Viel Wahlkampf, wenig Inhalte
In der sommerlichen Nachrichtenflaute buhlen die Parteien um Aufmerksamkeit. Besonders SVP und SP fallen mit markigen Worten auf. Politische Auseinandersetzungen fehlen weitgehend.
Ein neuer politischer Stil oder bloss Vorwahlkampf in der Sommerflaute?
Die Situation ist bei weitem nicht so, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer drei Monate vor den nationalen Wahlen keine Sorgen machen würden.
Gemäss dem jüngsten Sorgenbarometer des GfS-Forschungsinstituts beschäftigt die Rentenfrage am meisten. Viele sind verunsichert über die Zukunft der Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung (AHV) und der Pensionskassen.
Beinahe schon ein Dauerbrenner bei den am häufigst genannten Problemen sind zudem die Arbeitslosigkeit und die Wirtschaftsentwicklung.
Es gäbe also genug Anreiz für die Parteien, ihre Lösungen zu den anstehenden Problemen im Wahlkampf zu präsentieren. Doch nicht sachliche Auseinandersetzungen prägen die politische Sommeragenda, sondern es werden primär Personen attackiert.
Oder in den Worten von Politikbeobachter Iwan Rickenbacher gegenüber SF DRS: "Dieses Jahr versuchen es die Parteien ein wenig mit AHV, ein wenig mit Gesundheit, aber nichts scheint so richtig zu greifen."
Deutliche Worte
Den Anfang hatte vor einigen Wochen die Sozialdemokratische Partei (SP) gemacht. Sie griff via Plakat Wirtschaftsminister Joseph Deiss an: "200'000 suchen Arbeit und CVP-Deiss geht baden."
Letztes Wochenende meldeten sich dann die Christdemokraten zu Wort. In einem offenen Brief kritisierten sie den SP-Bundesrat Moritz Leuenberger und warfen ihm Versäumnisse bei der Flugsicherheit vor. Grundlage der Vorwürfe: Ein Bericht, der die Mängel der Schweizer Flugsicherheit aufzeigt und den Leuenbergers Departement selber in Auftrag gegeben sowie veröffentlicht hatte.
Nicht gegen eine einzelne Person richtete sich ein weiteres Inserat, respektive der Entwurf eines Inserates. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) des Kantons St. Gallen plant, mit dem Slogan "Wir Schweizer sind immer mehr die Neger!" an die Öffentlichkeit zu gehen. Und bereits bevor das erste Inserat geschaltet wurde, berichtete die "Sonntags-Zeitung" auf der Titelseite darüber.
Die Kritik, der Text verletze die Anti-Rassismus-Strafnorm, liess nicht lange auf sich warten. Die SVP kontert: "Die St. Galler SVP verwendet hier eine alte Schweizer Redensart, die besagt, wir seien die Dummen."
Neuer, plakativer Stil?
Der SVP-Text geht für Sibylle Hardmeier, Politologieprofessorin an der Universität Zürich, zu weit. Allgemein jedoch erklärt sie: "Es ist immer noch Vorwahlkampf-Phase, immer noch Ferienzeit. Insofern hat der Wahlkampf eben erst begonnen. Und um den Wahlkampf zu beginnen, setzt man eher auf Plakatives."
"Grundsätzlich haben wir in der Schweiz noch immer einen recht themenorientierten Wahlkampf. Und ich hoffe, dass das auch in diesem Jahr so bleiben wird."
Anders sieht das der Westschweizer Publizist Jacques Pilet. Für ihn sind die harten Attacken, welche in vielen Ländern zum politischen Alltag gehören, "ein Zeichen, dass sich die Schweiz normalisiert". Zudem sei es eine Möglichkeit, wirklichen Debatten aus dem Weg zu gehen.
Richtungsweisende Wahlen
Von einem Stilwechsel will Hardmeier nicht sprechen. Eine allgemeine Personalisierung der politischen Auseinandersetzung würden die Wählerinnen und Wähler kaum goutieren, ist sie überzeugt.
Allerdings: "Schweizer Wahlen sind ja normalerweise nicht wichtig. Aber dieses Mal geht es indirekt um die Zusammensetzung des Bundesrats, das wurde bereits offen gesagt. Und da kann man schon annehmen, dass alles etwas heftiger, etwas streitvoller wird als bis anhin."
Kein heisses Wahlkampfthema in Sicht
Für Jacques Pilet ist klar, dass das Verhältnis des Landes zur Europäischen Union viel stärker debattiert werden müsste. Doch bis anhin ist davon nichts zu spüren.
Auch die SP, seit Jahren auf Pro-EU-Kurs, gibt sich auf dem neusten Plakat eher patriotisch und spielt mit dem Symbol des Rütlischwurs. Der Text: "Unser Patriotismus kennt keine Grenzen."
Auch sonst sind keine heissen Wahlkampfthemen in Sicht. Sibylle Hardmeier: "Ich denke, die SVP wird beim bewährten Thema bleiben. Asylproblematik, Migrationsdebatte, das ist aus Sicht der SVP ein sehr dankbares Thema, das hochemotionalisiert ist und sich einfach besetzen lässt."
"Auch die Anderen werden eher bei den bis anhin für sie bewährten Themen bleiben: Wirtschaftspolitik für die FDP, Sozialpolitik für die SP und dort sicher – in Abgrenzung von der Asylpolitik der SVP – auch die Migrationspolitik."
Verantwortung der Medien?
Sicher werde es auch Auseinandersetzungen über Sozialversicherungen oder Gesundheitspolitik geben, ergänzt Hardmeier. "Nur sind das nicht sehr einfach kommunizierbare Themen. Insofern ist es für die Parteien in einem Wahlkampf etwas schwieriger, sie zu besetzen."
Personalisierung und markige Worte statt politische Debatten: Für die Politologin liegt da die Verantwortung nicht nur bei den Parteien. Sie kritisiert auch die Medien: "Die Medien thematisieren den Wahlkampf anstelle der Themen."
Noch bleibt allen etwas Zeit für politische Auseinandersetzungen. Die Wahlen finden am 19. Oktober statt.
swissinfo, Eva Herrmann und Marzio Pescia
In Kürze
Die nationalen Parlamentswahlen finden am 19. Oktober statt.
Sie werden allgemein als wichtig eingestuft, weil Sitzverschiebungen bei den Parteien zu einer neuen Zusammensetzung der Regierung führen könnten. Das neue Parlament wählt die Regierungs-Mitglieder im Dezember.
Noch sind Sommerferien, noch hat die heisse Phase des Wahlkampfs nicht begonnen.
Vor allem die Sozialdemokraten und die Schweizerische Volkspartei haben es mit medienwirksamen Aktionen in den letzten Tagen und Wochen auf die Titelseiten der Zeitungen geschafft.

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