«Vertraulichkeit heisst nicht schweigen»
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz wehrt sich gegen Vorwürfe, es habe zu spät über den Folterskandal in Irak informiert.
Würde das Komitee öffentlich informieren, könnte es vielerorts keine Gefängnisse mehr besuchen, sagte IKRK-Präsident Jakob Kellenberger in einem Interview mit der SonntagsZeitung.
Das Prinzip der Vertraulichkeit dient laut IKRK dazu, die Wirksamkeit der humanitären Aktionen zu erhöhen. Diese Diskretion sei nicht gleichbedeutend mit Schweigen, denn, so Kellenberger, «gegenüber den Behörden sprechen wir Klartext».
IKRK-Forderungen nicht erfüllt
Dieser Grundsatz habe sich, mit Blick auf die weltweite Tätigkeit, bewährt. Die Besuche von Rotkreuz-Delegierten im irakischen Gefängnis Abu Ghraib hätten schon im Frühjahr 2003 begonnen. Seither habe das IKRK schrittweise Verbesserungen festgestellt, sagte Kellenberger. Allerdings seien nicht alle IKRK-Forderungen erfüllt worden.
Die Verantwortung dafür, dass die Gefangenen anständig behandelt würden, liege bei den Besatzungsmächten, in erster Linie bei den USA und Grossbritannien, nicht beim IKRK. Dessen Aufgabe sei es, bei den Behörden zu intervenieren, wenn die Verhältnisse inakzeptabel seien.
Er verstehe, so Kellenberger weiter, wenn viele Menschen angesichts der schlimmen Bilder aus Irak nicht begreifen könnten, warum das IKRK seine Informationen nicht publiziert habe. «Doch den Entscheid, ob man die Vertraulichkeit brechen soll, darf man nicht aus einer bestimmten Situation heraus treffen.»
Keine Sonderrechte für die USA
Auf die Frage, ob «mehr Freiheiten» bei Verhören von Terrorverdächtigen – wie von den USA verlangt – nötig seien, um im Kampf gegen den Terrorismus weiter zu kommen, sagte Kellenberger, dieser Kampf sei kein Argument, um den Schutz der Menschenwürde zu relativieren.
Das humanitäre Völkerrecht sei so angelegt, dass es den legitimen Sicherheitsinteressen der Staaten Rechnung trage und gleichzeitig den Schutz des menschlichen Lebens und der Würde garantiere, sagte der IKRK-Präsident weiter.
«Gewisse Grundsätze wie den Schutz der Menschenwürde darf man nie zu relativieren beginnen. Die Geschichte hat gezeigt, was sonst geschieht.»
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