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Wie ein nepalesischer Ingenieur mit Schweizer Hilfe Brücken baut – in Äthiopien

Zwei Männer bauen an einer Hängebrücke
In luftigen Höhen: Bauarbeiten in Äthiopien. Solche Brücken haben sich bereits in Nepal bewährt – Bauwissen kann auf diese Weise weitergegeben werden. Helvetas

In Nepal wurde Anfang November die 10'000. Hängebrücke mit Schweizer Unterstützung eingeweiht. Heute ist das Projekt in den Händen der nepalesischen Regierung. Lokale Fachleute wie Padam Gurung geben ihr Wissen in elf anderen Ländern weiter.

Padam Gurung ist in einem kleinen nepalesischen Dorf im Bezirk Sindhupalchok geboren, rund 120 Kilometer von der Hauptstadt Kathmandu entfernt. Um in die Schule zu gehen, musste er einen Fluss auf einer einfachen Holzbrücke überqueren. Als er dreizehn Jahre alt war, hat eine Überschwemmung die Brücke weggespült und Gurung konnte sieben Monate nicht zur Schule gehen.

Dann wurde ein Stahlseil über den Fluss gespannt und daran eine Holzbox befestigt, mit der er sich selber auf die andere Seite ziehen konnte. “Jede Überquerung hat Geld gekostet”, erzählt Gurung. Zudem sei die Konstruktion alles andere als sicher gewesen. Es habe nochmals ein Jahr gedauert, bis wieder eine Hängebrücke gebaut wurde, die ihm einen sicheren Weg auf die andere Seite ermöglichte.

Im Jahr 1996 hat Padam Gurung selbst seine erste Hängebrücke mitinstalliert – im Auftrag des Schweizer Hilfswerks Helvetas. “Wir mussten das Material für den Bau fast zehn Tage zu Fuss transportieren, um überhaupt an die Richtige Stelle zu kommen”, erinnert er sich.

Seither hat der heute 50-jährige Ingenieur bereits an hunderten Brückenkonstruktionen mitgewirkt. Und er gibt sein Wissen in andere Länder weiter, etwa nach Burundi oder Kamerun. Gerade ist er in Äthiopien im Einsatz, um bei der Vermessung und Planung von Hängebrücken zu beraten.

Mann mit einem Vermessungsgerät auf einem Feld
Padam Gurung in Äthiopien, wo er beim Brückenbau hilft. Helvetas

Hilfe aus dem Süden für den Süden

In der Sprache der Entwicklungszusammenarbeit spricht man in diesen Fällen von Süd-Süd-Kooperationen, also einem Wissenstransfer unter Menschen aus Ländern des sogenannten Globalen Südens. Heute werden nepalesische Ingenieur:innen und Techniker:innen in elf Ländern fürs Brückenbauen oder für das Erstellen von Machbarkeitsstudien eingesetzt.

“Die Nachfrage nach dieser Technologie ist sehr gross”, sagt Remo Gesù, stellvertretender Direktor und Leiter Internationale Programme bei der NGO Helvetas. Gemäss Daten der Weltbank haben rund 1,2 Milliarden Menschen, also ein Drittel der weltweiten LandbevölkerungExterner Link, keinen adäquaten Zugang zu befahrbaren Strassen und Verkehrsdiensten. In Afrika sind es insgesamt 420 Millionen Menschen – über 70% der Landbevölkerung des Kontinents.

Helvetas engagierte sich ab 1960 in Nepal mit dem Bau von Hängebrücken, wenig später gründete die nepalesische Regierung eine eigene Abteilung für Hängebrücken und führte damit einen systematischen Ansatz für den Brückenbau ein.

Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) unterstützt das Projekt seit 1972. “Anfangs waren es Fachleute aus der Schweiz, die nepalesische Arbeiter:innen geschult haben”, sagt Gesù. “Heute sind die nepalesischen Ingenieur:innen die Spezialisten.” Einige seien auch schon in die Schweiz gereist, um hier Brücken zu entwerfen. Anfang November dieses Jahres wurde in Nepal die 10’000. Hängebrücke eingeweiht.

Simple Massnahme mit breiter Wirkung

“Die Geschichten der Hängebrücken ist eine der erfolgreichsten der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit”, sagt Gesù. Denn sie zeige, wie eine scheinbar simple Massnahme sehr viel bewirken könne: Gemäss Evaluationen von Helvetas erhöhen die Brücken das Einkommen, indem die Menschen ihre Ware auf den Märkten verkaufen können. Sie stärken die Bildung, indem mehr Kinder eine Schule besuchen können (16% pro Brücke). Sie verbessern die Gesundheit, indem mehr Menschen zum Arzt gehen können (26% mehr Konsultationen pro Brücke).

Schulkinder in Uniform auf einer Hängebrücke in Nepal
Schulkinder profitieren mitunter am meisten von Brücken. Hier beim Überqueren des Fluss Trishulli, 85 Kilometer westlich der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu – viele der Kinder besuchten zuvor die Schule nicht, da die Reise zu gefährlich oder umständlich war. Narendra Shrestha/Helvetas

In einem Land wie Nepal mit seiner zerklüfteten Topografie und über 6’000 Flüssen und Bächen seien das keine Selbstverständlichkeiten. Insgesamt profitieren rund zwei Drittel der nepalesischen Bevölkerung – etwa 19 Millionen Menschen – von diesem verbesserten Zugang.

Ausserdem würden demokratische Prozesse in Gang gebracht, in denen die Brücken von der Bevölkerung, den Fachleuten und der lokalen Regierung gemeinsam geplant werden. “Es gibt keine Brücke ohne Einbezug der Bewohnerinnen und Bewohner“, sagt Gesù. Sie würden aktiv für den Bau eingespannt, etwa indem sie helfen, Sand herbeizuschaffen oder Felsstücke zu zerkleinern.

Zu Beginn sei das ganze Material von Indien über den Himalaya transportiert worden. Erst mit der Zeit habe der nepalesische Privatsektor eine eigene Produktion aufgebaut. Dann wurde in den Ausbau von Kapazitäten investiert, Handbücher wurden ausgearbeitet, nepalesische Fachkräfte geschult. Schliesslich eröffneten die Projektbeteiligten ein Kompetenzzentrum in der Hauptstadt Kathmandu, von wo aus lokale Spezialist:innen rekrutiert und in die verschiedenen Einsatzgebiete geschickt werden.

Von Nepal nach Äthiopien

Der Ingenieur Padam Gurung ist bereits zum dritten Mal in Äthiopien. Bei dem aktuellen Einsatz, der mehrere Monate dauern wird, gehe es vor allem darum, 22 bestehende Brücken auf ihre Qualität zu überprüfen. Ausserdem werde er Studierende der Ingenieurswissenschaften für die Praxis schulen. Bis 2025 seien in Äthiopien zusätzlich 150 neue Brücken geplant. Um eine lange Wegbrücke von mehr als 120 Metern zu bauen, benötige man mindestens ein Jahr.

Im Falle von Äthiopien hatte Helvetas zuerst vorgeschlagen, in der Hauptstadt Addis Abeba eine Hängebrücke zu errichten. “Die Bevölkerung war begeistert davon, und die Regierung ist sofort darauf angesprungen”, sagt Gesù. Seither wurden in Äthiopien über hundert Brücken nach den Plänen gebaut, die sich in Nepal bewährt haben.

Eine Frau beim Bau einer Hängebrücke
Die Gemeinschaft packt mit an: Der Bau von Brücken ist auch ein Instrument der Demokratisierung, zumindest auf lokaler Ebene. Helvetas

Dabei bestimmten die Provinzregierungen, für welche Dörfer und Regionen eine Hängebrücke wichtig sei, und übernahmen 60% der Kosten. Die restlichen vierzig Prozent werden bisher von Helvetas gezahlt. “Ziel ist es, dass die Regierung 80% selbst aufbringt”, sagt Gesù.

Ein Infrastrukturprojekt wie der Brückenbau biete sich für eine so breit verankerte Süd-Süd-Kooperation an, da die Technik sehr spezialisiertes Wissen voraussetze. In anderen Bereichen wie der Wasserversorgung oder der Landwirtschaft seien die Kompetenzen in den einzelnen Ländern breiter gestreut und landesübergreifende Kooperationen seltener.

Die Möglichkeit einer weiteren Süd-Süd-Kooperation könnte laut Helvetas in Westafrika entstehen, genauer in Burkina Faso, wo die NGO ein Kompetenzzentrum für arbeitsintensiven Strassenbau plant.

In Nepal zieht sich die Schweiz nach 60 Jahren aus dem Brückenbau zurück. Die nepalesische Regierung übernimmt damit die alleinige Regie. Laut Gesù von Helvetas besteht nach wie vor Bedarf: Rund 4’000 weitere Brücken seien geplant, um die Landbevölkerung ausreichend zu vernetzen.

Editiert von Marc Leutenegger

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