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Parlamentarische Immunität auf dem Prüfstand

Am 25. April muss Christoph Blocher vor der Immunitäts-Kommission des Nationalrats antraben, um auf die Vorwürfe der Verletzung des Bankgeheimnisses zu antworten. Keystone

Zwei Parlamentskommissionen entscheiden über die politische Immunität von Christoph Blocher. Der Nationalrat und Ex-Justizminister wird beschuldigt, das Bankgeheimnis verletzt zu haben. Ein beispielloses Ereignis mit grosser politischer Sprengkraft.

Die politische Immunität ist seit langer Zeit ein zentrales Instrument für das reibungslose Funktionieren einer Demokratie.

Ihr ist es in erster Linie zu verdanken, dass sich Mitglieder von Regierung und Parlament frei äussern können, ohne Angst haben zu müssen, dass sie für ihre Aussagen oder Polemiken verfolgt werden.

Die Immunität hilft dabei, den Druck und die Einschüchterungsversuche von Gegnern der politischen Vertreter zu mildern.

Vor dem Gesetz sind alle gleich, doch Politiker können das Recht auf Immunität auch missbrauchen, zum Beispiel, wenn sie ihre öffentlichen Aufgaben nicht wahrnehmen.

In den letzten 20 Jahren hat sich der Umgangston in der Schweizer Politik verschärft. Das Parlament musste sich bereits öfters mit Anträgen zur Aufhebung der politischen Immunität auseinandersetzen. Abgeordneten war Verleumdung oder Rassismus vorgeworfen worden.

Um dieser Tendenz Einhalt zu gebieten, hat das Parlament letztes Jahr beschlossen, die Immunität einzuschränken: Seit dem 5. Dezember ist dieses Recht nur noch für jene Handlungen gültig, die einen direkten Zusammenhang mit der Funktion und den offiziellen Tätigkeiten eines politischen Abgeordneten haben.

Und um die Parlamentskammern vor Anträgen auf Aufhebung der Immunität zu entlasten, werden solche Entscheide nun von zwei parlamentarischen Kommissionen getroffen.

Datendiebstahl

Dem Fall von Christoph Blocher kommt daher eine besondere Bedeutung zu: Zum ersten Mal wird ein Antrag auf Immunitätsaufhebung unter der neuen, strengeren Reglementierung behandelt. Die beiden Kommissionen müssen nun Auslegungskriterien definieren, die als Basis dienen sollen für zukünftige Anträge.

Doch der Fall zieht auch aus verschiedenen anderen Gründen ein grosses Interesse auf sich, geht es dabei doch um Anschuldigungen gegen ein Mitglied der Schweizerischen Volkspartei (SVP) im Zusammenhang mit der Affäre, die zum Rücktritt des Nationalbank-Präsidenten Philipp Hildebrand führte.

Hildebrand hatte am 9. Januar seinen Posten geräumt, nachdem ihm angebliche private Börsengeschäfte vorgeworfen worden waren, die er mit Insiderwissen über den Kurs des Schweizer Frankens getätigt haben soll. Der ehemalige Chef der Schweizerischen Nationalbank (SNB) hatte erklärt, dass die fraglichen Devisengeschäfte von seiner Frau vorgenommen worden waren. Doch seine Glaubwürdigkeit hatte unter der Affäre gelitten.

Die Geschichte an die Öffentlichkeit gebracht hatte die der SVP nahestehende Die Weltwoche, die Anfang Januar Bankdaten Hildebrands publiziert hatte. Diese waren von einem Informatiker bei der Bank Sarasin entwendet worden.

Der Mann hatte die Daten an zwei kantonale Politiker der SVP und an Christoph Blocher weitergegeben. Im Verlauf der letzten Monate hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen diese vier Personen ein Strafverfahren wegen Verletzung des Bankengesetzes eröffnet.

Verteidiger des Bankgeheimnisses

Im Rahmen der Ermittlungen ordnete die Zürcher Staatsanwaltschaft Haus- und Bürodurchsuchungen bei den vier Verdächtigten an, darunter auch in Blochers Villa. Gemäss Presseberichten soll der Ex-Justizminister den Informatiker zum Datendiebstahl angespornt und die Daten an Die Weltwoche weitergegeben haben.

Ziemlich happige Vorwürfe, wenn man bedenkt, dass der SVP-Chefstratege bisher immer als ein harter Verteidiger des Bankgeheimnisses galt.

Blocher weist alle Vorwürfe zurück. Er habe lediglich als «Briefträger» agiert, behauptet er. Am 5. Dezember habe er die Informationen über die Devisengeschäfte Hildebrands lediglich an die damalige Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey weitergegeben. Eine Version, welche die Zürcher Staatsanwaltschaft nicht überzeugt hat. Sie hat daher Ende März die Aufhebung der Immunität des ehemaligen Justizministers verlangt.

Der Fall ist nicht nur einzigartig, sondern auch hochkomplex: «Erstens müssen die Kommissionen feststellen, ob die Handlungen, deren Blocher beschuldigt wird, direkt mit der Ausübung seines politischen Mandates zu tun haben», sagt Strafrechts-Experte Peter Cosandey.

«Ist die Antwort negativ, geht der Fall zurück an die Zürcher Staatsanwaltschaft, die das Verfahren weiterführen kann. Ist sie positiv, müssen die Kommissionen prüfen, ob sie den Antrag auf Aufhebung der Immunität annehmen wollen oder nicht.»

Noch komplizierter wird der Fall, weil nicht klar ist, ob die mutmasslichen Handlungen Blochers vor oder nach seinem Wiedereintritt ins Parlament geschehen sind. Unklar ist auch, ob als Beginn des Mandates und damit auch der Gültigkeit der Immunität die Wahl (23. Oktober) oder die Vereidigung (5. Dezember) als Stichdatum gilt.

Politisches Interesse

In diversen Punkten dieses Falles fehlen praktische Erfahrungen, und die Experten stellen sich Fragen. «Letztlich liegt der Entscheid nicht in den Händen von Juristen, sondern jener Politiker, die in den beiden Kommissionen sitzen», sagt Cosandey.

«In der Vergangenheit haben sich die Parlamentarier fast in allen Fällen gegen die Aufhebung der Immunität ausgesprochen. Vielleicht auch deswegen, weil es eines Tages sie selber betreffen könnte.»

Wobei sich Blocher mit seinem autoritären Stil und seinen extremen Positionen in anderen Parteien nicht eben viele Freunde gemacht hat. Er hat die Schweizer Politik der letzten 20 Jahre wie keine andere Figur geprägt und die SVP von Sieg zu Sieg getragen. 2007 wurde er aus der Landesregierung abgewählt.

Der Frage der Aufhebung seiner Immunität kommt daher grosse politische Bedeutung zu, hatte Blocher doch die Geldpolitik Hildebrands im vergangenen Jahr mehrmals öffentlich angegriffen.

Für die SVP ist die Aufgabe des Parlamentes zuallererst die Klärung der Frage, warum die Aufsichtsorgane die Devisengeschäfte des Ehepaars Hildebrand geduldet haben und warum die Regierung zunächst versucht hat, den SNB-Präsidenten zu decken.

Doch das Parlament hat im März einen SVP-Vorschlag zur Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zur Affäre Hildebrand abgelehnt. Mit einem Entscheid zur möglichen Aufhebung der Immunität von Blocher wird erst Ende des Sommers gerechnet.

In der Schweiz geniessen Mitglieder von Parlament und Regierung eine absolute Immunität im Zusammenhang mit ihren Amtstätigkeiten. Gegen sie kann keine Zivil-, Haft oder Disziplinarstrafe ausgesprochen werden.

Parlamentarier und Bundesräte geniessen zudem eine relative Immunität für Tätigkeiten und Äusserungen ausserhalb ihres offiziellen Amtes. Seit dem 5. Dezember 2011 wird diese Immunität aber nur noch garantiert, wenn die Handlungen einen direkten Zusammenhang mit ihrer Funktion haben.

In den letzten 30 Jahren hat das Parlament 38 Anfragen nach Aufhebung der politischen Immunität behandelt. Lediglich ein einziges Mal, im Fall der zurückgetretenen Bundesrätin Elisabeth Kopp, wurde die Immunität aufgehoben.

Im Fall von drei Abgeordneten haben die Parlamentskammern festgestellt, dass die ihnen vorgeworfenen Aktivitäten keinen Bezug zu ihrer parlamentarischen Tätigkeit hatten und somit grünes Licht für ein Strafverfahren gegeben.

Der Zürcher Nationalrat muss sich am 25. April vor der Immunitäts-Kommission des Nationalrats präsentieren. Diese hatte sich am 28. März erstmals getroffen, um den Fall zu beraten.

In den letzten 20 Jahren hat Blocher die Schweizerische Volkspartei vier Mal nacheinander zu Wahlsiegen geführt. Die rechtskonservative Partei wurde unter ihm zur stärksten politischen Kraft im Land, während sie 1995 noch an vierter Position war.

Blocher war von 1979 bis zu seiner Wahl in den Bundesrat 2003 als Nationalrat im Parlament. 2007 wurde er von einer Mehrheit des Parlaments nicht im Amt bestätigt.

2011 wurde der gegenwärtige SVP-Vizepräsident erneut in den Nationalrat gewählt.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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