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Pandemie: “Die Schweiz ist gut darauf vorbereitet”

Schüler in Hongkong mit Gesichtsmasken. Keystone

Die Weltgesundheits-Organisation WHO hat für die Schweinegrippe die höchste Pandemie-Alarmstufe 6 ausgerufen. Was bedeutet das für die Schweiz? swissinfo.ch sprach kurz vor dem erwarteten Entscheid mit Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am Donnerstag die Schweinegrippe wegen ihrer starken Ausbreitung zur Pandemie erklärt, wie WHO-Generaldirektorin Margaret Chan in Genf bestätigte.

Das mutierte Virus A (H1N1) habe sich über mehr als zwei Kontinente ausgebreitet.

In der Schweiz sieht das Bundesamt für Gesundheit (BAG) keinen Anlass, wegen der Pandemiephase 6 in der Schweiz zusätzliche Massnahmen anzuordnen.

Die derzeitige Lage in der Schweiz bezüglich Schweinegrippe erfordere dies nicht, teilte das BAG nach dem WHO-Statement mit. swissinfo.ch sprach kurz vor dem Entscheid mit Patrick Mathys, dem Leiter des BAG-Sektion Pandemie-Vorbereitung.

swissinfo.ch: Ist das BAG immer noch der Ansicht, dass die Schweinegrippe zurzeit keine grössere Gefahr für die Schweizer Bevölkerung darstellt? Steht dies nicht im Widerspruch zur jüngsten Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO)?

Patrick Mathys: Das Virus hat sich inzwischen auf verschiedenen Kontinenten ausgebreitet.

Die Entwicklung der Fallzahlen weltweit deutet eindeutig darauf hin, dass das Virus nicht kontrolliert werden kann und seinen Zug um die Welt weiter fortsetzen wird.

swissinfo.ch: Was bedeutet es für die Schweiz, wenn nun die Pandemie von der WHO ausgerufen worden ist. Welche konkreten Massnahmen werden ergriffen?

P.M.: Die Schweiz ist gut vorbereitet. Wir haben unsere Massnahmen bereits den weltweiten Gegebenheiten angepasst und handeln nach wie vor situationsbezogen. Es sind daher keine weiterführenden Massnahmen umzusetzen.

swissinfo.ch: Die WHO will ihr Stufensystem revidieren, um Missverständisse zu verhindern. Hätte sie das nicht schon längst tun können?

P.M.: Die ganze Pandemie-Planung hat sich bisher vor allem auf Ereignisse mit Viren, die einen schwereren Krankheitsverlauf auslösen können, ausgerichtet.

Es hat sich jetzt gezeigt, dass eben auch neue Grippeviren zirkulieren können, die ein Pandemie-Potenzial haben, bei denen die hervorgerufenen Krankheiten weniger gravierend sind und wo auch weniger weitführende Massnahmen umgesetzt werden müssen. Das ist eine Lektion, die jetzt sämtliche Länder aus den aktuellen Ereignissen gelernt haben.

swissinfo.ch: 2003 wütete Sars. Welche konkreten Lehren hat man aus dem Umgang mit der Vogelgrippe gezogen?

P.M.: Sars hat uns gezeigt, wie schnell eine neue Infektionskrankheit um die Welt gehen kann, wie schnell es gehen kann, dass neuartige Viren verbreitet werden. Wir haben unser Krisen-Dispositiv entsprechend angepasst, davon konnten wir jetzt sicher profitieren.

swissinfo.ch: Wie bereits bei der Vogelgrippe wird auch bei der Schweinegrippe Tamiflu als Heilmittel gehandelt. Ist es angesichts der Globalisierung nicht kurzfristig gedacht, wenn sich Prophylaxe und Medikamentversorgung ein Privileg des Westens bleiben?

P.M.: Wie bei allen anderen Krankheiten gibt es diesbezüglich ein grosses Gefälle zwischen den industrialisierten Ländern und den Schwellen- und Entwicklungsländern.

Es ist ein Problem, dass sich Entwicklungs- und Schwellenländer wesentlich weniger auf eine solche Situation einstellen können. Allerdings verfügt auch die WHO über Reserven an Tamiflu, die im Notfall von der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt werden können.

swissinfo.ch: Braucht es angesichts dieser Grippen nicht auch ein Umdenken bei der Massen-Tierhaltung?

P.M.: Wo und unter welchen Bedingungen die Schweinegrippe entstanden ist, ist bis heute noch nicht klar.

Es wird jedoch immer wieder zu Übertragungen von Viren aus dem Tierreich auf den Menschen kommen. Viel prekärer als Massen-Tierhaltung ist diesbezüglich die zunehmende Verstädterung und die globale Mobilität, die einmal mehr gezeigt hat, wie schnell solche neuartigen Viren weltweit verbreitet werden.

swissinfo.ch, Corinne Buchser

Nach WHO-Angaben sind unterdessen 27’737 Fälle in 74 Ländern bekannt. 141 Personen starben an den Folgen der neuartigen Grippe.

In der Schweiz ist die Zahl der Infektionen auf 20 angestiegen.

Eine spektakuläre Zunahme der Fälle meldete die WHO am Mittwoch für Chile. In dem südamerikanischen Land stieg die Zahl der an Schweinegrippe erkrankten Personen innert 48 Stunden von 400 auf fast 1700.

Die höchsten Fallzahlen registrierte die WHO in den USA (13’000 Erkrankte/27 Todesopfer), Mexiko (5700/106) und Kanada (2400/4).

Die Symptome von Schweinegrippe sind ähnlich wie bei einer saisonalen Grippe: Fieber, Frösteln, Halsweh, Schnupfen, Muskelschmerzen, Kopfweh und Müdigkeit. Einige Erkrankte leiden auch unter Übelkeit, Erbrechen und Durchfall.

Die Grippeexperten gehen davon aus, dass sich das Virus auf dieselbe Art wie herkömmliche Grippenviren überträgt: über Speichel- und Hustentröpfchen von hustenden oder niesenden Personen sowie durch Händekontakt.

Der Bund besitzt bereits einen Vorrat an Tamiflu. Dieser würde ausreichen, um in einem Pandemiefall in der Schweiz einen Viertel der Bevölkerung zu behandeln, wie Gesundheitsminister Pascal Couchepin sagte. Höchstens so viele Erkrankungen wären im schlimmsten Fall zu erwarten, fügte er an.

Wegen der Schweinegrippe hat der Bundesrat am Freitag den Kauf von 40’000 Packungen Tamiflu als zusätzliche Notfallreserve des Bundes bewilligt. Die Reserve stelle einen raschen Zugang zum antiviralen Medikament im Falle einer temporären Verknappung sicher.

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