
SP-Steuerinitiative: Der Ton wird schärfer

Die linke Volksinitiative "für faire Steuern" geniesst in der Bevölkerung weit mehr Sympathien als zu erwarten war. Bürgerliche Parteien und Wirtschaftsverbände haben daher ihre Anstrengungen intensiviert, um eine Annahme der Initiative am 28. November zu verhindern.
Die von der Sozialdemokratischen Partei (SP) lancierte Steuergerechtigkeits-Initiative schien beim anstehenden Urnengang vom 28.November eine untergeordnete Rolle zu spielen.
Fast die gesamte Aufmerksamkeit konzentrierte sich bisher auf die umstrittene Volksinitiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) zur Ausschaffung straffällig gewordener Ausländer.
Dem Vorschlag der SP für einen Mindeststeuersatz auf hohe Einkommen wurden kaum Erfolgschancen eingeräumt: Die Inhalte der Initiative erschienen zu kompliziert.
Zudem konnte die Linke bisher nur sehr selten die Mehrheit des Stimmvolks hinter sich vereinen, wenn die bürgerlichen Parteien und die SVP einen gemeinsamen Block der Ablehnung bildeten.
Eine vom Institut gfs.bern durchgeführte und von der SRG SSR (Schweizer Fernseh- und Radiogesellschaft) in Auftrag gegebene und am 22.Oktober publizierte Umfrage hat bei den Initiativgegnern aber die Alarmglocken läuten lassen: 53 Prozent der Befragten unterstützen demnach nämlich die Steuergerechtigkeitsinitiative, nur 23 Prozent sprachen sich dagegen aus.
Wirtschaftskreise, Regierung und die bürgerlichen Mitte-Parteien begannen, ihre Kräfte zu mobilisieren. Und innerhalb von wenigen Tagen häuften sich die Stellungnahmen, die vor einer Annahme der Initiative warnten. Der Ton in der Debatte nahm an Schärfe zu.
Vorteile des Steuerwettbewerbs
«Diese Initiative verspricht mehr Gerechtigkeit, aber in Wahrheit kann das Projekt seine Versprechungen nicht einhalten», kritisierte Hans-Rudolf Merz Ende Oktober in einer seiner letzten Erklärungen vor dem Ausscheiden als Bundesrat. «Man kann nicht von Gerechtigkeit sprechen, wenn ein Prozent der Bevölkerung, das bereits 35 Prozent des Steueraufkommens bestreitet, noch stärker zur Kasse gebeten werden soll», so Merz.
Der ehemalige Finanzminister verteidigt den Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen mit Leib und Seele: «Dank diesem Wettbewerb verfügt die Schweiz über ein gutes Steuerklima: Die Kantone werden gezwungen, sowohl die Steueransätze als auch die Ausgaben der öffentlichen Hand moderat zu halten. Wenn Mindestansätze für Steuern eingeführt werden, wie es die Initiative verlangt, besteht die Gefahr, dass die Kantone unnötig Geld ausgeben.»
Unterstützt wird diese Position von der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK), die sich für die Souveränität der Kantone einsetzt. «Die SP-Steuerinitiative stellt einen Frontalangriff gegen die Autonomie der Kantone und Gemeinden in Steuerfragen dar», erklärte der Tessiner Regierungspräsident Luigi Pedrazzini im Namen der KdK.
Seiner Meinung nach erlaubt der Steuerwettbewerb auch abseits gelegenen Kantonen eine gewisse Standortattraktivität: «Diese Kantone bekunden im Vergleich mit den starken Wirtschaftsregionen mehr Mühe, qualifiziertes Personal zu finden und auf dem internationalen Markt präsent zu sein. Dank des Steuerwettbewerbs können diese Kantone gewisse, durch ihre geografische Position bedingte Nachteile ausgleichen.»
Gegen Wettbewerbs-Exzesse
Diese Argumentation wird von den Befürwortern der Initiative klar zurückgewiesen. «Diese Initiative stärkt die Autonomie der Kantone. Die Kantonalregierungen werden nicht länger dem exzessiven Steuerwettbewerb ausgesetzt sein, der sie auch gegen ihren Willen dazu zwingt, die Steuern für die Reichsten herabzusetzen», meint SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr.
«99 Prozent der Bevölkerung hat Vorteile von dieser Initiative, die letztlich nur ein Prozent der Reichen betrifft. Dieser kleine Kreis von Personen kann sich nicht länger seinen sozialen Verpflichtungen entziehen und in Steueroasen am Zürich- oder Zugersee flüchten», sagt die Sozialdemokratin.
«Die Souveränität der Kantone wird ebenfalls nicht eingeschränkt, denn die Kantone können für 99 Prozent ihrer Bevölkerung die Steueransätze frei festlegen», hält der Grünen-Parlamentarier Alec von Graffenried fest. Man wolle einzig die Exzesse eines Steuerwettbewerbs beseitigen, der die nationale Solidarität untergrabe, betont er.
Wegzug reicher Personen?
Die «Initiative für faire Steuern» wird der Steuerattraktivität der ganzen Schweiz schaden, meinen die Gegner.
«Einerseits verliert die Schweiz an Attraktivität für ausländische Firmen, die sich hier niederlassen wollen. Und einige Unternehmungen und vermögende Personen könnten die Schweiz sogar verlassen», meint Martin Landolt von der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP).
Die Drohung mit dem Wegzug vermögender Personen wird von den Befürwortern der Initiative zurückgewiesen. «Diese Art von staatlicher Erpressung ist nicht akzeptabel von Personen, die extrem hohe Einkommen haben», regt sich SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr auf.
Die Schweiz bleibt gemäss Befürwortern auch nach einer allfälligen Annahme der Initiative steuerlich attraktiv. Demnach verfügen nur Bulgarien, Rumänien und Polen über attraktivere Steueransätze für versteuerbare Einkommen über 300’000 Franken.
In der Schweiz dürfen die Eidgenossenschaft (Bund), die Kantone und Gemeinden Steuern erheben.
Die Eintreibung der Steuern obliegt den Kantonen.
Der Bund erhebt eine Steuer auf das Einkommen, die sogenannte Direkte Bundessteuer.
Der Grossteil der Einnahmen des Bundes ergibt sich durch indirekte Steuern, beispielsweise die Mehrwertsteuer (MWSt), welche die wichtigste Geldquelle des Bundes darstellt.
Die Einnahmen der 26 Kantone werden hingegen vor allem aus den direkten Einkommens- und Vermögenssteuern generiert.
Jeder Kanton ist in seiner Steuergesetzgebung frei und kann die jeweiligen Besteuerungsansätze festlegen.
Die rund 2800 Gemeinden können ihrerseits im Rahmen der kantonalen Gesetzgebung ihre Einkommens- und Vermögenssteuer frei festlegen.
Für alleinstehende Personen beträgt der Grenzsteuersatz der kantonalen und kommunalen Einkommenssteuern zusammen mindestens 22% auf dem Teil des steuerbaren Einkommens, der 250’000 Franken übersteigt.
Für alleinstehende Personen beträgt der Grenzsteuersatz der kantonalen und kommunalen Vermögenssteuern zusammen mindestens 5‰ auf dem Teil des steuerbaren Vermögens, der 2 Millionen Franken übersteigt.
Für gemeinsam veranlagte Paare und für alleinstehende Personen, die mit Kindern zusammenleben, können die Grenzbeträge erhöht werden.
Der durchschnittliche Steuersatz jeder der von Bund, Kantonen oder Gemeinden erhobenen direkten Steuern darf weder mit steigendem steuerbarem Einkommen noch mit steigendem steuerbarem Vermögen abnehmen.
(Übertragen aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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