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Robinson-Leben in Brasilien

Ein naturnahes, bescheidenes Leben führt die Aargauer Familie Lichtin auf ihrem Gut in Ituberá, Brasilien. (Bild: Brigitte Ariane Müller) Brigitte Ariane Müller

Brisca und Roland Lichtin gaben vor zwei Jahren im aargauischen Möhlin alles auf und erfüllten sich einen Traum in Brasilien.

In Bahia führen sie eine Fazenda mit Kokosnusspalmen und leben vom Verkauf der Früchte.

Nach 40-minütiger Bootsfahrt vom Stadtzentrum von Ituberá erreicht der Besucher das Land der vierköpfigen Familie aus dem Fricktal. Ein langer Steg führt vom Boot ans Land und zum Wohnhaus. Der Küchen- und Esszimmerbereich ist offen und wird nur von einem Dach geschützt.

Brisca, 42 Jahre alt, und Roland Lichtin (36) leben hier mit ihren beiden Töchtern Rebecca (4) und Yaradalha (2). Bis vor zwei Jahren führte das Ehepaar ein gutbürgerliches Leben in der Schweiz.

Alles aufgeben und mit Nichts anfangen

Brisca lernte Damenschneiderin, absolvierte diverse Ausbildungen im Gesundheitsbereich und entschied sich schliesslich für den Tanz. In Möhlin führte sie ein Tanzstudio. Roland arbeitete 18 Jahre lang bei der Aargauer Bank und hatte sich bis ins Kader hinaufgearbeitet.

Doch die beiden träumten von einem anderen Leben, einem Leben in der Natur. Lange suchten sie nach einer Möglichkeit, schlossen sich fast einem Gemeinschafts-Bauernhof in Deutschland an, und ein Projekt in Frankreich scheiterte aus finanziellen Gründen.

“Eines Tages kam Roland mit einem Inserat aus der Basler Zeitung nach Hause mit dem Titel: Fazenda in Brasilien zu verkaufen”, erinnert sich Brisca Lichtin. Ohne lange zu überlegen, flog das Ehepaar über den Atlantik. Sie schauten sich das Land an und entschieden sich. Auf der Fazenda Paraíso wollten sie sich ein eigenes Paradies erschaffen.

Schnelle Abreise

Zurück in der Schweiz organisierten sie alles Notwendige, lernten wie man Hasen schlachtet und Fische ausnimmt und verkauften ihr Hab und Gut, bis nur noch 30 Schachteln mit Erinnerungen übrig blieben. “Ich hätte ein bisschen mehr Zeit gebraucht. Wir reisten Hals über Kopf ab”, bemerkt die Aargauerin im Gespräch.

Am 25. Mai 2001 kam das Ehepaar zusammen mit ihrer Tochter Rebecca auf ihrem neuen Grund und Boden an und musste selber schauen, wie sie zurechtkamen. In der ersten Zeit hatte die Familie noch kein Boot und war auf die Dienste eines Einheimischen angewiesen.

“Er kam jede Woche einmal und nahm uns mit in die Stadt, um unsere Einkäufe zu machen”, erzählt Roland. “Es ist schon komisch, wenn wir in die Fazenda zurückkamen und wussten, dass wir hier erst wieder in einer Woche weg können.” Schliesslich kaufte sich Roland aus ökonomischen Gründen eine eigenes Boot.

Nach einem halben Jahr in der Fremde kam die zweite Tochter Yaradalha auf die Welt.

Vom Ertrag leben können

Die Familie Lichtin lebt so einfach und so naturnah wie möglich. Sie verzichtet weitgehend auf Strom. Zwar steht auf dem Grundstück ein Generator, doch der ist zu laut, um ihn den ganzen Tag laufen zu lassen. Der einzige Kontakt zur Aussenwelt ist das Telefon, welches bei starkem Wind nicht funktioniert, und ab und zu ein Blick in die Inbox im Internet. Geduscht wird mit Regenwasser.

Die einzigen Nachbarn – eine brasilianische Familie – die vor allem vom Krebsefangen in diesem Sumpfgebiet leben, helfen den Schweizern bei der täglichen Arbeit. Die fast 5000 Palmen müssen regelmässig geputzt und gedüngt werden. Zweimal in der Woche verkauft Roland in der Stadt die Kokosnüsse, deren Wasser ein beliebter Energiedrink der Brasilianer ist.

Im Sommer wird er zusätzlich an die Strände hinausfahren. Ausserdem verkauft das Ehepaar Dende-Nüsse, aus denen das für die Region typische Palmöl gepresst wird.

Im Moment lebt das Aargauer Ehepaar mit seinen Kindern allerdings noch von den Ersparnissen aus der Schweiz. Ihr Ziel ist es, so bald wie möglich auf eigenen Füssen zu stehen. Doch eines ist sicher: “Wir haben unseren Traum erfüllen können und wollen hier nicht wieder weg”, sagen die beiden einstimmig.

swissinfo, Brigitte Ariane Müller, Ituberá

600’000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland.
Seit 1990 ist die so genannte Fünfte Schweiz um 150’000 Personen gewachsen.
Im Jahre 2003 lebten in Brasilien 13’000 Schweizerinnen und Schweizer.

Brisca (42) und Roland Lichtin (36) lebten bis 2001 in Möhlin, Kanton Aargau.

Sie leitete ein Tanzstudio, er arbeitete 18 Jahre lang auf der Aargauer Bank.

Seit zwei Jahren lebt das Aargauer Ehepaar zusammen mit ihren beiden kleinen Töchtern Rebecca und Yaradalha in Ituberá, im Bundesstaat Bahia.

Sie bewirtschaften eine rund 35 Hektaren grosse Fazenda mit 5000 Kokosnusspalmen.

Damit haben sie sich einen Traum erfüllt: Ein Leben in der Einfachheit und der Natur.

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