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Gesucht: Alternative zu Tierversuchen

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Keystone / Robert F. Bukaty

Eine Initiative will alle Tierversuche verbieten – damit wäre die Schweiz das erste Land, das komplett darauf verzichten würde. Das Anliegen hat kaum Chancen. Dennoch gibt es Bewegung in der Sache.

Der InitiativtextExterner Link ist klar und deutlich: “Tierversuche und Menschenversuche sind verboten.” Ebenso soll der Import von Produkten verboten werden, für die “direkt oder indirekt” Versuche mit Tieren durchgeführt werden. Dahinter stehen Gruppen von Tierschützern, die früher schon ähnliche Anliegen an die Urne brachten.

Ebenso deutlich war aber auch die Ablehnung im Parlament: Das Anliegen hatte im Nationalrat keine Chance und wurde ohne Gegenvorschlag, der vor allem von links angestrebt wurde, abgelehnt. Zu radikal seien die Forderungen der Initianten, so der Tenor in der grossen Kammer während der Frühlingssession.

Über das Leid der Tiere debattierten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier ausführlich, dennoch gab es keine Unterstützung dafür, ein totales Verbot von Versuchen an Tieren – und Menschen – in die Verfassung zu schreiben. Das Hauptargument war die Gefährdung des Forschungsstandorts Schweiz.

Dass die Initiative ausserhalb des Parlaments ebenfalls als zu radikal angesehen wird, verdeutlicht etwa swissuniversities, die Rektorenkonferenz der Schweizerischen Hochschulen. Sie lehnt sie abExterner Link und schreibt: “Die Initiative gefährdet Fortschritt, Innovation und Bildung in den Life Sciences und Biotechnologien in der Schweiz.”

Selbst die bekannteste Tierschutzorganisation der Schweiz, der Schweizer Tierschutz STS, spricht sich in einer StellungnahmeExterner Link gegen die “Radikalforderungen” aus, die die Schweiz zudem – wegen dem expliziten Importverbot von Produkten, die irgendwie mit Tierversuchen in Verbindung gebracht werden könnten – abschotten würde.

Intransparente Industrie

Nähme die Schweiz die Initiative wider aller Erwartungen dereinst an, fände sie sich in ziemlich exklusiver Lage wieder. Partielle Verbote für Tierversuche, etwa für die Kosmetikindustrie, haben die EU-Länder, jedoch hat keines ein totales Verbot. In der EU gab es einen ähnlichen Vorstoss: Die Bürgerinitiative “Stopp Vivisection”Externer Link, die 2015 eingereicht wurde, zielte auf eine Einstellung der Tierversuche. Die EU hat sich das jedoch ohnehin als Fernziel gesteckt – der Fahrplan ist noch unbestimmt.

Selbst wenn die Schweiz die Versuche mit Tieren komplett verbieten würde, wären die Auswirkungen auf die globalen Tierzahlen marginal. Tierversuche würden dann einfach woanders durchgeführt und vermehrt ausgelagert werden. In der Schweiz gelten im weltweiten Vergleich weitergehende Standards bei Experimenten, wie Julika Fitzi sagt, die beim STS die Fachstelle Tierversuche leitet: “Das grösste Problem bei der Auslagerung von Tierversuchen ist die Intransparenz.”

In der Schweiz führen jährliche Statistiken auf, wie viele Tiere für welche Tests verwendet wurden. So zählt das zuständige Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen für das Jahr 2019 rund 570’000 Versuche mit TierenExterner Link in der Schweiz auf – ein Minus von 2,5% im Vergleich zum Vorjahr. Ein grosser Teil der Versuche sind im Zusammenhang mit der Krebsforschung oder bei Erkrankungen des Nervensystems durchgeführt worden.

In der EU gibt es ähnliche Statistiken, die alle zwei bis drei Jahre publiziert werden. In den USA und zahlreichen anderen Ländern ist das allerdings nicht der Fall. Wie es in Bezug auf Tierversuche in den meisten Staaten aussehe, könne man nur spekulieren, sagt Fitzi – und zwar hinsichtlich ihrer Zahl, wie auch des Schweregrads der Versuche.

Dazu kommt: Pharmaunternehmen lagern Tierversuche zunehmend aus – auch Schweizer Firmen. Die Auftragsforschungsinstitute, die das übernehmen, sind oft selbst multinationale Unternehmen, die die geforderten Studien in Ländern durchführen können, die weniger strenge Tierschutzregeln kennen. Dieser Markt sei auch intransparent, sagt Fitzi.

Für Aufsehen sorgte 2019 der Fall der Firma Inthera Bioscience aus Wädenswil. Sie hatte einem deutschen Unternehmen einen Auftrag für schwerbelastende Tierversuche erteilt, was katastrophale Folgen für die Tiere hatte, wie danach aufgedeckt wurdeExterner Link. Das Auslagern von Tierversuchen wird auch von grossen Firmen aus der Branche gemacht – und wirkt sich so indirekt auch auf die schweizerischen Tierversuchsstatistiken.

Alternative Methoden

In der Parlamentsdebatte wurde verschiedentlich dazu aufgerufen, gesetzliche Grundlagen für die verstärkte Förderung des 3R-Prinzips zu schaffen. Dieser sieht unter anderem einen stufenweisen Abbau von Tierversuchen und Investitionen in alternative Forschungsmethoden vor. Es gebe mittlerweile zahlreiche Forschungs-Möglichkeiten, die ohne Tiere oder tierisches Material durchgeführt werden können, sagt Fitzi.

Der Begriff “3R” steht für Replace (Vermeiden), Reduce (Verringern) und Refine (Verbessern). Damit sollen also Tierversuche ersetzt, insgesamt weniger Tiere eingesetzt und Versuche verbessert werden.

Die Corona-Pandemie hat den Forschern teilweise Argumente in die Hand gegeben. Fitzi verweist auf die Entwicklung der Covid-Impfstoffe: Die Zulassungsdauer nimmt oft weit mehr als 10 Jahren in Anspruch. Einer der Gründe, warum es nun in den meisten Fällen ein knappes Jahr dauerte, war auch der kürzere Einsatz von Tierversuchen – und die schnellere Anwendung bei Studien mit menschlichen Probanden. “Natürlich spielten mehrere Faktoren da rein. Aber die rasche Entwicklung der Impfstoffe zeigt eben, dass es auch mit weniger Tierversuche geht”, so Fitzi.

Anstrengungen, die Thematik der Tierversuche auf globaler Ebene anzugehen, gibt es kaum. Die internationalen Mindeststandards seien zwar in den letzten Jahrzehnten strenger geworden, aber die Unterschiede seien noch immer massiv und die Intransparenz hoch, so Fitzi. Aber auch hier könnte Corona einen Anstoss gegeben haben: Zulassungsbehörden vernetzen sich zunehmend international, was zu regulatorischen Harmonisierungen führen könnte.

Die USA, die zwar laschere Gesetz bei den Tierversuchen kennt, hat in den letzten Jahren massive finanzielle Ressourcen zur Erforschung alternativer Versuchsformen freigesetzt. Daran könne man sich durchaus ein Beispiel nehmen, so Fitzi.

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