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Wie aus einem Schuh-Startup ein multinationaler Konzern wurde

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Die Laufschuhe der Firma On werden hautpsächlich in Vietnam hergestellt. Marathon-Photos.com

Wer Casper Coppetti begegnen möchte, sollte der Limmat in Zürich entlanglaufen, in der Ostschweiz wandern oder im Flugzeug nach Sao Paulo oder Tokio fliegen. Der Mitbegründer der schnell wachsenden Schweizer Schuhmarke On ist immer in Bewegung und versucht, in einer schwierigen Branche Schritt zu halten.

Am Hauptsitz von On in Zürich gibt es für Besucherinnen und Besucher keinen Empfangsschalter, und es liegen auch keine Geschäftsberichte auf. An der Wand im offenen Grossraum-Büro hängen feuchte Handtücher an mehreren Dutzend Stahlspinden. Man wähnt sich eher in einer Umkleidekabine als am Hauptsitz eines schnell wachsenden globalen Unternehmens.

Läufer zu sein, ist keine Voraussetzung, um bei On zu arbeiten. Aber es ist schwierig, sich dem Lauffieber zu entziehen, wenn Kunden- oder Managementgespräche während eines Laufs der Limmat entlang oder einer Radtour auf einen nahegelegenen Hügel stattfinden.

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Die Gründer der Firma On, Casper Coppetti (links), David Allemann (Mitte) und Olivier Bernhard. Courtesy of On AG

Seit den Anfängen als Zürcher Startup hat On eine starke Stellung in einer Branche erreicht, die seit Jahrzehnten von einer kleinen Anzahl von Big Playern wie Nike, Adidas und Asics dominiert wird.

Obwohl das Unternehmen seinen Startup-Status vor mehr als sieben Jahren verlor, weist Coppetti die Bezeichnung “multinational” ab, als wäre diese ein Schimpfwort. “Wir sind ein multinationales Unternehmen im guten Sinne des Wortes”, sagt er.

Mit Mitarbeitenden aus 48 Nationen und Niederlassungen in den USA, Brasilien, Japan, Australien, Deutschland und zuletzt China passt das Unternehmen zum Bild eines multinationalen Unternehmens. Aber laut Coppetti plant On, die Dinge anders zu machen als andere multinationale Schuhunternehmen, indem es sich auf Qualität konzentriert, seine Lieferanten kennt und seine Schweizer Wurzeln behält.

Über On

Gegründet wurde das Unternehmen 2010 in Zürich von drei Freunden – Casper Coppetti, David Allemann und dem ehemaligen Profisportler Olivier Bernhard.

Mitarbeitende: 400 (Zum Vergleich: Nike hat über 76’700 und Adidas rund 57’000).

Büros: Hauptsitz sowie Forschung und Entwicklung befinden sich in Zürich. 6 weitere Büros im Ausland.

Wachstum: On begann als Premium-Marke für ambitionierte Läufer, hat aber eine begeisterte Anhängerschaft bei Pflegefachleuten, älteren Freizeitläufern und jungen Trendsettern. Obwohl es sich nicht um einen bekannten Namen ausserhalb Europas handelt, werden die Schuhe in mehr als 4000 Geschäften in über 50 Ländern verkauft.

Das Unternehmen hält nun 40% des Laufschuh-Markts in der Schweiz und 10% in Deutschland. On macht keine Angaben über den Umsatz, sagt aber, dass sich dieser jedes Jahr verdoppelt habe. Der Durchschnittspreis beträgt 190 bis 270 Franken pro Paar. Die Strategie des Unternehmens ist es, in diesem Premium-Markt eine starke Stellung zu behalten.

Schweizer Wurzeln

Die Schweiz hat keine lange Tradition in der Herstellung von Laufschuhen. Aber den Firmengründern war bewusst, dass sie 2010 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH)  eine vielversprechende Dämpfungstechnologie entwickelt hatten. Diese liessen sie patentieren.

Die “Swissness” des Unternehmens sei zu einem der wichtigsten Verkaufsargumente für die Schuhe geworden, die jeweils mit einer kleinen Schweizer Flagge als Qualitäts- und Leistungsstempel versehen sind, sagt Coppetti.

Jedes Modell wird in den Bündner Bergen im Osten der Schweiz getestet, wo das Unternehmen kürzlich eine neue abfallfreie Berghütte mit Modellcharakter bauen liess.

Trotz der globalen Ausstrahlung des Büros ist auch der Führungsstil sehr schweizerisch. Es gibt weder einen CEO noch sonst eine Galionsfigur, sondern drei Gründer, die stark in den Arbeitsalltag des Unternehmens eingebunden sind.

Die Entscheidungsfindung erfolgt von unten nach oben, inspiriert von den Grundsätzen der direkten Demokratie in der Schweiz. Coppetti ist in einem Teil der Schweiz aufgewachsen, wo die Menschen immer noch mit erhobenen Händen über politische Vorlagen entscheiden und jede Bürgerin und jeder Bürger eine Gesetzesänderung anstrengen kann.

Bei On würden die Kolleginnen und Kollegen ermutigt, ihre Ideen und Lösungen einzubringen, unabhängig davon, ob sie Praktikanten oder Gründer des Unternehmens seien.

Picture of On shoe
Das O im On-Logo ist so gestaltet, dass es wie ein Schalter aussieht. Als die ersten Testläufer das frühe On-Modell ausprobierten, sagten sie: “Wow, das fühlt sich anders an. Es ist, als würde man eingeschaltet werden.” Courtesy of On AG

Den Firmensitz in der Schweiz zu haben, habe aber auch frustrierende Seiten. Die Arbeitsbeschränkungen der Schweiz für Nicht-EU-Bürger seien dem Unternehmen ein Dorn im Auge, sagt Coppetti. Auf der Website des Unternehmens sind mehr als 60 Stellen ausgeschrieben, und Coppetti geht davon aus, dass On die Zahl seiner in Zürich tätigen Mitarbeitenden in den nächsten Jahren vervierfachen werde, wenn die Firma in ein neues, 1100 Quadratmeter grosses Büro umzieht.

Aber die Besetzung dieser Stellen wird nicht einfach sein, prognostiziert er, weil die Quoten dafür, wie viele Arbeitnehmende aus Drittländern in die Schweiz einreisen dürfen, begrenzt sind.

“Die aktuellen Gesetze sind eine absolute Blamage und Schande und gehen völlig in die falsche Richtung”, argumentiert Coppetti. Das Unternehmen habe Schwierigkeiten gehabt, selbst für hochqualifizierte Manager aus den USA in Zürich Arbeitsbewilligungen zu bekommen, sagt er.

Das Tempo erhöhen

Multinationale Schuhfirmen haben ein Imageproblem gehabt, das On zu vermeiden versucht. In den 1990er-Jahren gerieten sie wegen Kinderarbeit und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in Schuhfabriken in Asien in die Kritik.

Insbesondere Nike geriet deswegen in die Schlagzeilen und musste die Geschäftspraktiken grundlegend ändern, um die Arbeitsbedingungen in den Fabriken zu kontrollieren. In der Folge haben der Konzern und andere grosse Player im Sportschuhmarkt die Transparenz erhöht und arbeiten seither mit einer kleineren Anzahl Lieferanten zusammen.

Mit fortschreitendem Wachstum wird On mit ähnlichen Problemen konfrontiert sein. Aber das junge Unternehmen hat den Vorteil, aus den Fehlern seiner grossen Konkurrenten zu lernen.

On macht kein Geheimnis daraus, dass seine Schuhe “nicht in der Schweiz hergestellt” werden, obwohl Coppetti die Möglichkeit einer zukünftigen Produktion in der Schweiz nicht ausschliesst. Wie fast alle Schuhhersteller setzt das Unternehmen auf Vertragshersteller. Diese befinden sich grösstenteils in Vietnam, wo On mit drei Vertragsherstellern zusammenarbeitet.

Annabel Meurs koordiniert für die Stiftung “FairWear” die Überprüfung der Arbeitsverhältnisse in Vietnam. Um eine verantwortungsvolle Beschaffung von Schuhen aus dem Land gewährleisten zu können, sollte ein Unternehmen nicht nur jeden Ort kennen, an dem die Produktion stattfindet, sondern auch alle Schritte, die bei der Fertigstellung des Produkts anfallen.

Coppetti sagt, das Unternehmen sei bestrebt, langfristige Beziehungen zu jedem seiner Lieferanten aufzubauen. Auf der Website finden sich Porträts von allen Lieferanten. Sie geben den Kunden Einblicke, wo und wie die Schuhe hergestellt werden.

Einen nachhaltigen Schuh herstellen

Die Schuhindustrie verursacht viele Abfälle und CO2-Emissionen, weil die meisten Schuhe fast vollständig aus erdölbasierten Materialien hergestellt werden und jedes Jahr Millionen von Paaren weggeworfen werden.

“Nachhaltigkeit ist eines der Kriterien für alles, was wir tun”, sagt Coppetti gegenüber swissinfo.ch. “Wenn jemand bei uns eine Entscheidung trifft, sei es, wohin sie zum Mittagessen geht, wie sie ein Produkt gestaltet oder wie sie eine Veranstaltung organisiert, werden die Auswirkungen auf die Umwelt in Betracht gezogen.”

Coppetti ist sich bewusst, dass dies die Konsumenten von On erwarten. “Sie [die Konsumenten, N.d.R.] sind jung, gebildet und verlangen, dass Wachstum nicht auf Kosten des Planeten gehen sollte.”

Das Unternehmen plant, von dem zu profitieren, was Coppetti den “Craft-Bier-Effekt” nennt, bei dem die Kunden mehr darüber erfahren wollen, wo und wie die von ihnen gekauften Produkte hergestellt werden.

Es ist ein harter Kampf für die gesamte Schuhindustrie: Der Plan von Adidas, bis 2020 elf Millionen Paar Schuhe aus wiederverwertbaren Kunststoffabfällen zu produzieren, entspricht nur einem Tropfen auf einen heissen Stein, angesichts eines Markts, der bis 2026 voraussichtlich einen Umsatz von 60 Milliarden Dollar erreichen wird. 2017 betrug dieser 38 Milliarden Dollar.

Laut Coppetti hat On bei der Nutzung von wiederverwertbaren Ressourcen in der Schuhproduktion eine Vorreiterrolle. Eines der Produkte wird zum Teil aus “Pebax®” hergestellt, einem Material, für dessen Herstellung Rizinusöl verwendet wird. Aber der Mitbegründer von On gibt zu, dass bei der Verwirklichung seiner Nachhaltigkeitsvision noch viel zu tun bleibt, insbesondere in Bezug auf Materialien und Abfälle. On-Schuhe sind nämlich immer noch 80-100% erdölbasiert.

Dies ist eine von vielen Fragen, mit denen das Unternehmen mit zunehmendem Wachstum immer stärker konfrontiert sein wird.

“Wir bewegen uns so schnell, dass wir ständig auf Fragen stossen, auf die wir keine Antworten haben”, sagt Sofia Cubillos, eine der Mitarbeitenden bei On. “Es gibt kein Handbuch, wie man die Aufgaben lösen kann. Wir müssen es laufend selbst herausfinden.”

Innerhalb der Multinationalen Serie
Dieser Artikel ist Teil einer Serie über die Arbeit in multinationalen Unternehmen in der Schweiz. Multinationale Unternehmen spielen eine wichtige Rolle in der Schweizer Wirtschaft, aber für viele Menschen können die Unternehmen wie Inseln von Betonbauten oder Campusse voller ausländischer Arbeitskräfte erscheinen. Mit dieser Serie will swissinfo.ch dazu beitragen, die Arbeit in multinationalen Unternehmen transparenter zu machen.


(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)

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