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Geneva Watch Days: Glückseligkeit vor dem Sturm in der Uhrenbranche?

Uhren in Vitrinen in einer Messehalle.
Die im zentralen Pavillon der Geneva Watch Days ausgestellten Uhrenneuheiten. (c) 2023 Ivan Simeon, Info@mysimeon.ch

Die Uhrenindustrie sieht nach einer langen Hausse dunkle Wolken aufziehen. Fachjournalist Alexey Tarkhanov hat der Branche an den Geneva Watch Days den Puls gefühlt.

Kleine und grosse Marken haben vom 29. August bis zum 2. September an den Geneva Watch Days teilgenommen – von der Genfer Manufaktur Urwerk, die etwa 200 Uhren pro Jahr herstellt, bis zum Luxusriesen Bulgari mit der 200- bis 300-fachen Produktion.

Waren es 2020 acht Marken, welche die erste Messe am Genfersee organisiert hatten – Breitling, Bulgari, De Bethune, Girard-Perregaux, H. Moser & Cie, MB&F, Ulysse Nardin, Urwerk –, ist die Zahl der vertretenen Hersteller:innen dieses Jahr auf 39 angewachsen.

Der weisse Pavillon mit Blick auf den Jet d’eau, den ikonischen Springbrunnen im Genfer Seebecken, war dieses Jahr wieder das Zentrum der Messe. Hier fanden die Eröffnung, Medienkonferenzen, Symposien sowie die Auktionen statt, und hier wurden neue Uhrenkreationen präsentiert.

Weisser Pavillon vor dem Genfer See, im Hintergrund der Springbrunnen
Der weisse Pavillon gegenüber dem Wahrzeichen “Jet d’eau” in Genf. (c) 2023 Ivan Simeon, Info@mysimeon.ch

Jede Marke organisierte ihre Empfänge und Präsentationen auf eigene Faust, wo sie es für richtig hielt. Jacob & Co und Ulysse Nardin empfingen ihre Gäste in ihren Genfer Boutiquen. Bulgari zog ins Ritz-Carlton, und mehrere Marken belegten die Suiten des Beau-Rivage.

Luxusuhren und eine Kooperative

Die Geneva Watch Days sind ein ungewöhnlicher Event der Uhrenindustrie. Sie wurden während der Pandemie ins Leben gerufen, als die Zukunft der beiden wichtigsten traditionellen Uhrenmessen, Baselworld und SIHH (heute Watches & Wonders), ungewiss war, und schlugen ein völlig neues Organisationsmodell vor: menschlicher, agiler und, wie es schien, moderner.

Jede Marke konnte frei entscheiden, welche Mittel sie für die Veranstaltung zur Verfügung stellte, und jeder entschied selbst, wie und wo er seine Gäste empfing. Das ersparte den Organisator:innen unnötige Sorgen und ermöglichte ihnen, den Kreis der Teilnehmer:innen zu erweitern.

“Im Jahr 2020 rief mich der Chef von Bulgari, Jean-Christophe Babin, an”, erinnert sich der Gründer der unabhängigen Marke MB&F, Maximilian Büsser. Dann war Patrick Pruniaux von Ulysse Nardin an der Reihe. Beide sagten mir dasselbe: ‘Baselworld und SIHH sind abgesagt, wir müssen etwas tun, das Leben der Uhrmacherei kann nicht aufhören.'”

Bei den grossen traditionellen Messen sind die Hände der Marken durch Mietverträge, Fristen und zahlreiche Verpflichtungen gebunden, erklärt Jean-Christophe Babin, Generaldirektor von Bulgari.

“Bei uns entscheidet jeder für sich selbst und hält sich an die allgemeinen Mindestvereinbarungen. Es besteht keine Gefahr, dass man nicht genug Zeit für die Vorbereitung der Ausstellung hat oder die Miete nicht im Griff hat. Wir haben nicht die übliche hierarchische Struktur, sondern funktionieren eher wie eine Uhrenkooperative.”

“Eintrittskarte” schon für 10’000 Franken

Die “Eintrittskarte” für die Teilnahme an den Geneva Watch Days ist erschwinglicher als bei der Messe Watches & Wonders, wo man für die 50 bis 400 Quadratmeter grossen Stände 2000 Franken pro Quadratmeter zahlen muss. “Der Mindestpreis für eine junge Marke beträgt nur 10’000 Franken”, erklärt Antoine Pin, Präsident der Vereinigung der Geneva Watch Days und Direktor von Bulgari Uhren. Die grossen Marken zahlen mehr, bis zu 90’000 Franken.

Dicht gedrängt stehende Menschen bei einem Apéro
Die Eröffnung der Messe fand am 29. August in Anwesenheit zahlreicher Gäste statt. (c) 2023 Ivan Simeon, Info@mysimeon.ch

Von Anfang an hatten die jungen unabhängigen Marken einen relativ leichten Zugang zur Messe, nachdem viele jahrelang in den Warteschlangen der grossen Messen gestanden hatten. “Die Anwesenheit so vieler unabhängiger Uhrenhersteller ist ein gutes Zeichen”, meint Pierre Jacques, Generaldirektor der Marke De Bethune. Das bedeutet, dass die Branche im Aufschwung ist und die Newcommer voller Hoffnung sind”.

Sein Partner, der Uhrmacher Denis Flageollet, ist vorsichtiger. Er befürchtet, dass die Entwicklung neuer Marken künstlich angekurbelt wird, dass sie zum Spekulationsobjekt werden, und Kunden die Frühwerke junger Uhrmacher nicht aus Liebe, sondern als Lotterielose kaufen, in der Hoffnung, später beim Wiederverkauf grosse Gewinne zu machen. “Eine echte Uhrenmarke entwickelt sich nur langsam”, sagt er. Und Messen allein werden ihnen nicht viel helfen”.

Eine wachsende Industrie, aber…

Delphine Bachmann, Mitglied der Genfer Kantonsregierung, sprach bei der Eröffnung der Messe von einem günstigen Klima für die Uhrenindustrie. Sie sieht in der Veranstaltung “das internationale Schaufenster für die hervorragende Qualität der Schweizer Uhrenindustrie, deren Exporte sich 2022 auf über 24 Milliarden Franken belaufen haben”. Ein Rekordbetrag, der im Vergleich zum Jahr 2021 um 11,4 % gestiegen ist.

Delphine Bachmann bei einem Interview vor der Kamera
Delphine Bachmann, Staatsrätin des Kantons Genf, zuständig für Wirtschaft und Beschäftigung. Alexey Tarkhanov

Dieses Wachstum ist jedoch weder linear noch unumkehrbar, wie zum Beispiel die sinkenden Preise der Kultmarken Rolex, Patek Philippe und Audemars Piguet auf dem Sekundärmarkt zeigen.

Schweizer Uhrmacher:innen arbeiten für die ganze Welt. Die Energiepreise, Russlands Krieg gegen die Ukraine, die wirtschaftlichen Probleme, mit denen China zu kämpfen hat, und die steigenden Zinssätze in den USA werden sich zweifellos auf die Jahresergebnisse auswirken.

++ Unser Überblick über Trends und Entwicklungen der Schweizer Uhrenindustrie Externer Link

Viele Markenmanager:innen sind jedoch der Ansicht, dass Abschwünge ebenso zu den Wirtschaftszyklen gehören wie Aufschwünge und dass das Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr nichtsdestotrotz mit einem Zuwachs abschliessen wird. Vielleicht wird das Wachstum nicht so beeindruckend wie im Jahr 2022 sein, aber dennoch spürbar.

Eine Ehe, die für Gesprächsstoff sorgt

In aller Munde in Genf war nicht ganz überraschend die Ankündigung der Übernahme des Uhreneinzelhändlers Bucherer durch Rolex, die weltweite Nr. 1 der Luxusuhrenindustrie. Die Strategie der Marke mit der Krone zielt nicht darauf ab, die Marktsituation zu verändern, sondern sie im Gegenteil zu erhalten, so die Meinung vieler der im Rahmen der Messe befragten Akteur:innen.

“Es ist viel besser, dass Rolex Einzelhändler statt Immobilien kauft, das konsolidiert die Industrie und nützt allen”, sagte beispielsweise der Leiter einer der in Genf vertretenen Marken gegenüber swissinfo.ch.

Bezüglich der von einem Teil der Industrie geäusserten Befürchtungen, in Zukunft aus den Regalen der Bucherer-Geschäfte verdrängt zu werden, beruhigt der Mann, der nicht mit Namen genannt sein will: “Rolex wird die Bucherer-Geschäfte weltweit nicht in Monomarken-Geschäfte umwandeln, das macht keinen Sinn.”

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Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Marc Leutenegger.

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