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Mehr Schweiz auf 43 Quadratmetern geht nicht

Zwei Männer in Nikolauskostüm
Chris Fankhauser und Matthias Kaiser in ihrem Laden. swissinfo.ch

Fonduemischungen, Basler Leckerli, Appenzeller Bärli-Biber – und ein Gespräch auf Schwyzerdütsch. Im Chuchichäschtli in Berlin können Schweizer ihr Heimweh stillen und Deutsche Neues entdecken.

Weihnachten naht, Chris Fankhauser und Matthias Kaiser tragen Nikolausmützen und strahlen die gleiche entspannte Gemütlichkeit aus wie ihr Geschäft. Die beiden lebten seit zehn Jahren in Zürich, als sie während eines Berlinbesuchs die Idee hatten, in der deutschen Hauptstadt einen Laden mit Schweizer Produkten zu eröffnen. Das war vor sieben Jahren. Chris gab eine Suchanzeige auf und dann ging alles viel schneller als erwartet: Nach einer Woche war die ideale Lokalität im Bezirk Wilmersdorf gefunden: ein gutbürgerlicher Kiez im Westen Berlins, in dem sich Kunden die Schweizer Spezialitäten auch leisten können.

Drei Monate später hatten sie ihr Leben von Zürich nach Berlin verlegt und das Abenteuer begann. “Ich habe gedacht, wir haben sie nicht mehr alle”, lacht Chris, der gebürtige Solothurner. Sein Partner Matthias stammt aus Waldshut – nur einen Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt, wird aber auch von Schweizern für einen Eidgenossen gehalten. Und dann sprangen sie gemeinsam ins kalte Wasser. Zwar hatten sie Erfahrungen aus ihren Jobs im Einzelhandel, aber plötzlich ihre eigenen Chefs zu sein, das war dann doch eine andere Nummer.

Schnitzel zum Käsefondue

Der Beginn der Selbstständigkeit war aufwendig und anstrengend, erzählen die beiden. Die Waren von 50 Schweizer Lieferanten müssen an der Grenze verzollt werden. Das sorgt noch heute für viel Arbeit. Einige Produkte führt das Chuchichäschtli in Deutschland exklusiv. Ihre Fonduemischungen werden eigens für sie in der Schweiz gemischt, sie gehören zum Renner im Sortiment. Raclette-Käse gibt es auch in so ungewöhnlichen Geschmacksrichtungen wie Safran oder Portwein-Pfeffer.

Geschäft
Von Schokolade bis Schweizer Taschenmessern – im Chuchichäschtli gibt es alles, was das Schweizer Herz begehrt. swissinfo.ch

Immer wieder möchten deutsche Kunden wissen, was die Eidgenossen denn so als Beilage zu ihren Spezialitäten verzehren. Dass ein Käsefondue tatsächlich allein mit Käse und Brot komplett ist, wollen sie dann kaum glauben. “Ein Kunde erzählte mir, dass er statt Brot Schnitzel in den Käse taucht”, erinnert sich Chris lachend. Eine ältere Dame bestand wiederum darauf, dass in ein echtes Käsefondue zum Schluss ein Schuss Ketchup gegeben werde. “Sie meinte wohl das Walliser Fondue mit Tomaten”, vermutet er. Jetzt zur Adventszeit verkaufen sich die Basler Leckerli besonders gut. Deutsche Kunden denken wegen der Gewürze, dass es sich um ein reines Weihnachtsgebäck wie deutsche Spekulatius handelt. 

1500 Schweizer Produkte

So Schweizerisch wie der Inhalt ist auch der Name des Geschäfts – ein Zungenbrecher beziehungsweise Rachentöter für Deutsche. Der kleine Küchenschrank Chuchichäschtli ist zum Bersten voll, als hätte jemand beweisen wollen, wie viele Produkte auf 43 Quadratmetern unterzubringen sind. Es sind 1500, in schönster Ordnung und ästhetisch dekoriert. Am Eingang rechts präsentiert ein Kühlregal zwölf verschiedene Fonduemischungen und ein Dutzend Sorten Raclette-Käse, gleich daneben gibt es die passenden Fonduesets. Der Weg durch den kleinen Verkaufsraum zur Kasse führt vorbei an Schweizer Schokolade, edlen Bränden, Müslis und Weihnachtskugeln mit Schweizer Kreuz. Hinter der Theke hängen Kuhglocken und Taschen aus Schweizer Armeedecken. Und auch eine Vitrine mit Militär-Sackmessern fehlt nicht. Kurzum: Es gibt nichts, was es nicht gibt in diesem Laden. Und alles eint, dass es garantiert aus der Schweiz stammt.

Erinnerungen an die Kindheit

Chris Fankhauser und Matthias Kaiser erkennen die Herkunft ihrer Kunden sofort an deren Kaufverhalten, schon bevor sie sich durch ihren Sprachklang zu erkennen geben. Wer mit Kägi-Waffeln und Zweifel Chips an der Kasse steht, ist garantiert ein Eidgenosse. “Der Schweizer kauft eher Profanes, Dinge oder Lebensmittel, die ihn an seine Kindheit erinnern”, sagt Matthias. Für Eidgenossen sei das Chuchichäschtli ein Stück Heimat. Diese emotionale Bindung besässen deutsche Kunden nicht. Sie seien eher auf Suche nach etwas Besonderem. “Sie haben Lust auf etwas Neues und lassen sich beraten”, so Matthias´ Erfahrung.

Er liebt es, mit Kunden zu plauschen und sich mit der Nachbarschaft zu vernetzen. “Es ist ein schönes Miteinander hier”, sagt er. Dass er täglich intensiv das Trottoir fegt, finden die Berliner nach wie vor lustig – und es führt zu vielen Gesprächen. “Ich habe es eben gerne sauber vor unserer Tür”, sagt er lachend. Ganz so wie er es aus Süddeutschland und der Schweiz gewohnt ist. Ansonsten vermissen die Beiden in Berlin nichts, auch wenn die Berliner Direktheit für einen Schweizer schon speziell sei. Doch die Liberalität der Stadt hat sie von Anfang an angezogen. Der Laden war dann eher die Idee, die den beiden hier eine Lebensperspektive eröffnete.  Sentimentalität und Patriotismus, sagt Chris, seien jedenfalls nicht die Triebfedern gewesen. “Wir haben einfach das sehr gute Label Schweiz zu unserem Beruf gemacht”, sagt er. Das Geschäft läuft gut, auch dank des Online-shops. Mittlerweile beliefern die beiden Kunden in ganz Europa, die können innerhalb der EU ohne Zollformalitäten in Berlin Schweizer Spezialitäten einkaufen.

Chris und Matthias sind eng mit den Exilschweizern in Berlin vernetzt. Auch die Schweizer Botschaft kauft bei ihnen ein. Fünf Jahre lang richteten sie in ihrer Strasse ein Fest zum Nationalfeiertag am 1. August aus – mit Schweizer Spezialitäten, Jodlerinnen, Alphornmusik und Lesungen. 2018 mussten sie schliesslich vor dem Andrang kapitulieren. Aus dem Nachbarschaftsevent war eine Riesenattraktion geworden. Zu viel für ihren Zweimann-Betrieb. Das Fest fand dann dennoch statt – im Hafen der lokalen Ausflugsreederei. Und natürlich mit Unterstützung des Chuchichäschtli.

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