Was wird er bringen, der Angriff?
Mit Verständnis, aber auch sehr viel Skepsis haben Schweizer Zeitungs-Kommentatoren auf den Beginn der Militärschläge der USA und Grossbritanniens gegen Afghanistan reagiert.
«Jetzt herrscht Krieg», titelt der «Blick» und zeigt jenes Bild, das seit Sonntagabend auf allen TV-Kanälen zu sehen war: die afghanische Stadt Kabul bei Nacht, aber im Blitzlicht der explodierenden Marschflugkörper.
Meistens jedoch blickt der amerikanische Präsident George W. Bush von den Titelseiten. So beispielsweise bei der «Berner Zeitung», die den Angriff mit dem Satz «Das Ziel der USA ist einfach, der Weg aber eine Gratwanderung» beschreibt. Denn die Folgen dieses Krieges, fürchtet das Blatt, könnten verhängnisvoll sein: «Die Herausforderung für die USA ist es, nicht zum Feindbild für die islamische Welt zu werden. Dieses Ziel ist schwerer zu erreichen, als in Afghanistan zu siegen.»
Bomben und Brot
Von «Bomben und Brot» schreibt die Kommentatorin der «Aargauer Zeitung». Es gehe den USA nicht nur darum, ihre geballte militärische Macht zu demonstrieren, sondern sie wolle auch einen Keil zwischen das Taliban-Regime und die afghanische Bevölkerung treiben: «Washington lässt nicht nur Bomben regnen, es verspricht auch humanitäre Hilfe: Bomben für die Taliban – Brot für die Flüchtlinge, lautet die Devise.»
Ähnlich äussert sich auch die «Neue Luzerner Zeitung»: «Bald hält der Winter Einzug in Afghanistan und die Flüchtlingskatastrophe hat Ausmasse angenommen, die nur noch mit massiver Hilfe von aussen in den Griff zu bekommen sind. Der Präsident wandte sich deshalb auch mit einer doppelten Botschaft an die Weltöffentlichkeit: Brot für Afghanistan, Bomben für die Taliban.»
Skeptisch zeigt sich die Zeitung hinsichtlich des Erfolges dieser Attacken: «Bush geht mit der militärischen Antwort das Risiko ein, sich zu blamieren, wenn er das Terrornest Bin Ladens nicht nachhaltig zerstört.»
Mit dieser Perspektive steht das Luzerner Blatt nicht allein da. Auch «Der Bund» warnt: «Die Konsequenzen des nun begonnenen ‹Krieges gegen den Terror› sind … möglicherweise fatal. Wie immer er ausgeht, der Hydra ‹Terror› wachsen mit jedem neuen Krieg neue Köpfe nach.»
Ebenso lautet der Kommentar im «St. Galler Tagblatt»: «Wie gelähmt steht man vor dem Unheil, das, einer griechischen Tragödie gleich, zwangsläufig, unentrinnbar seinen Lauf nimmt. Der Schrecken des 11. September wird auch mit dem Erreichen des in Afghanistan angestrebten Kriegsziels nicht weggewaschen, sondern weitergetragen, wird neue Schrecken hervorbringen.»
Angst vor Flächenbrand
Befürchtungen und Mahnungen, dass ein Flächenbrand ausbrechen könnte, wenn George W. Bush die islamische Welt nicht überzeugen kann, sind zahlreich. Der Zürcher «TagesAnzeiger» meint: «In den kommenden Tagen und Wochen muss (US-Aussenminister) Powell die islamische Welt davon überzeugen, dass die wirklichen Feinde in ihren eigenen Reihen zu suchen sind – und nicht im Pentagon und im Weissen Haus.»
Die Kommentatoren der Schweizer Zeitungen sind sich einig, dass die wahren Anstrengungen, die eigentlichen Problemlösungen erst nach der militärischen Attacke beginnen und weitaus wichtiger, aber auch weitaus komplizierter sind – oder mit den Worten der «Neuen Zürcher Zeitung»: «Weit wichtiger als spektakuläre Militäraktionen, sind … sichtbare Erfolge im politischen Kampf gegen den Terrorismus. Dazu gehört, das Elend der Afghanen im eigenen Land zu beenden und alles dafür zu tun, dass nach dem Sturz der Taliban kein Machtvakuum entsteht.»
Die welsche Zeitung «Le Temps», welche als eine der wenigen Zeitungen ein Bild aus dem Video Osama bin Ladens publiziert hat – aus jenem Video, welches sonntags erstmals ausgestrahlt wurde und in welchem Osama Bin Laden zum Heiligen Krieg aufruft -, warnt ebenfalls und schreibt, «dass eine länger anhaltende Anspannung der Lage in der Region, eine Krise im Mittleren Osten, allfällige Krisen in einem ölproduzierenden Land alles Rezessionsfaktoren sind. Die wirtschaftlichen Kosten des Kriegs könnten demnach höher sein als der politische Gewinn.»
Politische Erfolge gefordert
Auf politischen Gewinn sind die USA vor allem auch zu Hause, im eigenen Land angewiesen. Wenn keine Erfolge präsentiert werden, wird sich Bushs Beliebtheit rasch mindern. Der Krieg, so die «Basler Zeitung», wird so lange dauern, bis Bin Laden gefasst sein wird: «So wenig sich das Problem des globalen Terrors auf die Person des Osama Bin Laden beschränkt, so wenig dürfte Washington die einmal angeworfene Militärmaschine stoppen und den einmal begonnen Krieg stoppen können, ohne dem heimischen Publikum den Kopf des Terrorfürsten zu präsentieren.»
Wie lange wird dieser Krieg also dauern? Wie viele Tote wird es geben? Welches Ende wird er nehmen? Fragen über Fragen. Niemand weiss die Antwort – auch nicht die USA oder Grossbritannien. Die französischsprachige Tageszeitung «Le Matin» fasst in Worte, was wohl als Gedanke in vielen Köpfen kursiert: «Die erste militärische Phase im von Bush angekündigten langen Kampf gegen den Terrorismus bringt Ungewissheit mit sich – und löst Ängste aus. Denn es ist offen, wie lange diese Phase dauern wird, welche Konsequenzen sie haben wird, und wie viele Opfer es geben wird.»
Carole Gürtler
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