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Schwacher Franken stärkt auch Einkaufstourismus

Attraktiv wirken auch Mega-Stores, nicht nur nachgebende Wechselkurse. Im Bild: Sihlcity, Zürich. Keystone

Vom schwachen Franken profitieren nicht nur Exportwirtschaft und der Fremdenverkehr, sondern auch der Detailhandel in der Schweiz.

Einkaufstourismus fand lange Zeit nur einseitig statt – jenseits der Schweizer Grenze. Mit dem starken Euro kaufen zunehmend auch Ausländer wieder in der Schweiz ein.

“Billiges Ausland – teures Inland” – dieses Klischee stimmt so nicht mehr. Bisher gab immer nur der Einkaufstourismus der Schweizer jenseits der eigenen Grenzen zu reden.

Gemäss Zahlungsbilanz 2006 der Schweizerischen Nationalbank (SNB) gab die inländische Bevölkerung rund 2,6 Mrd. Franken im nahen Ausland aus.

Ein Drittel der inländischen Bevölkerung hat laut einer Einkaufstourismus-Studie von Coop Schweiz 2005 ein- oder mehrmals Güter des täglichen Bedarfs jenseits der Grenze eingekauft.

Der Schweizer Detailhandel schätzt, dass von den 2,6 Milliarden etwas über zwei Milliarden Franken auf Einkaufsfahrten für Lebensmittel und Güter des täglichen Gebrauchs entfielen.

“Weniger teure” Schweiz

Doch vermehrt spüren Ausländer in der Schweiz die gestiegene Kaufkraft ihrer Währung, besonders des Euro. Schweizer hingegen bemerken den Kaufkraftverlust ihres Frankens, besonders bei Reisen in EU-Länder.

Auch die Zinspolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) konnte den Frankenkurs bisher nicht nachhaltig stärken. Die einst so harte Finanzplatz-Währung notiert seit Jahren vor allem gegenüber dem Euro schwach.

Der schwache Franken führt, zusammen mit einer beachtlichen Preisstabilität im Inland, zu einer gesteigerten preislichen Attraktivität der Schweiz gegenüber dem Ausland.

Erste Indizien einer Umkehr?

Gemäss Zahlungsbilanz 2006 der SNB gaben ausländische Tagestouristen und Durchreisende in der Schweiz im vergangenen Jahre 2,9 Mrd. Franken aus.

Das sind satte 6% mehr als im Vorjahr. Melden sich die ausländischen Einkaufstouristen langsam zurück?

Dazu kommt, dass der Detailhandel für 2007 erstmals eine Stagnation oder gar einen leichten Rückgang des Schweizer Einkaufstourismus im nahen Ausland erwartet.

Nicht nur Wechselkurseffekte

Der Schweizer Einzelhandel will die sich abzeichnende Umkehr nicht nur der wechselkursbedingten Verbilligung der Schweiz zuschreiben.

Die Branche führt betriebliche Bemühungen als Grund an, weshalb die Schweiz für ausländische Shopper wieder attraktiver ist.

Die Laden- und Einzelhandelsketten hätten in den letzten Jahren dazugelernt und seien den Konsumenten entgegen gekommen.

“Wir haben beispielsweise in Mega-Stores investiert, mit Riesenangeboten, so wie es die Franzosen und Italiener gewohnt sind und wie es Tessiner und Westschweizer ebenfalls schätzen”, sagt Sibyl Anwander, Leiterin Wirtschaftspolitik/Nachhaltigkeit bei Coop Schweiz.

Bio- statt Gammelfleisch

Deutsche Einkaufstouristen schätzen laut Anwander vor allem seit den Gammelfleischskandalen in Deutschland die Qualität der in der Schweiz angebotenen Lebensmittel.

Bei schrumpfenden Preisdifferenzen kaufen auch die vielen deutschen Grenzgänger ihre Lebensmittel dort ein, wo sich die beste Gelegenheit ergibt, also auch in der Schweiz.

Die Deutschen schätzten es, in der Schweiz die ganze Skala von “günstig” über “de luxe” bis “bio und fair” unter dem gleichen Dach vorzufinden, sagt Anwander.

Schweizer Einkäufer jenseits der Grenze zielen demgegenüber oft die Harddiscounter an, um die volle Preisdifferenz auszuschöpfen.

Administrierte Preise schlimmer als Wechselkurs

Die Schweiz bleibt jedoch nach wie vor ein teures Land. Laut Detailhändlern wirkt sich Protektionismus (Agrarzölle auf Lebensmitteln, Parallelimport-Verbote im Pharmabereich sowie das Nichtanwenden des Cassis-de-Dijon-Prinzips) auf die Preise aus.

Gegen solche wirtschaftspolitischen Einfuhrhemmnisse könne der Detailhandel nicht viel ausrichten. “Wir als Einkäufer merken das immer dann, wenn wir Produkte international über Einkaufsgemeinschaften bestellen, aber nach dem Import in die Schweiz viel mehr dafür zahlen müssen als unsere EU-Einkaufspartner,” so Anwander.

Beispiel Milchprodukte

Sie führt den Milchprodukte-Bereich als Beispiel an: Über Jahrzehnte kostete die Milch in der Schweiz aus politischen Gründen sehr viel mehr als im Ausland, zum Ärger der Verbraucher. In den letzen Jahren ist der Milchsektor in der Schweiz liberalisiert worden, worauf sich die Preise an jene in Deutschland angeglichen hätten. “So eine Preisparität wie heute hatten wir noch nie!”

swissinfo, Alexander Künzle

Direktimport von im Ausland gekauften Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs (Einkaufstourismus):

2001: 1,4 Mrd. Franken
2005: 2,1 Mrd. Franken
2007: voraussichtlich leichte Abnahme

Ein Euro kostete in Franken:

Oktober 2002: 1,47 Fr.
Oktober 2003: 1,55 Fr.
September 2004: 1,55 Fr.
September 2005: 1,55 Fr.
August 2006: 1,57 Fr.
August 2007: 1.65 Fr.

Teuerung bei Nahrungsmitteln und alkoholfreien Getränken in drei Nachbarländern (Jahr 2000: Index 100)

2005: Italien 107,3, Frankreich 105,5; Deutschland 99,7% (Schweiz 100)

(Quelle: Einkaufstourismusstudie Coop, Eurostat)

Im Durchschnitt ging der Schweizer 2005 15 mal pro Jahr über die Grenze einkaufen.
(Stichprobe bei 466 Schweizern, die alle schon Grenzeinkäufe getätigt haben)

Deutschschweizer: 13 Mal
Westschweizer: 7 Mal
Südschweizer: 25 Mal

(Quelle: Einkaufstourismus-Studie Coop)

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