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Einsatz jenseits der Grenze

Eine grenzüberschreitende Geiselnahme endete im Juni 2001 blutig in Liechtenstein. Keystone

Geht es um Sicherheit, dann kooperieren die Schweiz und Deutschland bestens. Der deutsch-schweizerische Polizeivertrag geht gar über das Abkommen von Schengen hinaus.

Die Schweizer Grenze ist zugleich Aussengrenze der EU wie auch des Schengen-Raumes.

Eine Geiselnahme in Solothurn endet nach einer Flucht quer durch die Schweiz blutig in Liechtenstein. Basler Polizisten verfolgen einen Autodieb über die Grenze nach Frankreich und erschiessen ihn. Ein deutscher Polizist gibt mitten in der Zürcher Innenstadt Warnschüsse ab, um einen flüchtenden Türken zu stellen.

Dass Polizisten grenzüberschreitend aktiv sind, macht nur bei spektakulären Fällen Schlagzeilen oder wenn Polizisten wie in Zürich ihre Kompetenzen überschreiten. Die Polizei in den Grenzgebieten ist jedoch überwiegend mit Alltagskriminalität konfrontiert. Zu schaffen machen ihr aber Einbrecherbanden sowie die grenzüberschreitenden Aktivitäten der rechtsextremen Szene und islamistischer Extremisten, wie Experten aus der Schweiz, Deutschland und Frankreich an einem Treffen vergangenen Monat festhielten.

Modellhafte Kooperation

Die grenzüberschreitende Polizei-Kooperation ist für die Schweiz von grösstem Interesse. Ihre Grenze ist zugleich Aussengrenze der EU wie auch des Schengen-Raumes und damit besonders sensibel. Die Schweiz versucht deshalb mit bilateralen Verträgen die Nachteile des Abseitsstehens so weit wie möglich auszugleichen. Im Polizei- und Grenzschutzbereich regeln separate Verträge mit den Nachbarstaaten die grenzüberschreitende Polizeikooperation.

Seit dem 1. März ist der deutsch-schweizerische Polizeivertrag in Kraft. In deutschen Polizeikreisen geniesst er Vorbildcharakter. Der Vertrag sei ein «mustergültiges Modell» für die zukünftige polizeiliche Zusammenarbeit in ganz Europa, betonte Thomas Schäuble, Innenminister von Baden-Württemberg, wiederholt.

Unter dem Polizeivertrag können gemeinsame Einheiten für Fahndungskontrollen, Observationen oder Ermittlungen eingesetzt werden. Darüber hinaus erlaubt der Vertrag, Straftäter über die Grenze hinweg zu verfolgen und Fahndungsdaten auszutauschen.

Über Schengen hinaus

Kein anderer Polizeivertrag mit den Nachbarstaaten geht so weit wie derjenige mit Deutschland. Laut Veronica Blattmann, Stabsjuristin bei der Bundeskriminalpolizei, geht der Vertrag in mehreren Bereichen gar über das Schengen-Abkommen hinaus. So sind etwa das Festhalterecht und die Schleierfahndung ausdrücklich erlaubt.

«Bei den Verhandlungen mit den Nachbarstaaten war eine unterschiedliche Philosophie vorhanden. Nur Deutschland und Österreich erklärten sich bereit, Lösungen zu entwickeln, die nicht in den Schengen-Verträgen enthalten sind und den Wünschen der Praktiker entsprechen», erklärt Blattmann.

Wichtiger Informations-Austausch

Für die Grenzkantone bringt der Vertrag vor allem eine rechtliche Grundlage für eine seit langem praktizierte grenzüberschreitende Polizei-Kooperation und eine Vereinfachung beim Datenaustausch. «Der Polizeivertrag ist eine Maximallösung», sagt Bruno Keller von der Kantonspolizei Zürich gegenüber swissinfo. Die Fahndungsdaten würden ausgetauscht und seien in der Schweiz in einem deutschen Fenster sichtbar. Der Zugang zu den Schengen-Daten bleibe aber verwehrt.

Erste konkrete Erleichterungen bringt der Polizeivertrag vor allem im Strassenverkehr: «Bisher mussten wir bei Geschwindigkeits-Übertretungen über die jeweiligen Staatsanwaltschaften Ermittlungen machen. Heute bekommen wir die Informationen ohne Umwege», sagt Friederich Müller, Vize-Kommandant Polizei Basel Landschaft, gegenüber swissinfo.

Noch in der Startphase

Die neuen Möglichkeiten und Befugnisse des Polizeivertrags werden vorerst nur zurückhaltend ausgeschöpft. Vorläufig heisst es bei den Polizeikorps der Grenzkantone vor allem einmal informieren, ausbilden und üben.

«Wenn plötzlich im Rahmen einer Nacheile ein Polizeiauto den Grenzübergang überquert und der Beamte von nichts weiss, dann ist er schon erstaunt. Oder wenn in Basel Stadt Observations-Einheiten mit deutschen Nummernschildern herumfahren, dann muss das unseren Leuten zuerst kommuniziert werden», erklärt Vize-Kommandant Müller. Im Moment gehe man im Zweifelsfall davon aus, dass, wenn ein deutsches Auto auf Schweizer Gebiet angetroffen werde, dieses auch befugt sei, hier zu sein.

Bislang kam es noch zu keinen gemeinsamen Ermittlungsgruppen, es wurden aber bereits gemeinsame Einsätze praktiziert. «Beim Seenachtfest in Kreuzlingen und Konstanz gingen Deutsche und Schweizer Polizisten erstmals grenzüberschreitend auf Streife», sagt Ernst Vogelsanger, Sprecher der Kapo Thurgau, gegenüber swissinfo.

Schon länger Erfahrung mit gemeinsamen Einsätzen hat die Kantonspolizei St. Gallen. Im Rahmen des Polizeivertrags mit Österreich und Liechtenstein gehen im Rheintal seit Dezember 2001 Polizisten der drei Länder regelmässig gemeinsam auf Streife.

Komplexe Zusammenarbeit

Vergangene Woche wurde bei einer grossen Übung am Beispiel einer grenzüberschreitenden mobilen Geiselnahme die operativ-taktische Zusammenarbeit der Länder im Bodensee-Region geprobt. Rund 200 Beamte aus Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Deutschland nahmen teil.

«Die Zusammenarbeit auf dieser Stufe ist äusserst komplex», betont der St. Galler Kripo-Chef Bruno Fehr, der mit der Gesamtübungsleitung betraut war. Verschiedene Produkte und verschiedene Frequenzen machten die Funkführung schwierig. «Wie kommunizieren die Einheiten verschiedener Länder direkte miteinander? Wo bleibt bei einem Grenzübertritt die Einsatzführung?»

Zurückhaltung bei der Nacheile

Grenzüberschreitende Verfolgungsjagden sind selten. Die Voraussetzungen im Polizeivertrag für die Nacheile sind derart gestaltet, dass sie nur restriktiv eingesetzt werden kann. «Dieses Instrument geht sehr weit und greift in die Souveränitätsrechte des Nachbarstaates ein», erklärt Veronica Blattmann von der Bundeskriminalpolizei. Zudem müsse in jedem Fall der Verhältnismässigkeit Rechnung getragen werden.

In Basel kam es im Rahmen des deutsch-schweizerischen Polizeivertrags noch zu keiner Nacheile. Dort gründet die Zurückhaltung auch auf konkreter Erfahrung: «Wir machten ja eine in Frankreich, und das kam relativ schief heraus», räumt Vize-Kommandant Müller ein. Den Todesschüssen auf den flüchtigen Autodieb folgte ein langes juristisches Nachspiel.

swissinfo, Hansjörg Bolliger

Schweizer Polizei-Abkommen mit den Nachbarländern:
Italien seit 1.Mai 2000
Frankreich seit 1. Oktober 2000
Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein seit 1. Juli 2001
Deutschland seit 1. März 2002

Die EU hat 1985 mit dem Abkommen von Schengen sämtliche internen Grenzkontrollen abgeschafft. Als Ersatz wurde die Zusammenarbeit der Justiz und der Polizei verstärkt. Technisches Kernstück ist das Schengener Informationssystem (SIS), eine zentrale Datenbank mit sämtlichen Fahndungsdaten.

Die Schweiz bleibt als Drittland von dieser Zusammenarbeit ausgeschlossen. Um nicht zur Fluchtburg ausserhalb von «Schengenland» und zur Drehscheibe der organisierten Kriminalität zu werden, bemüht sich die Schweiz intensiv um eine Teilnahme an Schengen.

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