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Mit Auslandschweizer:innen an der Basler Fasnacht: «Wir haben die Hälfte der Gruppe verloren»

Fasnachtscliquen ziehen mit Laternen durch die Strassen am Morgenstreich in Basel
Um Punkt vier Uhr werden am Morgestraich jeweils die Lichter in der Innenstadt gelöscht, sodass die Laternen der Fasnächtler:innen die einzige Lichtquelle sind. Keystone / Georgios Kefalas

Eine Gruppe des "Club Suisse de Strasbourg" reist zum Morgestraich nach Basel. Irgendwann verliert man sich, die Menge drückt, man hat Hunger – aber die Begeisterung behält die Oberhand.

Montagmorgen, 3 Uhr, Bahnhof Basel SBB. Sichtet die Frühaufsteherin hier normalerweise lediglich den einen oder anderen schlafberaubten Leidensgenossen, so schwappt ihr an diesem 10. März eine regelrechte Völkerwanderung entgegen.

Mit jedem Zug wird eine weitere Welle Menschen in den Bahnhof entladen, die sich dem Strom Richtung Innenstadt anschliessen, Hunderte mit einem Ziel.

Punkt vier Uhr beginnt mit dem Morgestraich die Fasnacht. Die «drey scheenschte Dääg», wie sie von der lokalen Bevölkerung genannt wird. Drei Tage Ausnahmezustand, drei Tage Piccolo-Pfeifen und Trommeln, drei Tage Betrachtung des Weltgeschehens durch die sarkastische Linse der Fasnacht.

Wem das zu viel ist, dem bleibt für diese Zeit nur die Flucht in ruhigere Gefilde, weg von Basel.

Etwas abseits des Besucher:innenstroms hat sich eine Gruppe von zehn Personen am Bahnhof eingefunden. «Club Suisse de Strasbourg» steht auf einem folierten A4-Papier.

Fasnachtscliquen ziehen mit Laternen durch die Strassen am Morgenstreich in Basel, am Montag, 10. Maerz 2025. Mit dem Morgestraich beginnen am Montagmorgen um 04:00 Uhr die drey scheenschte Daeaeg in Basel. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Selbst aktive Fasnächtler:innen halten den Morgestraich mit dem Handy fest. Keystone / Georgios Kefalas

«Wir nahmen um 1:40 Uhr den Zug in Strassburg, um pünktlich hier zu sein», sagt Sébastien Oberlé, Präsident des Club Suisse de Strasbourg. Nach 2023 hat der Schweizer Verein seine Mitglieder zum zweiten Mal dazu eingeladen, die grösste Fasnacht der Schweiz zu besuchen, die 2017 von der Unesco in das Weltkulturerbe aufgenommen wurde. «Wir konnten es nicht erwarten, wieder nach Basel zu kommen.»

«Syg wie de wottsch»

Eingehüllt in einen olivgrünen Wintermantel, den Rucksack über der Schulter, fehlt dem Präsidenten des Club Suisse de Strasbourg nur noch der finale Touch für den heutigen Ausflug: die «Blaggedde!»

Diese wird der Schar am Bahnhof förmlich aufgedrängt. An fünf Standorten in der Eingangshalle haben sich Mitglieder von Fasnachtsgruppierungen sowie Strassenhändler:innen strategisch stationiert, damit sie nicht zu übersehen sind – und vor allem nicht zu überhören. Das angepriesene Gut: eben jene «Blaggedde».

Dabei handelt es sich um eine Art Brosche, die jedes Jahr passend zum jeweiligen Fasnacht-Motto neu entworfen wird. Die Verkaufs-Einnahmen dienen dazu, die Fasnachtscliquen zu subventionieren. Wer keine «Blaggedde» trägt, wird mit entrüsteten Blicken und teils mit Konfetti («Räppli», wie sie in Basel genannt werden) bestraft.

Die fünf Versionen der Plakette 2925 in Bronze, Silber, Gold, Bijou und Anhänger.
Die Figur auf der diesjährigen «Blaggedde» vereint traditionelle Basler Kostüme und Utensilien. Fasnachts-Comité

Die diesjährige «Blaggedde» zeigt eine fiktive Fasnachtsfigur, die mehrere traditionelle Kostüme und Utensilien vereint. Ganz nach dem Motto der Fasnacht 2025: «Syg wie de wottsch» (zu Deutsch: Sei, wie du willst). «Damit wird die aktuelle Diskussion um das Selbstbestimmungsrecht des Menschen und die damit verbundene Gender-Thematik aufgegriffen», schreiben die Verantwortlichen.

Schweizer Kultur im Herzen

3:30 Uhr, neue «Blaggedde» schmücken die eine oder andere Jacke der aus Strassburg angereisten Gruppe. Zeit, sich dem Sog Richtung Innenstadt anzuschliessen. Je näher diese rückt, desto dichter wird das Getümmel. Die vergleichsweise warmen Temperaturen von 8 Grad scheinen noch mehr Menschen als sonst frühmorgens aus dem Bett gelockt zu haben.

Die angereisten Auslandschweizer:innen und Französ:innen («Alle sind willkommen, ob Schweizer oder nicht», sagt Oberlé) entscheiden sich, beim Tinguely-Brunnen den Morgestraich abzuwarten. «Wie letztes Mal.»

Unter ihnen: Marie-Rose Gaudin-Macabre. Sie ist im Club de Suisse de Strasbourg für die Kommunikation zuständig und hat den heutigen Ausflug wie auch jenen vor zwei Jahren organisiert.

«Solche Ausflüge sind für mich wichtig, um die Verbindung mit der Schweiz aufrecht zu erhalten», sagt Gaudin-Macabre. Dank der Nähe von Strassburg zu Basel könne sie Vereinsmitgliedern aufzeigen, dass die Schweiz zugänglich sei und man nicht kilometerweit fahren müsse, um sie zu geniessen.

Gleich sieht es Oberlé: «Wir versuchen, regelmässigen Kontakt mit der Kultur und dem Leben in der Schweiz zu halten und das Land im Herzen zu bewahren.» Die Mitglieder des Vereins würden die Verbindung sehr schätzen. «Vor ein paar Jahren wollten wir regelmässig mit dem Bus in Schweizer Städte fahren und Museen besichtigen. Doch das wurde leider ein wenig teuer, deswegen machen wir kleinere Sachen, wie zum Beispiel der Morgestraich in Basel.»

Klein mit Blick auf Aufwand und Kosten; ein Spezialzug brachte Fasnachtbegeisterte direkt von Strassburg nach Basel. Die Veranstaltung jedoch als «klein» zu bezeichnen, das wäre für die Einheimischen wohl schlimmer, als ohne «Blaggedde» aufzukreuzen.

Morgestreich, vorwärts, Marsch

3:59 Uhr. Tausende Stimmen verstummen. Nervosität breitet sich aus. Es ist Zeit. Handys werden gezückt. Als um Punkt vier alle Lichter in der Innenstadt ausgehen und die Fasnächtler:innen zu ihrem ersten Marsch ansetzen, geht ein kollektives Aufatmen durch die Menge. Irgendwo wird geklatscht, die meisten tun es aber gleich wie die Gruppe aus Strassburg: Stehen bleiben und sich mitreissen lassen.

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Offiziell nehmen dieses Jahr rund 11’500 Aktive an der Basler Fasnacht teil, die inoffizielle Zahl ist wohl noch grösser. Die teils farbenprächtigen, teils schaudernd-düsteren Laternen, die die jeweiligen Sujets der verschiedenen Cliquen präsentieren, ziehen eine nach der anderen an den Zuschauenden vorbei.

Die ausgewählten Sujets reichen von Weltgeschehen zu Lokalpolitik: Hier hält der Teufel die Fäden von Marionetten mit den Gesichtern von Putin und Kim Jong Un, dort tanzt ein Skelett mit einer Frau im roten Kleid. «J’accuse» steht in roten Buchstaben über einer mit weissem Tuch bedeckten Figur – eine Anspielung auf den Fall von Gisèle Pelicot, aber auch ein Mahnmal gegen Machtmissbrauch und Gewalt; Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider badet in Goldbarren; Nemo tanzt die Schweiz zum Eurovision-Sieg.

Eine Auswahl der Laternen, die am Morgestraich die Basler Gassen erhellten:

«C’est quoi, Mehlsuppe?» 

5:15 Uhr. Aus zehn sind vier geworden. Die Truppe aus Strassburg erlitt jenes Schicksal, das alle Gruppen an Grossveranstaltungen erfolglos zu vermeiden versuchen. «On a perdu la moitié du groupe.» Die Hälfte ging verloren. Zeit für einen Stopp in der Schlüsselzunft.

Fasnachtscliquen ziehen mit Laternen durch die Strassen am Morgenstreich in Basel, am Montag, 10. Maerz 2025. Mit dem Morgestraich beginnen am Montagmorgen um 04:00 Uhr die drey scheenschte Daeaeg in Basel. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Bei Einheimischen beliebt, ausserhalb von Basel weniger gern gehört: das Piccolo. Keystone / Georgios Kefalas

Das Menü wird konsultiert, Begriffe wie «Schänggeli», «Kääskiechli» oder «Zibelewaie» werden in den Mündern umgedreht. Was schon jene nicht immer verstehen, die des Schweizerdeutschen mächtig sind, erweist sich für Französischsprechende als wahre Herausforderung.

Nach einigem Hin und her – Gulasch gibt es nicht mehr, auch keine Würste – setzt man auf das Traditionsgericht an der Basler Fasnacht: Mehlsuppe.

Es ist inzwischen hell geworden. Vereinzelte Cliquen ziehen durch die Strassen, trommeln ihre Märsche mit einer Kraft, als wollten sie den Unterbruch des fastnächtlichen Treibens aufschieben.

Was bleibt von diesem Morgen in Erinnerung? «Was mir persönlich gut gefällt, ist dieses spezielle ‘Charivari’», sagt Oberlé.

Für Gaudin-Macabre sticht ein Moment hervor: «Wenn alle Lichter ausgehen und diese gewisse Stille herrscht, das ist einzigartig. Man hat das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein, in einem eigenen Kosmos, und kann alles vergessen.»

Nicht vergessen will die Gruppe allerdings den zweiten Punkt, weswegen sie nach Basel gereist ist: Einkaufstourismus mal umgekehrt. «Auch deswegen kommen wir gerne her, wir kaufen traditionelle Schweizer Gerichte und Spezialitäten wie Fondue oder Rösti ein», sagt Gaudin-Macabre.  Die ersten Läden werden bald öffnen. Der Suche nach Schweizer Spezialitäten soll also nichts mehr im Wege stehen

Ausser vielleicht die Velofahrenden, die nun durch die Menschenmenge manövrieren, die einen auf dem Heimweg, mit hochgeschobener Larve auf dem Kopf, die anderen auf dem Weg zur Arbeit.

Editiert von Balz Rigendinger

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