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Kindsentführungen: Alarmsystem für die Schweiz

Fahndungsaufruf nach dem britischen Mädchen Madeleine am Uefa-Cup in Portugal. Keystone Archive

In der Schweiz sollen Alarmsysteme für vermisste Kinder eingeführt werden. Das hat der Nationalrat am Mittwoch beschlossen.

Mit diesem Alarmsystem werden landesweite Fahndungsaufrufe per MMS möglich.

Der Nationalrat hat am Mittwoch zwei Motionen zugestimmt, die nach der Entführung des fünfeinhalbjährigen Mädchens Ylenia eingereicht worden waren.

Der Bundesrat wird damit beauftragt, so rasch wie möglich ein MMS-Alarmsystem für vermisste Kinder einzurichten. Später soll auch ein Entführungsalarm nach amerikanischem Muster eingeführt werden.

Mit diesem Alarmsystem könnte aufgrund einer polizeilichen Verfügung und über Mobiltelefonie-Anbieter eine Multimediamitteilung (MMS) mit dem Bild des vermissten Kindes, dessen Signalement sowie eine Rufnummer versandt werden.

Da über 90% der Schweizerinnen und Schweizer ein Mobiltelefon benützen, böte das leicht umsetzbare Alarmsystem die Möglichkeit, gezielt vorzugehen, sagte Kommissionssprecherin Vreni Hubmann von der Sozialdemokratischen Partei (SP). Zudem könne damit die Chance erhöht werden, dass das vermisste Kind gefunden wird, bevor ihm etwas angetan wird.

Weit gefächerte Mittel

Diese MMS-Suchaktion via MMS könnte als erste Massnahme eines künftigen Entführungsalarmsystems dienen. Dabei ginge es um eine sofortige und systematische Verbreitung von Meldungen und Informationen, welche die Bevölkerung zu besonderer Aufmerksamkeit und zur Zusammenarbeit aufrufen.

Die Verbreitungsmittel sollen sehr weit gefächert werden und sämtliche elektronischen Medien, Web-Instrumente, Anzeigen auf Autobahnen wie auch Durchsagen an Bahnhöfen, Grenzübergängen und Flughäfen einschliessen. Ausgelöst würde die Suche von einer zuständigen Behörde des betreffenden Kantons.

Weitere Entscheide Mitte November

Auch für den Bundesrat besteht Handlungsbedarf. Dabei sei jedoch zu beachten, dass die Strafverfolgung bei mutmasslichen Entführungen von Kindern in der Kompetenz der Kantone liege.

Es ist vorgesehen, diese Problematik zusammen mit Justizminister Christoph Blocher am 15./16. November an der Versammlung der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) zu erörtern.

Vernetzung in EU

In Europa wird es vorerst kein EU-weites Alarmsystem für vermisste Kinder geben. Die EU-Justizminister verständigten sich bei Beratungen in Lissabon lediglich auf die Vernetzung von bestehenden Alarmsystemen der einzelnen Mitgliedsländer. Ausserdem soll in Zukunft eine Liste aller vermissten Kinder in Europa im Internet veröffentlicht werden.

EU-Justizkommissar Franco Frattini hatte sich auch für grenzüberschreitende Fahndungsaufrufe mit Hilfe der Medien oder über SMS eingesetzt.

Die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries wandte sich indes gegen eine “Reizüberflutung mit Bildern”, falls Fernsehzuschauer regelmässig mit Aufnahmen vermisster Kinder aus ganz Europa konfrontiert würden.

Fälle wie der des britischen Mädchens Madeleine, das Anfang Mai unter bis heute ungeklärten Umständen aus einer Ferienanlage in Südportugal verschwand, seien sehr selten.

swissinfo und Agenturen

In einigen Ländern gibt es bereits ein Alarmsystem für vermisste Kinder. So beispielsweise in den USA (1996), in Frankreich (2006) und Griechenland (2006).

Dank solchen Alarmsystemen können bei einer Entführung schnell und landesweit Fahndungsaufrufe durchgeführt werden. Und zwar über die Medien, über Anzeigetafeln auf Autobahnen oder über Durchsagen an Bahnhöfen.

Eine amerikanische Studie von 1993 zeigt, dass die Stunden nach einer Entführung für das Leben des Kindes entscheidend sind: Von 621 Entführungen, die mit Mord endeten, wurden 44% der Kinder innerhalb einer Stunde nach der Entführung getötet. 74% der Morde geschahen innerhalb von drei Stunden, 91% innerhalb von 24 Stunden nach der Entführung.

Diesen Sommer hat die Ermordung der fünfeinhalbjährigen Ylenia in der Schweiz grosse Betroffenheit ausgelöst.

Ylenia wurde am 31. Juli 2007 zum letzten Mal bei einem Hallenbad gesehen. Am nächsten Tag wurde die Tasche des Mädchens samt Inhalt in einem Wald gefunden, 30 km vom Hallenbad entfernt.

Im selben Wald wurde am 1. August 2007 die Leiche eines Mannes gefunden, der offenbar Suizid begangen hatte. In seinem Lieferwagen befanden sich Sachen, die Ylenia gehört hatten.

Wiederum im gleichen Wald hat eine Privatperson, die auf eigene Faust nach Ylenia suchte, die Leiche des kleinen Mädchens entdeckt.

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