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Die scheinbar unmögliche Heirat der beiden Basel

Eine Fusion ist vor allem in Baselland stark umstritten. einbasel.ch

Weniger als ein Jahr nach dem Scheitern des Projekts für eine Wiedervereinigung des Kantons Jura mit dem Berner Jura entscheiden Basel-Stadt und Basel-Landschaft über ein Fusionsprojekt. Für viele ist ein Scheitern programmiert. Das Land stehe institutionellen Veränderungen generell zurückhaltend gegenüber, sagt ein Politologe.

Wird die Schweiz statt wie heute 26 bald nur noch 25 Kantone haben? Möglich wäre es, wenn die Stimmberechtigten der Kantone Basel-StadtExterner Link und Basel-LandschaftExterner Link bei der Abstimmung am 28. September 2014 der Einleitung eines Verfahrens für eine Wiedervereinigung zustimmen. Für zahlreiche Beobachter ist der Versuch, der dritte in weniger als einem Jahrhundert, jedoch schon von vornherein zum Scheitern verurteilt.

“Mir Baselbieter – Verein fürs Baselbiet” heisst es auf dem roten Banner, das die HomepageExterner Link des Vereins ziert, der gegen die Fusionspläne antritt. Der Kanton Basel-Landschaft besteht aus 86 Gemeinden, die sich um die Stadt Basel, am Dreiländereck Schweiz-Frankreich-Deutschland, herum gruppieren. Der parteipolitisch und konfessionell neutrale Verein tritt für die “Unabhängigkeit” und “Selbstständigkeit” des Kantons Basel-Landschaft ein, die laut ihm im Fall einer Fusion verscherbelt würden.

Der Vorstoss für eine Fusion wird mit einer Volksinitiative verfolgt, die 2013 gleichzeitig in beiden Kantonen eingereicht wurde. Für den Verein “Ein Basel”Externer Link und für alle Verfechter einer Kantonsehe machen die Trennung und die parallele Arbeit von zwei Verwaltungen keinen Sinn mehr. “Gemeinsam wären wir stärker, effizienter, kostengünstiger und innovativer”, lautet das Credo der Befürworter einer Fusion.

Basel-Stadt: Mit 37 km2 der flächenmässig kleinste Kanton der Schweiz. Er hat drei Gemeinden: Basel, Riehen und Bettingen. Bevölkerung 2012: 187’425 Einwohnerinnen und Einwohner. Der Ausländeranteil lag bei 33,6%.

Basel-Landschaft: Mit 517 km2 flächenmässig der 19. unter den 26 Kantonen. In den 86 Gemeinden leben total 276’537 Einwohnerinnen und Einwohner. Der Ausländeranteil ist mit 20,1% niedriger als im Stadtkanton. Auch Arbeitslosen- und Sozialhilfequoten sind im Kanton Basel-Landschaft tendenziell niedriger.

Nicht auf der gleichen Wellenlänge

Keine der beiden Kantonsregierungen hat eine Studie über die Vorzüge oder Nachteile einer Fusion in Auftrag gegeben. Die einzige verfügbare Analyse wurde von der Credit Suisse publiziert. Sie kommt zum Schluss, dass auf Verwaltungsebene Einsparungen von 250 bis 400 Mio. Franken pro Jahr möglich wären. Letztlich werde aber alles von der konkreten Umsetzung des Projekts abhängen.

Die Resultate der Abstimmung über die Initiative in den beiden Parlamenten zeigen die Kluft zwischen Stadt und Landschaft: Die Abgeordneten im Kanton Basel-Stadt stimmten mit 63 gegen 15 Stimmen für die Initiative, jene von Basel-Landschaft mit 48 zu 40 dagegen. Regierung und Parlament des Kantons Basel-Stadt empfehlen den Stimmberechtigten ein “Ja” in die Urne zu legen, die Regierung von Basel-Landschaft das Gegenteil – und das Parlament verzichtete auf eine Parole.

Trotz starken Fusionswünschen “spricht in der Stadt niemand darüber”, erklärt Daniel Gerny, Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Basel. Viele sagten sich “was bringt es überhaupt, Basel-Landschaft ist so oder so dagegen”. Es herrsche ein gewisser Fatalismus.

Unsichtbare Grenze

Die beiden Kantone sind heute schon durch rund 120 Partnerschafts-Abkommen miteinander verbunden, deren Grundlage in den beiden Kantonsverfassungen von 1974 verankert ist. Sie betreiben gemeinsam eine Universität und arbeiten in verschiedenen Bereichen zusammen, wie beispielsweise Verkehr, Schulen oder Spitalplanung.

Es gibt auch Orte, wo die Grenze zwischen den beiden Seiten praktisch unsichtbar ist. So trennt die Strasse “Im Langen Loh” die Stadt Basel von ihrer “landschaftlichen” Nachbarin, der Gemeinde Allschwil, aber die Kinder der Anwohner dieser Strasse gehen teilweise im anderen Kanton in die Schule, das heisst, auf der anderen Strassenseite.

“Sogar die Steuerlast ist in der Stadt nicht mehr so hoch” fügt Daniel Gerny hinzu. Doch wenn alles funktioniert, wieso dann das System ändern? “Die Zusammenarbeit hat ihre Grenzen”, erklärt Gerny. “Bei vielen Dossiers sind die Verhandlungen schwieriger geworden.” Und manchmal scheitern die Resultate an der Urne: Wie 2011, als Basel-Landschaft die Erhöhung eines Kredits für das Stadttheater ablehnte.

Ein Städter gegen die Fusion

Aber nicht alle Bürger des Stadtkantons verteidigen die Fusionspläne um jeden Preis. Der ehemalige sozialdemokratische Nationalrat Remo Gysin beispielsweise befürwortet zwar eine Wiedervereinigung. Er unterstützt das Projekt aber nicht mehr, seit die beiden Kantonsparlamente für den geplanten Verfassungsrat vom Prinzip einer paritätischen Besetzung – 60 Abgeordneten aus jedem Kanton – abgerückt sind und stattdessen proportional zur Bevölkerung auf 50 Abgeordnete für Basel-Stadt und 75 für Basel-Landschaft setzten.

Der Entscheid der Parlamente sei als Geste des guten Willens gedacht gewesen, habe aber die Wirkung entfaltet, dass “Pro”-Kräfte ins Lager der Gegner wechselten”, erklärt Daniel Gerny. Und Remo Gysin sagt: “Die beiden Kantone müssen auf Augenhöhe miteinander sprechen können, denn die Prozedur wird den Inhalt bestimmen. In der Politik muss man Kompromisse machen, aber nicht bis zum Punkt, an dem man sich in eine Verliererposition bringt.”

Grenzen der Partnerschaft

Umgekehrt sind nicht alle im Kanton Basel-Landschaft gegen die Wiedervereinigung eingestellt. Ruedi Brassel, Historiker und sozialdemokratischer Abgeordneter im Kantonsparlament, setzt sich für das Projekt ein. Seiner Ansicht nach ist Basel-Landschaft nach einer Phase der Modernisierung eingeschlafen.

“Die Region hat fraglos eine starke Wirtschaftsstruktur. Aber man geht ein Risiko ein, wenn man nur auf Strategien im kleinen Massstab setzt”, sagt er. “Anders als die Stadt haben wir zum Beispiel Grundstücke zur Verfügung. Zusammenzuarbeiten wäre besser, als zu versuchen, sich gegenseitig gute Steuerzahler abspenstig zu machen. Dann müsste ein ausländisches Unternehmen, das ein Grundstück sucht, sich auch nicht mit der Tatsache befassen, dass es zwei Steuersysteme gibt…” 

Ein Einwohner der kleinen Stadt Liestal, der die Fusion befürwortet, aber anonym bleiben möchte, erklärt: “Die Leute fragen sich, was für ein Nummernschild sie im Fall einer Fusion für ihr Auto haben würden, andere haben Angst davor, ihre Stelle bei der Verwaltung zu verlieren, oder in die Stadt gehen zu müssen, um einen Pass zu beantragen… Sie sind sehr fixiert auf ihre kleinen Probleme…”

Und fügt hinzu: “Aber schliesslich wird die Realität Fakten schaffen. Die Zusammenarbeit mit dem Jura, aber auch innerhalb des metropolen Raums, mit den Nachbarn Deutschland und Frankreich, wird rascher voranschreiten als die institutionellen Veränderungen.”

In Leserbriefen und bei öffentlichen Diskussionen geisseln Gegner der Fusion manchmal die Zahl der Ausländer, die in Basel-Stadt (der drittgrössten Schweizer Stadt nach Zürich und Genf) höher liegt, oder die Sozialhilfe, deren Quote in der Stadt ebenfalls höher liegt. Probleme, die – so die Befürchtungen – dann “kofinanziert” werden müssten, was nicht alle wollen.

Schweizer Unbeweglichkeit

Wenn das Basler Projekt wie erwartet an der Urne scheitert, nicht einmal ein Jahr, nachdem ein ähnliches Projekt zwischen dem Kanton Jura und dem Berner Jura abgelehnt wurde, werde dies ein weiteres Mal zeigen, dass sich “institutionelle Veränderungen heutzutage in der Schweiz nicht durchsetzen können”. Diese Ansicht vertritt der Politologe Michael HermannExterner Link, Leiter der Forschungsstelle “sotomo” für Gesellschaft, Politik und Raum an der Universität Zürich.

“Die Schweiz hat es verlernt, ihre Institutionen zu modernisieren”, erklärt Hermann. Diese Unbeweglichkeit hängt seiner Ansicht nach aber nicht mit einer Verteidigung des “Lokalen” gegen das “Globale” zusammen: “Es gibt einfach nicht genug Druck für Veränderungen.” Die Angst, zu verlieren, was man habe, sei grösser als die Aussicht auf mögliche Vorteile in der Zukunft. “Es ist auch klar, dass die Solidarität zwischen unterschiedlichen Räumen nicht zunimmt.”

Für Hermann kann der Status quo eine “schleichende Aushöhlung der Autonomie zu Gunsten horizontaler Vereinbarungen zwischen Kantonen oder Regionen” provozieren. Viele Dienstleistungen – sei es im Spital-, Verwaltungs- oder Schulbereich, aber auch bei der Wasserversorgung oder der Kehrichtabfuhr würden bereits über die Kantonsgrenzen hinweg erbracht.

Die Kantone, ein “folkloristisches Dekor”

Diese “funktionellen” Räume skizzieren bereits eine andere Karte der Schweiz, eine mit zwölf “überregionalen Handlungsräumen”, wie sie im “Raumkonzept Schweiz” bezeichnet werden, das von den Gemeinden, Kantonen und der Eidgenossenschaft gemeinsam erarbeitet wurde. Das Raumkonzept ist ein Orientierungsrahmen und eine Entscheidungshilfe für die künftige Raumentwicklung der Schweiz.

Das Bundesamt für Statistik unterscheidet seinerseits in der Schweiz sieben Grossregionen. Die beiden Basel und der Kanton Aargau bilden in diesem Zusammenhang die Region Nordwestschweiz.

Doch “die Kantone bleiben erhalten, wie eine Kulisse, als Folklore, für die Identität”, fügt Hermann hinzu. Der Polit-Geograph greift zu einer Kontrastmetapher und sagt: “Es ist wie ein Holzchalet vor einem High-Tech-Gebäude!”

Um 1830 herum forderten die Bürger der Basler Landschaft die gleichen Rechte wie die Bürger der Stadt, was ihnen nicht gewährt wurde. Das politische Klima verhärtete sich zusehends, es folgten eine militärische Unterdrückung der Aufständischen Baselbieter, Brandstiftungen und bewaffnete Auseinandersetzungen. 1833 kam es schliesslich offiziell zur Trennung der Landschaft von der Stadt.

Ein Jahrhundert später lancierte ein Verein zur Wiedervereinigung in beiden Kantonen eine Initiative. “Die Gemeinden in der Umgebung der Stadt hatten damals grosse strukturelle Probleme”, ruft der Historiker Ruedi Brassel in Erinnerung. “Es gab kaum höhere Schulen, keine Spitäler. Es war klar, dass die Trennung keinen Sinn mehr machte. Basel-Landschaft war von der Stadt abhängig.”

1936 wurde das Prinzip der Fusion bei Abstimmungen in beiden Kantonen angenommen. Doch dann brach der Zweite Weltkrieg aus. Das eidgenössische Parlament, das einer Wiedervereinigung zustimmen muss, griff das Thema erst 1947 wieder auf.

In der Zwischenzeit hatten die Jurafrage und der Föderalismus für Bedenken gesorgt. Und zur allgemeinen Überraschung lehnte das eidgenössische Parlament die Wiedervereinigung der beiden Basel ab.

In den 1960er-Jahren folgt der nächste Vorstoss. Basel-Landschaft investiert in seine Infrastrukturanlagen. Es wird ein Kantonsspital gebaut, ein zweites soll folgen. Die demografische Entwicklung ist beträchtlich.

Mehr und mehr Bürger lassen sich im Gemeindegürtel um die Stadt nieder, die Steuereinnahmen der Baselbieter Gemeinden nehmen zu. Der Kanton Basel-Landschaft ist in einer soliden finanziellen Lage, während die Stadt Steuersubstrat verliert.

1969 wird erneut über eine Wiedervereinigung abgestimmt, in Basel-Stadt wird die Vorlage deutlich angenommen, während Basel-Landschaft die Fusion verwirft.

Die jüngste Initiative, über die in beiden Kantonen am 28. September 2014 abgestimmt wird, schlägt die Einsetzung eines Verfassungsrats vor, der die Grundlagen für einen vereinigten Kanton ausarbeiten soll. In einem zweiten Schritt würden sich die Stimmberechtigten beider Kantone etwa 2020 zum konkreten Verfassungsvorschlag erneut äussern können.

Stimmen beide Basel dem Projekt zu, braucht es anschliessend die “Gewährleistung” der neuen Verfassung durch die eidgenössischen Räte. Und danach müssen die Stimmberechtigten auf nationaler Ebene noch der Änderung der Bundesverfassung (Anzahl Kantone) zustimmen. Voraussichtlich 2024 könnte die Wiedervereinigung in Kraft treten.

(Übersetzung aus dem Französischen: Rita Emch)

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