu statuieren, wenn Anwälte und Notare ihre Position missbrauchten. Er erinnerte daran, dass sieben Anwälte in den letzten Jahren in die Fänge der Tessiner Justiz gerieten.
Borradoris Pflichtverteidiger Carlo Steiger hatte Betrügereien eingeräumt, aber auf die Mitverantwortung der Banken gepocht. Nur im «fruchtbaren Tessiner Humus» hätte Borradori seine Betrügereien so lange ausführen können. Insbesondere die Bank Crédit Suisse hätte dem Anwalt und Notar fahrlässig Kredite zugesprochen, ohne nötige Abklärungen durchzuführen.
Pflichtverteidiger als Zündstoff
Zu diskutieren gab und gibt in der Öffentlichkeit die Tatsache, dass Elio Borradori einen Pflichtverteidiger zugesprochen bekam hat und damit die Gemeinschaft für die Kosten aufkommt. Dabei ist Sohn Marco Staatsrat und sein Bruder Mario Anwalt. Beide arbeiteten in der Kanzlei des Vaters.
Staatsrat Marco Borradori hatte nach eigenen Angaben aber kein Mitwissen an den «kommerziellen Aktivitäten» seines Vaters. Auf Anfrage von swissinfo erklärten die beiden Brüder, dass den Staat eine Mitschuld an dem Durcheinander treffe, da die Staatsanwaltschaft Anfang der 90er Jahre nicht energisch genug vorgegangen war.
Staat soll zahlen
Finanziell hätten sie wegen des väterlichen Konkurses schon viel Geld verloren -einige Hundertausend Franken. Heute finanzierten sie dessen Lebensunterhalt (Wohnungsmiete, Auto) und kämen somit ihrer Unterstützungspflicht nach. Dies rechtfertige die Übernahme der Anwaltskosten durch den Staat.
Doch nicht alle teilen diese Auffassung. Und auch die von Marco Borradori beteuerte Unschuld wird kritisiert. Ein durch Borradori senior geschädigter Geschäftsmann liess vor Gericht seiner Wut freien Lauf. Marco Borradori habe ihm persönlich versprochen, den Schaden seines Vaters zu reparieren. Doch nach der Wahl für die Lega in die Regierung 1995 habe er dieses Versprechen schnell vergessen.
swissinfo und Gerhard Lob, Lugano
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