Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Bahnbrechendes Alzheimer-Medikament wird in der Schweiz hergestellt

Illustration des Gehirns eines Alzheimerpatienten
Das Medikament Leqembi zielt auf das Beta-Amyloid-Protein ab, das sich zu Plaques (braun) verklumpt, einem Hauptmerkmal im Gehirn von Menschen mit Alzheimer. Keystone

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat für Leqembi grünes Licht gegeben. Es ist das erste von ihr zugelassene Medikament gegen die Alzheimer-Krankheit seit zwei Jahrzehnten. Hergestellt wird der Wirkstoff in der kleinen Gemeinde Luterbach, was diese zum Hoffnungsort von Alzheimerpatient:innen weltweit macht.

Das Dorf Luterbach im Kanton Solothurn ist kein häufiger Zwischenstopp für Menschen, die in der biopharmazeutischen Industrie arbeiten. Der nächstgelegene Grossflughafen befindet sich in Basel, über 70 Kilometer und zwei Zugverbindungen entfernt.

Doch für Millionen von Alzheimer-Patient:innen auf der ganzen Welt erlangte das Dorf erst kürzlich eine besondere Bedeutung, als die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA mit Leqembi das erste Medikament gegen die neurodegenerative Krankheit seit zwei Jahrzehnten zugelassen hat.

Leqembi ist zwar kein Heilmittel, aber es hat gezeigt, dass es den kognitiven Abbau bei Patient:innen im Frühstadium der Krankheit verlangsamt. Klinische Studiendaten deuten darauf hin, dass sich der Rückgang über einen Zeitraum von 18 Monaten um etwa 27% verlangsamen könnte.

Obwohl der Nutzen einigermassen bescheiden ist, gilt die Freigabe als Meilenstein, da es die einzige zugelassene Therapie ist, die den «zugrunde liegenden Krankheitsprozess» und nicht nur die Symptome der Hirnstörung bekämpft, so die FDA in ihrem Zulassungsbescheid.

In Luterbach, das bei der letzten Zählung etwas mehr als 3600 Personen zählte, befindet sich die weltweit einzige Produktionsstätte für den Wirkstoff von Leqembi, der von der japanischen Firma Eisai entwickelt und in Partnerschaft mit dem US-Biotech-Unternehmen Biogen verkauft wird.

Was dem Dorf als Pharmazentrum fehlt, macht es mit einer guten Infrastruktur wieder wett. Dazu kommt die Grundstückgrösse, die für eine 36’000 Quadratmeter grosse Biologika-Fabrik ausreicht (das sind rund vier Fussballfelder), und eine Wasserversorgung, die dank der Nähe zu den beiden grossen Flüssen Aare und Emme ausgezeichnet ist.

Die Nähe zu Top-Universitäten und Biotech-Zentren sowie die stabile politische und wirtschaftliche Situation in der Schweiz waren ebenfalls ausschlaggebend für die Standortwahl, so Tristan Schmitz, Leiter Corporate Affairs am internationalen Hauptsitz von Biogen in Baar, Schweiz, gegenüber SWI.

Kompliziertes Produktionsverfahren

Leqembi, das alle zwei Wochen durch Infusionen verabreicht wird, ist ein monoklonaler Antikörper, der auf ein Protein namens Beta-Amyloid abzielt, das sich im Gehirn von Menschen mit Alzheimer-Krankheit zu Plaques verklumpt.

Da es sich um ein biologisches Arzneimittel handelt, ist der Prozess zur Herstellung des Wirkstoffs Lecanemab im Gegensatz zu einem chemisch synthetisierten Medikament komplex und kann mehrere Wochen dauern.

Industriegebäude
Der Standort von Biogen in Luterbach ist die grösste und teuerste Biotech-Fabrik der Schweiz. Biogen

Laut Schmitz ist die Fabrik in Luterbach für vier Stufen des Produktionsprozesses verantwortlich, beginnend mit der Kultivierung von Säugetierzellen in einer für die Herstellung des Produkts ausreichenden Menge.

Dann folgt das Fed-Batch-Verfahren, bei dem die Zellen in regelmässigen Abständen mit Nährstoffen gefüttert werden, die sie für das Wachstum und den Produktionsprozess benötigen.

Schliesslich folgen eine Reihe von Reinigungsschritten und die Formulierungsphase, in der das Produkt in eine stabile Form gebracht wird, so dass es zur Endverarbeitung transportiert werden kann. Diese Erfolgt in der Anlage von Biogen in North Carolina, wie Schmitz bestätigt.

Biogen hat rund 1,5 Milliarden Franken (1,6 Milliarden Dollar) in die Anlage in Luterbach investiert. Der Betrieb wurde 2021 aufgenommen, nachdem die Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic dem Standort die Mehrproduktlizenz «Good Manufacturing Practice» erteilt hatte. Derzeit arbeiten rund 500 Personen am Standort Luterbach, von denen viele in den letzten Jahren eingestellt wurden.

Die Fabrik soll die Biologika-Produktion von Biogen verdreifachen, die auch mehrere Produkte für neurologische Krankheiten wie Multiple Sklerose umfasst. Schmitz machte keine näheren Angaben zu anderen Medikamenten, die in Luterbach hergestellt werden. 

In der Fabrik sollte ursprünglich das erste Alzheimer-Medikament von Biogen und Eisai, Aduhelm, hergestellt werden, das 2021 eine beschleunigte FDA-Zulassung erhalten hatte, aber aufgrund von Fragen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis und eines Preises von 56’000 US-Dollar pro Jahr am Markt nie Fuss gefasst hat.

26’500 Dollar pro Jahr

Die Verbindungen von Biogen zur Schweiz reichen viel weiter zurück als der Standort Luterbach. Das Unternehmen, das als einer der Pioniere der Biotech-Branche gilt, wurde 1978 in Genf von mehreren Wissenschaftlern gegründet, darunter Charles Weissman, ein schweizerisch-ungarischer Molekularbiologe, der an der Universität Zürich promoviert hat.

Das Unternehmen verlegte seinen Sitz 1982 nach Cambridge, Massachusetts, richtete aber seinen internationalen Hauptsitz in Baar im Kanton Zug ein, wo es rund 400 Personen beschäftigt.

Ob Swissmedic, wo das Gesuch um Zulassung im Mai eingereicht wurde, Leqembi ebenfalls zulassen wird und zu welchem Preis, bleibt abzuwarten. Die US-amerikanische Krankenkasse Medicare hat sich bereit erklärt, 80% des jährlichen Preises von 26’500 Dollar zu übernehmen. Ein Entscheid von Swissmedic wird im Herbst 2024 erwartet.

Ergänzende Recherche: Tomoko Muth. Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Englischen von Marc Leutenegger

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft