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Wie Frau die Männerwirtschaft durchbrechen will

Für die Unternehmerin Barbara Rigassi gibt es keinen Mangel an gut qualifizierten Frauen. zVg

Keines der 20 bedeutendsten Schweizer Unternehmen hat einen weiblichen CEO. Und auch in den Verwaltungsräten sieht es nicht viel besser aus. Wieso ist das so, und wie bringt man Frauen an die Spitze? Antworten von Barbara Rigassi, Unternehmerin und Netzwerkerin.

Die Ökonomin und mehrfache Verwaltungsrätin ist Mitgründerin von GetDiversity. Das Schweizer Netzwerk vermittelt seit 2007 Kandidatinnen für Verwaltungsräte. Anlässlich des Weltfrauentags vom 8. März äussert sich Barbara Rigassi zur weitgehenden Abwesenheit der Frauen in der Wirtschaft.

swissinfo.ch: Frauen sind in den Führungsetagen der Schweizer Wirtschaft untervertreten. Dies obwohl über die Hälfte aller Hochschulabschlüsse von Frauen gemacht werden. Weshalb?

Barbara Rigassi: Der Hauptgrund ist, dass Frauenkarrieren nicht so gradlinig verlaufen wie diejenigen der Männer. Die Frauen steigen ein, steigen allenfalls um, haben Kinder, machen Weiterbildungen und verlieren dann irgendwie den Einstieg wieder in die “Mainstream-Karriere”.

Andere Frauen machen relativ schnell Karriere und wollen sich mit 40, 45 umorientieren und z.B. eine eigene Unternehmung gründen. Es fehlt Ihnen dann an Visibilität.

swissinfo.ch: Weshalb wird das Potenzial gut ausgebildeter Frauen nicht besser genutzt?

B.R.: Das ist in der Tat ökonomisch ein Unsinn. Denn mit der Zeit wird das Potenzial gut ausgebildeter Frauen gerade in den westlichen Industrieländern noch sehr nötig sein, angesichts der demografischen Entwicklung.

Die Unternehmen und Organisationen müssen ihre Kultur jedoch zuerst anpassen, wenn sie Frauen aufnehmen wollen, müssen neue Führungsmodelle erproben – das braucht Zeit. Es braucht auch den Esprit, dies wirklich als Investition in die Zukunft zu betrachten und nicht einfach als simples Frauenförderungsprogramm.

swissinfo.ch: Untersuchungen haben ergeben, dass gemischte Teams besonders erfolgreich arbeiten und den Unternehmen einen Mehrwert bringen. Welchen?

B.R.: Bei den Studien kam heraus, dass wenn eine Gruppe von Leuten mit dem selben Hintergrund und Erfahrungsschatz an eine Fragestellung herangehen, in der Regel eher eindimensionale Antworten herauskommen.

Will also jemand das Spektrum für die Bearbeitung von Fragen auftun und verschiedene Aspekte hineinbringen, dann sollten auch Frauen in diesen Teams vertreten sein. Frauen liefern andere Aspekte zur Entscheidungsfindung.

swissinfo.ch: Gibt es zu wenig geeignete Frauen für Führungspositionen, wie immer wieder argumentiert wird?

B.R.: Das ist eine Irrmeinung. Wir haben vor zwei Jahren Get Diversity gegründet, weil wir einfach nicht glauben konnten, dass sich keine qualifizierten Frauen finden lassen, die sich für Führungspositionen, namentlich für Verwaltungsratsmandate eignen.

Unterdessen haben wir über 90 bestens qualifizierte Frauen für unser Netzwerk gefunden. Ich widerlege heute jede Behauptung, man finde diese Frauen nicht.

swissinfo.ch: Wollen Sie damit sagen, dass die Männer, die ja in der Regel die wichtigen Posten vergeben, keine Frauen wollen und der “Männerfilz” spielt?

B.R.: Es ist in der Tat so, dass Rekrutierungen, vor allem auf der obersten Führungsebene, in den persönlichen Netzwerken geschehen. Diese Posten sind mit über 93% mit Männern besetzt.

Sie suchen tendenziell in ihren Netzwerken und haben den Zugang nicht zu anderen Netzwerken. Es ist vielleicht nicht so sehr der Wille der fehlt, sondern es hängt davon ab, wie die Suche angegangen wird.

swissinfo.ch: Müssen jetzt die Frauen mit ihren Netzwerken aktiver werden, oder sollen sie auf den Goodwill der Männer warten?

B.R.: Goodwill allein reicht nicht. Es braucht die Überzeugung, dass Frauen in Entscheidungsgremien etwas bewirken können und die Qualität der Arbeit damit erhöht wird.

Natürlich müssen die Frauen sich auch bemühen. Man kann nicht einfach warten, dass man entdeckt wird. Man muss sich exponieren, muss präsent sein.

Zudem sind erfreulicherweise bereits Frauen in den obersten Führungsgremien vertreten. Es liegt auch an ihnen, weitere Frauen in die Gremien einzubringen.

swissinfo.ch: Trauen sich Frauen weniger zu und kommen deshalb weniger häufig nach oben?

B.R.: Frauen hinterfragen mehr und stellen in der Regel viel mehr Fragen. Sie wollen das ganze Umfeld erfassen, bevor sie einen Entscheid fällen. Das heisst aber nicht, dass sie sich wenig zutrauen. In meinen Augen ist das sehr professionell und seriös.

Die Männer hingegen sagen relativ schnell, ja, das kann ich, das will ich.

swissinfo.ch: Wie wird man eine gute Verwaltungsrätin oder CEO – durch eine klassische Männerkarriere?

B.R.: Wenn Sie die Anforderungsprofile für Verwaltungsräte anschauen, können Sie drei Dimensionen feststellen: Die fachliche, die methodische und die soziale Kompetenz. Ein Gremium muss so zusammengesetzt sein, dass die relevanten Kompetenzen vertreten sind.

Es ist keine typische Männerkarriere erforderlich, Frauen haben sehr wohl Chancen. Was es sicher braucht, ist Führungserfahrung. Und es braucht methodische Erfahrung, sei das im Bereich Strategie, Finanzen oder Risikomanagement.

Ganz wichtig ist, dass man sich im Finanzbereich fit macht und mit Zahlen argumentieren kann.

Es gibt viele Frauen mit sehr hoher Führungskompetenz, auch wenn sie keine gradlinige Karriere gemacht haben. Sie haben sie vielleicht an einem anderen Ort erworben, der nicht sehr sichtbar ist, zum Beispiel in der Freiwilligenarbeit, in einer nicht-gewinnorientierten Organisation oder bei einem Projekt im Ausland.

swissinfo.ch: Wie weit sind heutzutage Kinder und Familie noch ein Hindernis für Frauen, um Karriere zu machen?

B.R.: Die Unternehmen sind in der Zwischenzeit sehr sensibilisiert und vermehrt offen, um dort, wo es geht, reduzierte Pensen anzubieten.

Auch Männer wollen heutzutage Teilzeit arbeiten, wenn die Kinder noch klein sind. Auf diesem Gebiet sind in den letzten zehn Jahren Fortschritte erzielt worden. Hingegen schliessen sich Top Management und Teilzeit praktisch aus.

swissinfo.ch: In Norwegen, wo seit 2008 eine Quotenregelung für Frauen in den Verwaltungsräten staatlicher Firmen gilt, ist der Frauenanteil auf 44% gestiegen. Ist das die Lösung?

B.R.: Ich bin eine Verfechterin klarer Zielsetzungen. Das heisst aber nicht, dass sie poltischer Art sein müssen. Ich bin überzeugt, dass die Frage gemischter Teams letztlich eine wirtschaftliche Frage ist.

Bezüglich Frauenanteil sollten sich die Unternehmen Ziele setzen und umsetzen – und die Zielerreichung sanktionieren oder honorieren. Damit erreicht man mehr als über eine politische Quote.

Gaby Ochsenbein, swissinfo.ch

Im November 2007 gründeten Barbara Rigassi und Michèle Etienne das Netzwerk GetDiversity.

Ziel der Firma ist es, durch Vermittlungsarbeit und gezielte Förderung sowie Weiterbildung mehr Frauen in die Verwaltungsräte von Schweizer Unternehmen zu bringen.

Firmen und Organisationen, die Frauen für ihr Aufsichtsgremium suchen, sollen bei GetDiversity geeignete Kandidatinnen finden.

Barbara Rigassi, Gründerin und Co-Geschäftsführerin von GetDiversity, promovierte 1989 an der Hochschule St. Gallen zur Dr. oec. HSG.

Sie war persönliche Mitarbeiterin des verstorbenen Bundesrats J.-P. Delamuraz und Generalsekretärin einer Grossbank.

Bis 2002 war sie Geschäftsleitungs-Mitglied des Staatssekretariats für Wirtschaft seco.

Seit 2002 ist sie selbständige Unternehmerin und Partnerin bei Brugger und Partner AG.

Sie belegt verschiedene Verwaltungsrats- und Stiftungsmandate.

Sie ist Präsidentin von soliswiss, des Solidaritätsfonds für Auslandschweizer, und Präsidentin des Verbandes Schweizer Unternehmerinnen VCHU.

Der Internationale Frauentag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau wird weltweit von Frauenorganisationen am 8. März begangen.

Er entstand in der Zeit des Ersten Weltkriegs im Kampf für die Gleichberechtigung und das Wahlrecht für Frauen.

Der Anteil der Frauen in den strategischen Gremien der 20 Firmen, die den Swiss Market Index (SMI) abbilden, hat sich zwischen 2007 und 2008 von 9,5% auf knapp 12% erhöht.

Mit diesem Ergebnis nähern sich diese Unternehmen dem Durchschnitt von 14,6% bei den weltweit 500 grössten Firmen an.

Bezüglich Geschlechter-Vergleich im Verwaltungsrat sind die SMI-Firmen bedeutend weiter als die 100 grössten Unternehmen der Schweiz. Bei diesen liegt der Frauenanteil bei 6,7%.

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