Graubünden schickt Grossanlass in der Schweiz bachab
Das Bündner Stimmvolk will keine olympischen Winterspiele im eigenen Kanton. Eine Mehrheit von 52,7% hat eine Finanzreserve für eine Kandidatur 2022 abgelehnt. Damit ist der Olympia-(Alb)Traum für die Schweiz auf Jahrzehnte hinaus ausgeträumt.
Das Projekt zur Durchführung der XXIV. Olympischen Winterspiele 2022 im Kanton Graubünden muss zurückgezogen werden. Mit 52,7 Prozent Ja-Stimmen und einer Beteiligung von über 59 Prozent haben die Stimmenden des Bergkantons eine Kandidatur bachab geschickt.
Die Stimmenden der beiden Olympia-Austragungsorte St. Moritz und Davos haben Ja gesagt zu den Olympischen Winterspielen 2022. Die Gemeinden stimmten in kommunalen Urnengängen den Beiträgen an die Kandidaturkosten zu. St. Moritz war 1928 und 1948 «Host City» der Olympischen Winterspiele gewesen.
«Es ist uns nicht gelungen, den ganzen Kanton von den Chancen einer Kandidatur zu überzeugen», sagte Christian Gartmann gegenüber swissinfo.ch. Angesprochen auf die möglichen Gründe der Absage, sagte der Sprecher des Komitees «Graubünden 2022»: «Ich glaube, dass der finanzielle Aspekt die grösste Rolle gespielt hat. Die Gegner haben in Bezug auf die Olympischen Spiele ganz allgemein eine Prinzipienfrage gemacht.»
Aber er glaube nicht, dass es ein Plebiszit gegen das Internationale Olympische Komitee gewesen sei, wie es die Gegner in den letzten Tagen zu thematisieren versucht hätten.
Eine Niederlage ist das Abstimmungsergebnis nicht nur für die Promotoren, sondern auch für Bundespräsident und Sportminister Ueli Maurer, der von der Kandidatur begeistert war.
Wenig erstaunt über die Niederlage zeigt sich Jörg Schild, Präsident des Vereins Swiss Olympic. «Gestern habe ich 52 Prozent Negativ-Stimmen prognostiziert. Durchgesetzt haben sich die finanziellen Argumente.» Laut Schild war es nicht Aufgabe des Vereins, sich in der Kampagne zu engagieren. «Die Bündner mussten den ersten Schritt tun.»
Er habe das Engagement des Bundespräsidenten Ueli Maurer zugunsten des Projekts geschätzt, obwohl dieser heftig kritisiert worden sei. Dessen Einsatz sei notwendig gewesen, «denn es wären die Spiele der ganzen Schweiz geworden.»
Das Resultat sei auch Ausdruck eines Mangels an Solidarität und der Angst, die in diesem Land regierten. «Jeder bleibt in seinem Garten und hat Angst, innovative Projekte zu lancieren. Wir haben eine grosse Chance verpasst.»
«In den nächsten 20 Jahren können Sie sämtliche Projekte einer Schweizer Kandidatur für Olympische Spiele vergessen», sagte Schild.
Am 3. März haben die Bündner Stimmenden eine Kandidatur für die Austragung der Olympischen Winterspiele 2022 in ihrem Kanton mit klarer Mehrheit abgelehnt.
Allein die Kandidatur hätte geschätzte Kosten von 60 Mio. Franken verschlungen. Davon hätte zwar der Bund die Hälfte, Sponsoren 15 Mio. übernehmen sollen, aber der bevölkerungsmässig kleine Kanton hätte 8 Mio. Franken aus der eigenen Kasse berappen müssen.
Bund, Kanton, der Sportdachverband Swiss Olympic und die Austragungsorte Davos und St. Moritz hatten die Spiele nach Graubünden holen wollen.
Gegen eine Kandidatur engagierte sich das vor allem aus Vertretern von Umweltschutzverbänden zusammengesetzte «Komitee Olympiakritisches Graubünden» ein.
Für die Sicherheit, für die 376 Mio. Franken veranschlagt wurden, wären 5000 Armeeangehörige, 800 Zivilschützer und 2500 Polizisten aus dem In- und Ausland eingesetzt worden.
Ausser im Kanton Graubünden gab es auch im ukrainischen Lemberg, in Oslo, München, Krakau (Polen) Interesse für eine Durchführung der Spiele.
«Nachhaltigkeits»-Versprechen ohne Erfolg
Die Befürworter des Projekts hatten von Anfang an auf die Karte «Nachhaltigkeit» gesetzt und Spiele in einer bescheideneren Dimension in Aussicht gestellt. Graubünden müsse weit weniger investieren als andere Orte, weil die Infrastruktur für die Austragungen aber auch den Transport der Besucher zu grossen Teilen bereits vorhanden seien. Sie versprachen einen klimaneutralen Anlass mit Klimaschutz-Kompensationsprojekten, der auch der einmaligen Bündner Landschaft Rechnung tragen werde, einen Teil der Infrastruktur nach dem Anlass abzubrechen, einen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel.
Die Kritiker, vorwiegend aus links-grünen Kreisen, bezeichneten diese Versprechen als Marketing-Idee. Die meisten Austragungsorte der letzten 20 Jahre hätten noch Jahre lang an den Folgen Olympischer Spiele genagt, argumentierten sie. Sie befürchteten «katastrophale» Auswirkungen für die Natur und die Landschaften der beiden hauptsächlich betroffenen Täler. Dass sich das Internationale Olympische Komitee, das sie als «Geldmaschine» bezeichneten, für den sportlichen Grossanlass im Kanton Graubünden von seinem früheren «Gigantismus» verabschieden würde, hielten sie nicht für glaubwürdig.
Angst vor Gigantismus
Allein die Kandidatur hätte geschätzte Kosten von 60 Mio. Franken verschlungen. Davon hätte zwar der Bund die Hälfte und Sponsoren 15 Mio. Franken übernehmen sollen, aber der bevölkerungsmässig kleine Kanton hätte 8 Mio. Franken aus der eigenen Kasse berappen müssen.
Für die Durchführung waren Kosten von 2,46 Mrd. Franken geschätzt worden. Man hatte gehofft, dass die 17-tägigen Spiele Einnahmen von 1,46 Mrd. einbringen würden.
Die Kostenfrage war vor der Abstimmung landesweit sehr kontrovers diskutiert worden. Umstritten war bis zuletzt die Frage, wer für die Deckung eines allfälligen Defizits verantwortlich wäre, welches das IOC verlangt.
Die Landes-Regierung hatte eine Defizitgarantie von 1 Milliarde versprochen, aber wenige Tage vor dem Plebiszit in Aussicht gestellt, dass der Bund auch ein finanzielles Loch von mehr als einer Milliarde Franken stopfen müsste. Das Risiko bezeichnete die Regierung als vertretbar mit der Begründung, dass die Promotoren verpflichtet seien, ein ausgeglichenes Schlussbudget zu präsentieren. Sonst würde das Bündner Dossier zurückgezogen.
Schweiz tut sich schwer mit Olympia
Schweizer Kandidaturen für Olympische Spiele hatten schon oft für heftige Debatten gesorgt. 1980 hatte das Bündner Stimmvolk Olympia-Pläne im Kanton mit einem Nein-Anteil von 77 Prozent abgeschmettert.
Schmerzlich war die Kandidatur von Sitten für die Winterspiele von 2006, die schliesslich an Turin vergeben wurden. Projekte in Graubünden, Bern, Zürich und Genf waren nach dem Widerstand der Bevölkerung oder der schweizerischen Olympischen Organisationen beerdigt worden, noch bevor sie dem Olympischen Komitee unterbreitet wurden.
Für die Winterspiele 2022 gibt es noch keine offizielen Kandidaturen. Denkbar ist, dass sich München nach dem Scheitern seiner Kandidatur für 2018 erneut bewerben könnte. Interesse signalisiert haben Krakau (Polen), Barcelona, Lemberg (Ukraine) und Oslo.
(Mit Inputs von Arianne Gigon, Chur)
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