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Ein ganz bescheidener Philippe Senderos

Philippe Senderos wartet aufs Essen. swissinfo.ch

Eine erstaunliche Begegnung in London mit dem Verteidiger von Arsenal und der Schweizer Nationalmannschaft. Für swissinfo lässt Philippe Senderos in aller Bescheidenheit seine strenge Maske fallen.

Der erfolgreiche Abwehrspieler ist ein Paradebeispiel für gelungene Integration in einer multikulturellen Schweiz.

Für das Gespräch mit swissinfo über sein Leben in der britischen Hauptstadt, seinen Club Arsenal, die Schweizer Nati und die Euro 08 hat Senderos ein kleines italienisches Restaurant im Norden Londons ausgesucht.

Verschiedene Wurzeln

Der Vater von Philippe Senderos, Julian, ist in Spanien geboren, seine Mutter, Zorica, in Serbien. Beide haben sich in Genf kennengelernt und beschlossen, dort zu leben. Ihre beiden Söhne, Philippe und Julien, sind also Schweizer, ohne allerdings ihre Wurzeln zu vergessen.

“Ich habe serbisches und spanisches Blut in meinen Adern, das weiss ich. Ich besitze sogar einen spanischen Pass…bin aber Schweizer. Die Schweiz ist mein Land. Meine Wurzeln und meine Eltern haben mir das immer klar gemacht.” Diese Konstellation sei im Tennis sehr angenehm, scherzt Senderos: “Mit Federer, Nadal und Djokovic gewinne ich immer.”

Als kleiner Junge führte ihn seine Mutter immer ins Genfer Charmilles, das Stadion des FC Servette, das nur eine Busstation von seinem Zuhause weg lag. Dort lernte der kleine Philippe den Umgang mit dem runden Leder.

Beim Erzählen seiner Jugenderinnerungen an einem regnerischen und kalten Donnerstag lacht Philippe Senderos am Tisch im kleinen italienischen Londoner Restaurant herzlich.

Kein Monster

Der Genfer, in Jeans, Minipullover, Baseball-Mütze und um den Hals gewickelten Schal, hat sein Training bei Arsenal erst vor wenigen Minuten beendet. Zum Rendez-vous mit swissinfo in der Nähe von Oakwood trifft Senderos mit seinem schwarzen Offroader ein bisschen verspätet ein. Höflich entschuldigt er sich, er hat es nicht nötig, Diva zu spielen.

Der junge Mann ist erstaunlich natürlich und charmant. Keine Spur von einem rigorosen und disziplinierten, schweigsamen und schwer zugänglichen Monster, wie er da und dort beschrieben wird. Seine kurz geschorenen Haare à la “bad boy” und seine äusserst athletische Erscheinung haben dieses Gerücht vielleicht geschürt.

“Die Leute, die mich kennen, wissen, dass ich nicht den ganzen Tag auf dem Mund hocke. Aber meine Position auf dem Spielfeld bringt es halt mit sich, dass ich mich durchsetzen und mir Respekt verschaffen muss. Ich weiss, dass ich das Image eines ‘Harten’ habe, ich kann doch nur fürs Foto nicht einfach dumm lachen, oder?”

Jung, aber erfahren

Auf dem Spielfeld hat sich Senderos mittlerweile grosses Ansehen verschafft. Trotz seines jungen Alters werden seine Qualitäten sowohl bei Arsenal wie auch in der Schweizer Nationalmannschaft gelobt.

Obwohl erst 23 Jahre alt, gilt er fast schon als alter Fuchs. Man erinnere sich nur an seinen blutüberströmten Hinterkopf nach seinem Tor gegen Südkorea an der WM 2006 in Deutschland. Das Bild ist immer noch präsent.

Schweizer Nationalliga A mit Servette, englische Premier League mit Arsenal, Champions League, Schweizer Nationalmannschaft, Weltmeisterschaft in Deutschland und bald Euro 2008 – Philippe Senderos hat schon viele Erfahrungen gesammelt.

Schwerarbeiter

“Um dort anzukommen, wo ich heute bin – und ich hoffe, dass es erst der Anfang ist – musste ich schwer arbeiten”, sagt Senderos. “Ich habe Qualitäten, aber ich war nie der Talentierteste. Den Unterschied machte ich mit dem Herzen, meiner Disziplin und meiner Arbeit.”

Philippe Senderos benötigt einen regelmässigen Rhythmus, er muss sich viel ausruhen, um seine Leistung zu erbringen. “Denn auf dem Niveau, wie wir den Sport betreiben, ist er wahrscheinlich nicht gerade gut für die Gesundheit. Wir spielen alle drei Tage, und es ist gefährlich, die Kerze von beiden Seiten auszubrennen.”

Und der Mann, der vor seinem Weggang nach England noch die Matura abschloss, sagt, es sei eine Frage der Erziehung und des Willens zu wissen, was man mit seinem Leben machen wolle.

Sich anpassen und kämpfen

Senderos gesteht, dass sich in den letzten fünf Jahren vieles verändert hat. Er hat nichts mehr zu tun mit dem 18-jährigen Spieler, der bei Arsenal anfing, beeindruckt war vom englischen Fussball, der Leidenschaft der Fans im Highbury-Stadion und der Eloquenz des französischen Trainers der “Gunners”, Arsène Wenger.

“Wenn du als Junger in einem Team des Kalibers von Arsenal beginnst, begreifst du rasch, dass du keine Chance hast, wenn du nicht alles gibst”, so Senderos. Seine diversen Verletzungen zu Beginn seiner Karriere in England gaben ihm mehr Zeit, sich in einer fremden Welt und Kultur einzuleben.

Zusammen mit anderen jungen Arsenal-Spielern in einer “Familie von Neuankömmlingen” leben (Senderos lebte mit Johan Djourou und dem Spanier Cesc Fabregas in einer WG), dann in eine eigene Wohnung einziehen, Fahrausweis-Prüfung bestehen, sein erstes Auto kaufen, Englisch lernen, London kennen lernen – das alles braucht Zeit. Vor allem, wenn man wie Philippe Senderos vorher nie das Nest der Familie verlassen hat.

Brücke zu Genf nicht abgebrochen

Aber heute fühlt er sich in der britischen Hauptstadt ganz zu Hause, auch wenn er immer noch stolz ist, Genfer zu sein, und seine Familie, sein Bruder und die meisten seiner Freunde in der Calvin-Stadt leben.

In Genf holt Senderos immer wieder neue Kräfte. In Genf koppelt er sich von der Fussballwelt ab. Aber auch in Spanien, im kleinen Geburtsdorf seines Vaters, 80 Kilometer von Guadalajara entfernt, oder in Madrid, wo er seine Cousins besucht.

Und für den Rest gibt es die modernen Kommunikationsmittel – E-Mails, SMS, Handy. “Ich rufe oft meinen Kumpel Luol Deng an, der bei den Chicago Bulls in der NBA spielt”, sagt Senderos. Wir sind gleich alt, haben denselben Beruf und dieselben Sorgen. Für mich ist es wichtig, jemanden zu haben, der die genau gleichen Dinge erlebt wie ich.”

swissinfo, Mathias Froidevaux, London
(Übersetzung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

Geboren am 14. Februar 1985.

Position auf dem Spielfeld: Innenverteidiger.

Clubs: Servette (2001-2003), Arsenal (seit 2003, erstes Spiel am 27. Oktober 2004).

Schweizer Nationalteam: Europameister U-17 2002, erstes Spiel mit A-Nati am 26. März 2005 in Paris gegen Frankreich (1:1), 24 Spiele im A-Team und (bis Ende 2007) 3 Tore.

Philippe Senderos war im Schweizer Team an der WM 2006 in Deutschland.

Arsenal ist ein englischer Fussballclub, der 1886 von den Arbeitern der Rüstungsfabrik Royal Arsenal gegründet wurde. Deshalb werden die Arsenal-Spieler “Gunners” (Kanoniere) genannt.

Arsenal holte sich bisher 13 Meistertitel und 10 Cupsiegertitel. Auf europäischer Ebene gewann Arsenal 1994 den Cup der Cupsieger und 1970 den UEFA-Cup. 2006 verloren die “Gunners” im Champions League-Final gegen Barcelona mit 1:2.

Arsenal – zur Zeit Leader in der englischen Premier League – wird seit über zehn Jahren vom Franzosen Arsène Wenger trainiert. Er hat Philippe Senderos und Johan Djourou nach London geholt. Seit 2006 spielt Arsenal nicht mehr im Highbury Stadion, sondern im neuen Emirate Stadion, das 60’000 Zuschauer fasst.

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