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Schweiz-EU: «Eine Pause ist unvorstellbar»

Dante Martinelli wechselt vom EU-Sitz in den fernen Osten. Keystone

Nach fünf Jahren in Brüssel hat der Chef der Schweizer Mission bei der Europäischen Union (EU), Dante Martinelli, seinen neuen Posten in China angetreten.

Botschafter Dante Martinelli informiert über den Stand der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU nach Unterzeichnung der Bilateralen Verträge II.

swissinfo: Die Bilateralen Verträge II sind unterzeichnet und nun in der Ratifizierungsphase. Wird die Schweiz schon bald neue Verhandlungen mit der Europäischen Union – die Bilateralen III – in Angriff nehmen, oder wird nun eine Pause eingelegt?

Dante Martinelli: Jetzt müssen die Bilateralen II zu einem guten Abschluss gebracht werden. Das ist wichtig, denn diese Verträge bringen beiden Seiten viel, der Schweiz insbesondere in Bezug auf Wirtschaft, Finanzen und Sicherheit (mit Schengen). Wir haben da einen beträchtlichen Schritt getan.

Eine Pause? Ich denke nicht. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union sind so intensiv, dass eine Pause unvorstellbar ist. Denn es geschieht immer etwas.

Die EU baut ihre Gesetzgebung und ihre Kompetenzen laufend aus. Sie dehnt ihre Aktivitäten auf neue Sektoren aus.Zudem wird sie mit den verschiedenen Erweiterungen immer grösser. Dieser Partner ist zu wichtig, als dass man eine Pause machen könnte.

Wir werden sehen, wie sich die bilateralen Beziehungen auf institutioneller Ebene entwickeln werden.

swissinfo: Aber kann die Schweiz denn endlos bilaterale Abkommen mit der EU abschliessen? Werden nicht die Nachteile schliesslich die Vorteile überwiegen?

D.M.: Der bilaterale Weg wurde gewählt, weil das Schweizer Volk es so beschlossen hat! Nichts tun bedeutet Rückschritt, denn in einem dynamischen Umfeld wie bei der EU fällt ein Partner zurück, wenn er stillsteht. Die Distanz vergrössert sich.

Unser Ziel ist es deshalb, die Distanz so klein wie möglich zu halten und vielleicht gar ganz zum Verschwinden zu bringen.

Es stimmt, der bilaterale Weg ist schwierig. Und er wird immer schwieriger, weil es immer komplizierter wird, die Themen, mit denen wir uns befassen, auf bilateralem Weg zu regeln. So ist zum Beispiel der Raum der Justiz, der Freiheit und der Sicherheit ein riesiger Bereich, welcher der Europäischen Union eine ganz neue Dimension verleiht.

swissinfo: Welchen Einfluss können die Schweizer Diplomaten in Brüssel ausüben? Die Schweiz ist ja nicht EU-Mitglied. Wie kann man da wissen, was im Rat oder in der Kommission vor sich geht?

D.M.: Wir müssen dauernd Gesprächspartner suchen, im Kontakt mit den verschiedenen europäischen Institutionen bleiben und deren wachsende Kompetenzen im Auge behalten, immer auf dem Laufenden darüber bleiben, was vor sich geht.

Damit diese Kontakte etwas bringen, müssen wir natürlich die Dossiers und unsere Interessen gut kennen. Nur so können wir bis zu einem gewissen Grad die Tatsache kompensieren, dass wir nicht mitbestimmen können.

swissinfo: Hat sich das Image der Schweiz verbessert oder haftet ihr noch immer der Ruf der «Rosinenpickerin» an?

D.M.: Das Bild gibt es nach wie vor. Es wird zu einem Klischee. Aber dieses Image erklärt sich durch die Stellung der Schweiz als Drittland, das nicht zum Klub gehört und dennoch versucht, Elemente zu verhandeln, die Teil der gemeinschaftlichen Errungenschaften (acquis communautaire) sind.

In Wirklichkeit ist die Schweiz keine grössere Rosinenpickerin als alle anderen, ob Mitglied- oder Drittländer, die ihre Interessen verteidigen.

swissinfo: Die Europäische Union zählt ab jetzt 25 Mitglieder. Muss die Schweiz auf noch weniger Verständnis von Seiten Brüssels gefasst sein?

D.M.: Als die EU sich von 15 auf 25 Länder vergrösserte, wurde sie ein heterogeneres Gebilde.

Wir können davon ausgehen, dass sie ihre Anstrengungen in den kommenden Jahren darauf konzentriert, einen neuen internen Zusammenhalt zu finden. Womit sie Drittländern wie der Schweiz weniger Aufmerksamkeit widmen wird.

Im Übrigen brachte die Erweiterung den Beitritt von Ländern, die weiter von der Schweiz entfernt sind. Diese Länder sind für die schweizerische Problematik weniger empfänglich als unsere direkten Nachbarn. Was die Dinge etwas komplizierter macht.

swissinfo: Was erwartet die Schweiz: Eine wachsende Marginalisierung oder im Gegenteil ein zunehmender Druck, der sie zu einer Annäherung an die EU bringen wird?

D.M.: In Wirklichkeit sind wir im Alltag nicht marginalisiert. Wir werden von dieser gemeinschaftlichen Dynamik voll mitgezogen.

Meiner Ansicht nach wird der Unterschied in Zukunft immer stärker auf der Ebene der institutionellen Qualität liegen, das heisst der Nichtmitgliedschaft der Schweiz bei den Institutionen.

In einer Einheit wie der Europäischen Union mit 25 Mitgliedern wird der wirkliche Unterschied zwischen den Mitgliedsländern und der Schweiz im qualitativen Unterschied der Tatsache liegen, dass man Mitglied ist oder eben nicht.

swissinfo-Interview: Barbara Speziali, Brüssel
(Übertragen aus dem Französischen: Charlotte Egger)

Dante Martinelli wurde 1947 in Faido/TI geboren und ist Bürger von Chiasso/TI.
Er hat sein Amt als ausserordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Schweiz in der Volksrepublik China, der Demokratischen Volksrepublik Korea und der Mongolei mit Sitz in Peking am Donnerstag angetreten.

Die Unterzeichnung der Bilateralen Abkommen II am 26. Oktober in Brüssel leitete deren Ratifizierungsphase ein.

Das Schweizer Parlament wird in der Wintersession darüber beraten.

Die Rechtsbürgerlichen werden voraussichtlich das Referendum über Schengen und Dublin und vielleicht gar über die Ausweitung des freien Personenverkehrs ergreifen.

In dem Fall wird die Abstimmung darüber in der zweiten Hälfte 2005 stattfinden.

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