Das Parlament, der Everest für die Kandidaten der Fünften Schweiz
Mehrere Dutzend Auslandschweizer bewerben sich bei den Wahlen im Oktober um einen Sitz im eidgenössischen Parlament. Bislang hat noch nie einer von ihnen den Sprung ins dieses Gremium geschafft. Dieses Jahr könnte es aber endlich klappen.
Von Deutschland via Tansania und Hongkong nach Südafrika: Wirft man einen Blick auf die Liste der «ausländischen» KandidatenExterner Link, die sich für die nationalen Wahlen im Oktober bewerben, begibt man sich auf eine virtuelle Weltreise.
Der Rekord von 71 Kandidaten bei den Wahlen von 2011 wird allerdings nicht übertroffen. Gemäss den jüngsten Daten, die von der Auslandschweizer-Organisation (ASO) verbreitet wurden, werden 59 Schweizer im Ausland für einen Sitz in der grossen Parlamentskammer, dem Nationalrat, kämpfen.
«Wir sind mit den Zahlen zufrieden, denn sie zeigen, dass die Parteien ein Interesse an der Fünften Schweiz haben. Die Bildung neuer internationaler Sektionen bei den Parteien geht über die simple Tatsache hinaus, Kandidaten zu haben», sagt Ariane Rustichelli, Ko-Direktorin der ASOExterner Link.
Weniger Kandidaten, aber in mehr Kantonen
Einmal mehr schneidet die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) mit 35 Kandidaten am besten ab. «Es sind etwas weniger als 2011 [damals waren es 50, Anm. d. Red.], aber wir wollten vor allem in mehr Kantonen präsent sein, um der Mehrheit der Auslandschweizer die Möglichkeit zu geben, internationale Kandidaten zu wählen», erklärt Miriam Gurtner, Sekretärin der SVP InternationalExterner Link.
Keine ausländischen Wahlkreise
Im Gegensatz zu anderen Ländern, wo eine bestimmte Anzahl Sitze für Abgeordnete reserviert sind, die im Ausland leben (Italien z.B. 12 Abgeordnete und 6 Senatoren), kennt die Schweiz keinen Wahlbezirk für die Auslandgemeinde. Die Kandidaten, die im Ausland wohnen, müssen sich auf einer Liste ihres Heimatkantons einschreiben oder in jenem ihres letzten Wohnorts in der Schweiz.
Die Einsetzung eines Wahlkreises für Auslandschweizer wurde 2008 vom Parlament abgelehnt.
In den letzten Jahren hat die Zahl der «ausländischen» Kandidaten, die sich für die Nationalratswahlen aufstellen liessen, stetig zugenommen: von einem einzigen Kandidaten 1999 über 15 im Jahr 2003 und 44 im 2007 bis auf 75 im Jahr 2011. Dieses Jahr sind es gemäss den jüngsten Zahlen der Auslandschweizer-Organisation 59, also ein leichter Rückgang.
Bis jetzt wurde noch nie ein Vertreter der Fünften Schweiz in die Grosse Kammer gewählt. Der einzige Fall von im Ausland lebenden Parlamentariern waren Ruedi und Stephanie Baumann von den Grünen resp. den Sozialdemokraten. Ruedi Baumann war von 1991-2003 im Nationalrat, seine Frau von 1994-2003. Das Paar war 2001 nach Frankreich ausgewandert.
Die Partei schlägt in sieben Kantonen internationale Listen vor und hat zusätzlich einen Kandidaten auf der Hauptliste in St. Gallen sowie weitere auf den Listen der Jungen SVP und der SVP Senioren in Zürich und Solothurn.
Die Sozialdemokratische ParteiExterner Link (SP) hat ihrerseits 15 Kandidaten aufgestellt. Auch die SP ist in diesem Jahr in mehr Kantonen präsent als vor vier Jahren. «Die Zahl der Kandidaten ist praktisch gleich. Neu ist, dass wir auch in Zug und im Tessin Kandidierende haben», sagt Peter Hug von der internationalen Sektion der SP.
Mit zehn Auslandschweizer-Kandidaten ist die Christlichdemokratische VolksparteiExterner Link (CVP) im Rennen, und zwar in den Kantonen Bern, Luzern und Tessin. Vor allem im Südschweizer Kanton ist die Präsenz mit acht Bewerbern auf der Tessiner Liste von CVP International besonders stark.
«Die CVP hat in diesem Jahr eine internationale Sektion gegründet, mit dem Ziel, die Auslandschweizer, welche die Werte unserer Partei teilen, zusammenzubringen», erörtert Thomas Jauch, Kommunikationschef der CVP Schweiz.
Wie bereits vor vier Jahren führen die Grünen mit Ausnahme einer Liste mit schweizerischen Grenzgängern für den Kanton Genf keine «internationale Liste». «Auf der Grenzgänger-Liste sind fünf Kandidierende aufgeführt, die in Frankreich leben», sagt Gaëlle Lapique, Fachsekretärin der Grünen ParteiExterner Link der Schweiz.
Andere Strategie bei der FDP
Die Internationale Sektion der FDP.Die LiberalenExterner Link (Mittepartei) jedoch bevorzugt es, «Kandidaten in jenen Kantonen zu unterstützen, die bereits gezeigt haben, dass ihnen die Interessen der Auslandschweizer wichtig sind, oder die unser Wahlmanifest offiziell unterzeichnet haben», erklärt François Baur, Präsident von FDP international.
Die Landsleute im Ausland fehlen aber nicht völlig in den Reihen der Partei: Eine Kandidatin, Helen Freiermuth, figuriert auf der Hauptliste in Zürich.
Bei den zwei «jüngsten» Parteien, der Bürgerlich-Demokratischen Partei der SchweizExterner Link (BDP) und den GrünliberalenExterner Link, finden sich keine Schweizer Kandidaten, die im Ausland wohnen. Einerseits, weil diese zwei Parteien erst seit wenigen Jahren auf der politischen Bühne der Schweiz sind und der Aufbau von Sympathisanten im Ausland Zeit braucht. Andererseits sei «eine Kategorisierung zwischen Schweizern im In- und Schweizern im Ausland nicht sachdienlich», meint Caroline Brennecke, BDP-Koordinatorin in der Romandie.
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In der Heimat oft kaum wahrgenommen und mit einem kleinen Bekanntheitsgrad in den Kantonen, in denen sie sich aufstellen, haben die Kandidierenden der Schweizer Diaspora es bis jetzt noch nie geschafft, einen Sitz im Parlament zu holen. Sie stossen auch immer wieder auf einen gewissen Argwohn. «Für Gewählte, die im Ausland wohnen, erfordert die Präsenz während den Sessionen und die Teilnahme an der Parlamentsarbeit eine hohe Flexibilität und Einsatzbereitschaft. Hinzu kommt, dass sie von gewissen Themen, wie etwa Infrastruktur-Projekten, nicht direkt betroffen sind», sagt Caroline Brennecke.
«Es ist sehr schwierig, bei der Wählerschaft durchzukommen», bestätigen die Verantwortlichen der internationalen Parteien-Sektionen einhellig. Auch aus diesem Grund haben die Freisinnigen «gerne darauf verzichtet, eigene Listen aufzustellen. Die Auslandschweizer sind in einem Kanton registriert und können ihre Kräfte nicht bündeln, um einen der ihren zu wählen. Die Aussicht, einen Sitz zu erringen, liegt praktisch bei null», betont François Baur.
Dieses Mal aber könnte der Moment kommen, wo ein Auslandschweizer es schafft. «Unser Kandidat Tim Guldimann [auf der SP-Liste Zürichs] hat reale Chancen, gewählt zu werden», sagt Peter Hug. Eine Einschätzung, die von verschiedenen Beobachtern angesichts des hohen Bekanntheitsgrads des ehemaligen Schweizer Botschafters in Berlin geteilt wird.
In den Rängen der SVP «hat Roman Rauper aus St. Gallen vermutlich die grösste Chance», meint Miriam Gurtner. Bei den anderen Parteien gibt es jedoch kaum solche, die sich realistische Chancen ausrechnen können.
Die Aussicht, allenfalls schon bald einen Auslandschweizer im Parlament zu sehen, sorgt bei Ariane Rustichelli für Freude. «Das wäre eine gute Sache. So hätte die Diaspora eine doppelte Vertretung: die ASO und einen Abgeordneten. So hätten wir einen grösseren Einfluss, um die Interessen der Fünften Schweiz zu verteidigen.»
E-Voting
Der Optimismus hat sich jedoch etwas abgeschwächt, seit die Regierung Mitte August entschieden hatte, neun von 13 Kantonen die Bewilligung für die elektronische Stimmabgabe nicht zu erteilen.
Fast alle Verantwortlichen der Parteien sind sich einig, dass die Absage an das E-Voting ein Nachteil für die Auslandschweizer-Gemeinde sein könnte. «Es ist eine Katastrophe, denn das Stimmmaterial per Post trifft bei den Schweizern im Ausland häufig zu spät ein. Es kam schon vor, dass sie es am Sonntag nach den Wahlen erhalten haben, was nicht akzeptabel ist», erklärt Peter Hug.
Auch wenn sie den Rückschritt bedauert, betont Gaëlle Lapique ihrerseits, dass die Datensicherheit Priorität habe. «Wenn sie nicht garantiert ist, dann ist es vernünftig, kein E-Voting-System anzubieten. Dennoch zeigen die Beispiele von Genf, Luzern, Basel-Stadt und Neuenburg, dass es möglich ist.»
Nach Ansicht von Miriam Gurtner betrifft das Problem vor allem jene, die ausserhalb Europas leben. «Der Grossteil der Auslandschweizer wohnt jedoch in Europa, und für sie war es nie ein Problem, brieflich abzustimmen. Um gewählt zu werden, braucht es aber auch die Stimmen der Inland-Schweizer. Deshalb glaube ich nicht, dass der Entscheid gegen das E-Voting in neun Kantonen von Nachteil ist.»
«Das ist wirklich schade. Wir müssen davon ausgehen, dass den Kandidaten Stimmen fehlen werden», sagt Ariane Rustichelli. «Nach den Wahlen werden wir Bilanz ziehen und die Zahlen von 2011 mit jenen aus diesem Jahr vergleichen, zum Beispiel im Kanton Aargau, wo die Auslandschweizer vor vier Jahren E-Voting benutzen konnten.»
(Übertragung aus dem Italienischen: Gaby Ochsenbein)
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