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Die Schweiz fasst Fuss in Doha

Das Wachstum und die rasche Entwicklung Katars auf politischer und geopolitischer Ebene gehören zu den Hauptfaktoren, warum die Schweiz in Doha eine Botschaft eröffnet. Reuters

Die Schweiz hat in Doha, der Hauptstadt Katars, eine Botschaft eröffnet. Im Interview mit swissinfo.ch erklärt Botschafter Martin Aeschbacher die Gründe, weshalb die Schweiz ihre Präsenz in dieser Golfmonarchie aufstockt.

Der Schweizer Diplomat, ein Experte für die arabische Welt, war bereits in Bagdad, Tripolis und zuletzt als Missionschef in Damaskus im Einsatz. Neu ist der studierte Islamwissenschafter nun Botschafter im kleinen Golfstaat Katar, ein Land, das für sein Öl bekannt ist und regional ein immer wichtigerer Akteur wird.

Für den Diplomaten zeigt die Eröffnung dieser Botschaft den Willen der Schweiz, sich auf die neue geopolitische Lage auszurichten, nämlich auf die Verschiebung des internationalen Gleichgewichts in Richtung des asiatisch-pazifischen Raumes.

swissinfo.ch: Warum eröffnet die Schweiz jetzt eine Botschaft in Katar?

Martin Aeschbacher: Die Schweiz ist ein Land, das versucht, mit einer grossen Anzahl von Ländern diplomatische Beziehungen zu pflegen. Mit Katar haben wir Beziehungen seit seiner Unabhängigkeit, doch diese wurden von Kuwait aus verwaltet.

Heute spielt Katar eine immer wichtigere Rolle in dieser Region. Dies fällt zusammen mit dem Wunsch Katars, dass wir eine Botschaft in Doha eröffnen und Doha eine in Bern.

swissinfo.ch: Warum braucht es dort eine Schweizer Botschaft?

M.A.: Katar ist ein Land, das am Wachsen ist. Klar, es ist von der Fläche und der Anzahl Einwohnerinnen und Einwohner ein kleines Land, aber die erreichten Fortschritte sind beeindruckend. Katar ist sehr ambitiös. Seine gigantischen Projekte interessieren auch unsere Unternehmen, die übrigens dort einen exzellenten Ruf geniessen.

Doch es gibt nicht nur den wirtschaftlichen Aspekt. Auch politisch spielt dieses Land eine wichtige Rolle – nicht nur in der Region, sondern auch in einem weiteren Rahmen, der sich bis von Sudan in den Libanon und von Jemen bis nach Libyen spannt.

Auch im Bereich des Sports wird Katar eine Reihe grosser internationaler Veranstaltungen durchführen, darunter die Fussball-Weltmeisterschaft 2022. Und unzählige Kongresse in den Bereichen Wissenschaft, Kultur, Bildung usw. Daher hat die Schweiz ein grosses Interesse, in diesem Land vollumfänglich vertreten zu sein.

swissinfo.ch: Kann man sagen, dass sich die Schweiz in Richtung einer Spezialisierung bewegt, indem die politischen Fragen den Botschaften in Riad und Doha vorbehalten bleiben, während wirtschaftliche Fragen eher in Abu Dhabi und Kuwait behandelt werden?

M.A.: Überhaupt nicht. Wir pflegen mit all diesen Ländern Beziehungen in allen Bereichen. Jede Botschaft kümmert sich um politische Fragen wie um wirtschaftliche Beziehungen, Konsulardienste, Kultur- und Bildungs-Zusammenarbeit.

Klar kann je nach der Spezialität eines Landes ein Bereich etwas überwiegen. Im Rahmen dieser Logik ist es möglich, dass die politische Dimension hier in Katar etwas wichtiger sein kann.

Man darf nicht vergessen, dass gegenwärtig eine Verschiebung der traditionellen Achsen der Macht in Richtung der asiatisch-pazifischen Region stattfindet.

Auf multilateraler Ebene verlangen diese aufstrebenden Mächte nach mehr politischem Gewicht und Entscheidungsmacht, die ihrer zunehmenden wirtschaftlichen Stärke entsprechen.

Daher reagiert die Schweiz proaktiv auf diese Veränderungen. Die Beziehungen zu den arabischen Golfstaaten werden immer wichtiger. Diese spielen international eine immer bedeutendere Rolle und sind bedeutende wirtschaftliche Partner für die Schweiz – wo sie auch grosse Investitionen tätigen.

swissinfo.ch: Katar hat in den Vermittlungen, die zu einer Lösung von Konflikten oder Spannungen führten, mit Kenntnis und Fingerspitzengefühl agiert (Jemen, Somalia, Sudan, Libanon). Gibt es da nicht einen gemeinsamen Nenner mit der Schweiz? Sehen Sie im Bereich der Guten Dienste eine mögliche Zusammenarbeit oder zumindest einen Erfahrungsaustausch?

M.A.: Es stimmt, es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen uns und Katar, wie etwa die Mediation. Wir sind beide kleine, reiche Länder, die von grösseren Nachbarn umgeben sind. Wir unterhalten beide gute Beziehungen zu anderen Ländern und sind aktiv in der Vermittlung.

Hier sehe ich Parallelen zwischen der Schweiz und Katar, und meine Präsenz wird es mir zweifellos erlauben, die Initiativen und diplomatischen Bemühungen Katars aus nächster Nähe zu beobachten.

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swissinfo.ch: Die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) hat vor, in Abu Dhabi ein Institut zu eröffnen. Verschiedene US-Universitäten und die Pariser Sorbonne sind bereits in Dubai präsent. Ist die Schweiz auch interessiert, in dieser Region kulturell und bildungspolitisch präsent zu sein?

M.A.: Die Schweiz ist ein liberales Land, in dem der Staat eine weniger grosse Rolle spielt als anderswo. Es sind die entsprechenden Unternehmen, Bildungsstätten, Schulen, die selber entscheiden.

Die Rolle des Staates ist es, nicht zu entscheiden, sondern sie zu unterstützen, zu begleiten und vielleicht Ideen für Projekte beizusteuern.

Es ist klar, dass dies auch von den Investitionen und  Kooperations-Perspektiven abhängt, die einem Projekt zugesprochen werden.

Ich hatte die Gelegenheit, die berühmte Education City in Doha zu besuchen. Sie verfügt bereits über Fakultäten der vier prestigeträchtigsten US-Universitäten. Ich sehe da Kooperationsmöglichkeiten mit der Schweiz, die man nicht vernachlässigen sollte.

swissinfo.ch: Haben Sie sich schon in Doha eingelebt?

M.A.: Was ich derzeit machen kann, ist faszinierend. Ich informiere mich und lerne, aber ich bin bereit von den realisierten und noch geplanten Projekten beeindruckt.

Ich war auch erstaunt vom multikulturellen Aspekt des Landes, der entspannten Atmosphäre, dem Grün, dem Wunsch, die Dinge besser zu machen, um das Leben zu vereinfachen.

1954 in Bern geboren. Von 1975 bis 1982 studiert er Islamwissenschaften in Bern, Damaskus und Aleppo.

1985 tritt er in den Dienst des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und arbeitet als Diplomat in Moskau.

1992 kehrt er in die Bundestadt zurück, wo er Verantwortlicher für die Beziehungen der Schweiz zum Nahen Osten wird.

Zwischen 2003 und 2008 war Aeschbacher Leiter des Schweizer Verbindungsbüros in der irakischen Hauptstadt Bagdad. Dann arbeitete er in der libyschen Hauptstadt Tripolis.

Seit 2007 war er Botschafter in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Infolge des Konfliktes in Syrien wurde er im August 2011 zu Konsultationen zurück nach Bern berufen.

Am 21. Februar 2012 wurde Aeschbacher definitiv aus Damaskus zurückberufen und anschliessend zum Botschafter in Doha, der Hauptstadt von Katar, ernannt.

Martin Aeschbacher ist mit der Schriftstellerin Elisabeth Horem verheiratet. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder.

Die Schweiz hat ihre diplomatischen Beziehungen mit Katar kurz nach der Unabhängigkeit des Landes 1973 aufgenommen.

Bis zur Eröffnung einer Vertretung in Doha wurden die Interessen der Schweiz in Katar von der Botschaft in Kuwait vertreten. Derzeit leben rund 60 Schweizer im Golf-Emirat.

Laut dem EDA haben sich die bilateralen Beziehungen in den letzten Jahren verstärkt: 1995 unterzeichnete die Schweiz mit dem Emirat ein bilaterales Luftverkehrsabkommen. 2004 trat ein Investitionsschutz-Abkommen in Kraft.

Im gleichen Jahr unterzeichneten die beiden Länder ein “Memorandum of Understanding” über die Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft und Ausbildung.

(Quelle: EDA)

Der Handelsaustausch zwischen der Schweiz und Katar ist in den letzten Jahren angewachsen (allerdings mit einem Rückgang 2010 und 2011).

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erklärt sich diesen Anstieg mit dem Umstand, dass Katar den Erlös aus dem Verkauf von Erdöl und Erdgas in Entwicklungs- und Diversifizierungsprojekte investiert.

Während den ersten zehn Monaten 2011 (die jüngsten verfügbaren Zahlen) erreichten die Schweizer Exporte nach Katar 330 Millionen Franken, die Schweizer Importe aus dem Emirat 130 Mio. Franken.

Bei den Schweizer Exporten machen Schmuck, Edelsteine und Edelmetalle, Uhren und Maschinen den Löwenanteil aus.

Die Importe aus dem Emirat umfassen zu 85% den Handel mit Edelsteinen und Edelmetallen sowie Bijouterie-Artikel.

(Quelle: Seco)

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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