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Journalisten in CIA-Fax-Affäre freigesprochen

Kritiker der Militärjustiz demonstrieren vor Prozessbeginn in St. Gallen. Keystone

In der CIA-Fax-Affäre sind die drei angeklagten Journalisten von einem Militärgericht freigesprochen worden. Sie erhalten zudem eine Entschädigung von 20'000 Franken.

Der Prozess hatte schon im Vorfeld die Diskussion über Sinn und Unsinn der Militärjustiz angeheizt, vor allem, weil es sich bei den Angeklagten um Zivilpersonen handelte.

Die Arbeit des Strategischen Nachrichtendienstes (SND) sei zwar beeinträchtigt worden, befand das Gericht am Dienstag. Eine Verletzung militärischer Geheimnisse durch die drei Journalisten der Zeitung SonntagsBlick stellten die in Uniformen richtenden Militärs aber nicht fest.

Sie hielten weiter fest, dass es im betreffenden Fall kein Tatbestand sei, wenn die Reputation des SND gelitten habe. Im schlimmsten Fall hätten den drei Medienschaffenden fünf Jahre Zuchthaus gedroht.

Die drei Angeklagten bestritten im Prozess die Legitimität des Militärgerichts: Als Journalisten stünden sie nicht in der Pflicht des Staates, sondern sie hätten eine Wächterfunktion im Interesse der Öffentlichkeit zu erfüllen.

Wo liegt die Grenze?

Schon im Vorfeld hatte der Prozess für heftige Diskussion gesorgt. Kritisiert wurde namentlich der Umstand, dass sich die Journalisten vor der Militärjustiz verantworten mussten.

Im Gegensatz zu den Nachbarländern können in der Schweiz auch heute noch Zivilpersonen vor ein Militärgericht gestellt und verurteilt werden.

Dies ist dann möglich, wenn es um die Verletzung militärischer Geheimnisse geht. Der jüngste Fall der CIA-Fax-Affäre hat in der Öffentlichkeit die Frage wieder aufleben lassen, ob Militärgerichte generell und ihre Gerichtsbarkeit über Zivilpersonen im Besonderen heute noch eine Berechtigung haben.

Dem Image nicht förderlich

“Dass Zivilisten vor ein Militärgericht gestellt werden, ist in Zentraleuropa eine Besonderheit”, sagte Peter Studer, Präsident des Schweizer Presserats, selber Jurist und Kritiker solcher Militärgerichte, gegenüber Radio DRS.

Die Neue Zürcher Zeitung schrieb in ihrer Ausgabe vom 16. April 2007: “In einer Zeit, in der die demokratische Kontrolle über die Streitkräfte an Bedeutung gewonnen hat, vermitteln Militärgerichtsverfahren, in die Zivilpersonen involviert sind, keinen vorteilhaften Eindruck.” Die Armee setze sich dadurch ebenso ärgerlicher wie unnötiger Kritik aus.

Die Militärjustiz war bereits in den frühen 1920er-Jahren umstritten. Mittlerweile plädieren selbst bürgerliche Politiker für das Abschneiden des alten Zopfes. Beispielsweise Otto Schoch, selbst ehemaliger Militärrichter, der 1990 als freisinniger Ständerat zur Abschaffung aufgerufen hatte, aber keine Gefolgschaft fand.

“Modernes Fachgericht”

Ein Grund, weshalb sich die Militärjustiz in der Schweiz so lange halte, liege in ihrem Charakter als “moderne Fachgerichtsbarkeit”, vermutet Stefan Flachsmann, Lehrbeauftragter für Militärrecht an der Universität Zürich.

Er vergleicht sie mit einem Wirtschafts-Strafgericht. Das Fachwissen der Militärrichter könne Fehlurteile verhindern oder die Unabhängigkeit garantieren.

Gerade diese Unabhängigkeit wird aber vielfach angezweifelt: Kritiker werfen der Militärjustiz vor, sie werte militärische Interessen höher als die Verfassung. Besonders, wenn es um mutmassliche “Verletzung militärischer Geheimnisse” durch die Medien gehe.

Unabhängig oder armeefreundlich?

Laut der Anklage der Militärjustiz im Fall CIA-Fax-Affäre haben die Journalisten des SonntagsBlick vor der Publikation die zuständigen Militärstellen kontaktiert, um die Echtheit des Fax-Dokumentes abzuklären.

Dabei sei ihnen von Armeechef Christophe Keckeis klar gemacht worden, dass dieses Dokument nicht veröffentlicht werden dürfe, weil es als geheim klassifiziert sei.

Sein Argument: Das Publizieren geheimer Dokumente könne auf eine Schwächung des Nachrichtendienstes hinauslaufen, womit auch der Auftragserfüllung der Armee und letztlich dem Schutz der Bevölkerung vor Bedrohung Schaden entstände.

Peter Studer bezeichnete Keckeis’ Forderung eines Publikationsverzichts als unrealistisch. Er findet die Publikation des Faxes im Gegenteil sinnvoll.

Auch internationale Kritik

Auch international wird die Schweizer Militärjustiz kritisiert: Der UNO-Menschenrechts-Ausschuss empfiehlt der Schweiz, keine Zivilisten mehr vor ein Militärgericht zu stellen.

Bisher haben die Armeegerichte trotz aller Kritik überlebt. Doch ihre Tage könnten gezählt sein, wenn auch erst auf lange Sicht. Der ehemalige Militärrichter Schoch geht davon aus, dass die Schweizer Militärjustiz in 10 bis 15 Jahren ausgedient haben wird.

swissinfo, Alexander Künzle und Agenturen

Am 15. November 2005 versendet das ägyptische Aussenministerium an seine Botschaft in London einen Fax, worin die Existenz von CIA-Gefängnissen in Europa bestätigt wird.
In der Schweiz wird dieser Fax vom Strategischen Nachrichtendienst (SND) abgefangen und als geheim klassifiziert.
Die Informationen waren jedoch bereits vor Monaten in US-Medien publiziert worden.
Am 8. Januar 2006 publiziert der SonntagsBlick diesen Fax. Laut Zeitung war dies die erste Bestätigung eines Staates, dass die CIA in Europa illegale Gefängnisse betreibe.
Darauf leitet die Schweizer Militärjustiz wegen “Verletzung militärischer Geheimnisse” ein Strafverfahren ein.

In der Schweiz dürfen Zivilisten vor Militärgericht gestellt werden.

Das Militärstrafgesetz stammt aus dem Jahr 1927.

Es richtet sich an Armeeangehörige, kann aber ausnahmsweise – etwa im Fall von Verletzung militärischer Geheimnisse – auch auf Zivilisten angewendet werden.

Dieser Umstand wird in der Schweiz und im Ausland als besonders störend empfunden.

Deutschland und Österreich schafften die Militärjustiz ganz ab, die zivile Justiz genügt ihnen.

Frankreich und Italien schafften die Kompetenz der Militärgerichte ab, über Zivilisten zu urteilen.

Die Kritik an der Militärjustiz in der Schweiz ist fast hundert Jahre alt.

Wegen Kriegswirtschafts-Delikten mussten sich im Ersten Weltkrieg viele Zivilisten vor der Militärjustiz verantworten.

1917 wurde eine Initiative für die Abschaffung der Militärjustiz eingereicht, die aber 1921 vom Volk abgelehnt wurde.

Auch sämtliche folgenden Vorstösse hatten keine Chance.

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