Parlamentarische Immunität fast unantastbar

Parlamentariern und Bundesräten garantiert die Verfassung Immunität vor Strafverfolgung. So soll die freie politische Debatte geschützt werden.
Immer wieder verhinderte die parlamentarische Immunität in den vergangenen Jahren aber auch die Verfolgung wegen rassistischer Äusserungen.
Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Eidgenössischen Räte geniessen Immunität vor Strafverfolgung. Dies gilt ohne Einschränkungen für Äusserungen im National- oder Ständerat. So soll die – demokratisch notwendige – Diskussion sicher gestellt werden. Die absolute Immunität kann nicht aufgehoben werden.
Wer hingegen strafbare Handlungen im Zusammenhang mit seiner amtlichen Stellung und Tätigkeit verübt, geniesst nur eine so genannte relative Immunität. Sie kann vom Parlament aufgehoben werden.
Jasmin Hutter und das elterliche Baumaschinen-Geschäft
In den meisten Fällen aber hält das Parlament die Immunität aufrecht. Davon profitierte in der eben zu Ende gegangenen Session zuletzt Nationalrätin Jasmin Hutter von der Schweizerischen Volkspartei (SVP).
Die frisch gewählte Nationalrätin aus St. Gallen hatte im März des vergangenen Jahres eine Motion gegen die Einführung von Russpartikel-Filtern bei Baumaschinen eingereicht. Ihrer Meinung nach seien in der Schweiz keine funktionierenden Filtersysteme erhältlich, begründete sie die Motion. Pikant: Hutter arbeitet als Baumaschinen-Verkäuferin in der elterlichen Firma.
Zwei Filterhersteller forderten sie auf, sich von ihrer Aussage zu distanzieren. Über ihren Anwalt liess sie ausrichten, sie werde das nicht tun.
Absolute Immunität gilt auch fürs Zeitungs-Zitat
Die beiden Firmen reichten daraufhin Strafanzeige wegen unlauterem Wettbewerb ein. Jetzt musste das Parlament entscheiden, ob die Immunität Hutters aufgehoben werden solle oder nicht.
Die Rechtskommission nahm sich der Sache an und kam zum Schluss, Hutters Äusserungen in der Presse – also ausserhalb des Parlaments – stünden im Zusammenhang mit der Begründung der Motion. Sie seien deshalb durch die absolute Immunität geschützt. Ob Hutter – wie sie vor der Kommission geltend gemacht hatte – in der Presse falsch zitiert worden sei, sei nicht die Aufgabe der Kommission zu beurteilen.
Eine Minderheit der Kommission hatte darauf plädiert, die Äusserungen seien der relativen Immunität zu unterstellen und diese aufzuheben.
Der Nationalrat folgte der Argumentation der Kommissions-Mehrheit am 14. März ohne Gegenstimme. Wenn auch der Ständerat so entscheidet, wird das Strafverfahren gegen Hutter definitiv eingestellt.
Blocher profitierte mehrfach
Bereits mehrfach von der Immunität profitiert hat der heutige Justizminister Christoph Blocher: 1994 hatte er im Nationalrat kurzerhand für seine abwesende Sitznachbarin Lisbeth Fehr abgestimmt. Blocher wurde zwar gerügt, seine Immunität wurde aber geschützt.
Auch sieben Jahre später entschied die Grosse Kammer zu Gunsten von Blocher, der nach einer öffentlichen Rede angeklagt worden war, rassistische und judenfeindliche Äusserungen gemacht zu haben.
Erst einmal wurde die Immunität eines Mitglieds der Regierung aufgehoben: 1989 jene von alt Bundesrätin Elisabeth Kopp, wegen Verdachts auf Amtsgeheimnis-Verletzung und Begünstigung.
Rassistische Äusserungen geschützt
Auch die Immunität des SVP-Hardliners Ulrich Giezendanner wurde 1998 geschützt. Er hatte Okö-Aktivisten als «Terroristen» beschimpft und wurde eingeklagt. Weil er seine Äusserungen auf Nationalrats-Papier geschrieben hatte, wurde er nicht belangt.
Nachdem Rudolf Keller von den Schweizer Demokraten zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen hatte, wollte der Nationalrat seine Immunität aufheben. Der Ständerat wollte davon aber 1999 nichts wissen, und Keller blieb für seine Äusserungen vor der Strafverfolgung verschont.
Jean Ziegler verlor seine Immunität
Keine Gnade liess das Parlament gegenüber dem Banken-Kritiker Jean Ziegler von der Sozialdemokratischen Partei (SP) walten: 1991 beschied die Grosse Kammer, dass seine Immunität aufgehoben werden solle. Gegen Ziegler wurde ein Verfahren wegen übler Nachrede eingeleitet. Er verlor den Prozess und musste 14’000 Franken Strafe bezahlen.
swissinfo, Philippe Kropf
Parlamentarier, deren Immunität geschützt wurde:
2004: Jasmin Hutter, SVP
2001: Christoph Blocher, SVP
1999: Rudolf Keller, SD
1998: Ulrich Giezendanner, SVP
1996: Jürg Scherrer, FPS
1994: Christoph Blocher, SVP
1987: Yvette Jaggi, Bernard Meizoz, Victor Ruffy (alle SP)
1986: Edgar Oehler, CVP
1985: Markus Ruf, NA
Parlamentarier, deren Immunität aufgehoben wurde:
1991: Jean Ziegler, SP
Mitglieder von Parlament und Landesregierung geniessen grundsätzlich Immunität vor Strafverfolgung. Die parlamentarische Immunität wurde 1850 eingeführt.
Wenn aber Äusserungen ausserhalb ihres Amtes für Klagen Anlass geben, kann die Immunität vom Parlament aufgehoben werden.
Dies passierte aber bisher nur ein einziges Mal: Die Immunität des Banken-Kritikers Jean Ziegler wurde aufgehoben, und er wurde vor Gericht zu einer Busse verurteilt.
Mehrfach von der parlamentarischen Immunität profitiert hat hingegen der heutige Justizminister Christoph Blocher von der SVP.

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