Erdbeben – eine unterschätzte Gefahr
Die Schweiz gehört zwar nicht zu den seismisch heiklen Gebieten der Erde. Doch die Erdbebengefahr wird häufig unterschätzt.
Denn selbst in der Schweiz könnte sich eine Katastrophe ereignen wie diejenige, die 1995 die japanische Stadt Kobe zerstört hat.
«Als ich vor kurzem eine Gesetzesbotschaft zu Präventions- und Interventions-Massnahmen im Falle eines Erdbebens vorlegte, wurde ich gefragt, ob ich denn nichts Besseres zu tun hätte», scherzte Umweltminister Moritz Leuenberger kürzlich in einem Zeitungsinterview.
Und er gab die Antwort gleich selbst: «Wenn morgen eine Katastrophe einträte und ich keine Vorbereitungen getroffen hätte, würde ich mit Sicherheit als inkompetent und verantwortungslos bezeichnet.»
Bereits 1874 wurde in der Schweizer Verfassung festgeschrieben, dass der Bundesrat alle notwendigen Massnahmen einleiten muss, um für Naturkatastrophen wie Lawinen oder Überschwemmungen gewappnet zu sein. Erdbeben wurde damals nicht erwähnt.
Mangels eines verfassungsmässigen Auftrags verfügt die Schweiz bis heute über keinerlei Dispositiv, das bei diesem Naturereignis zur Anwendung kommen könnte. Dabei stehen im Falle eine Erdbebens sehr viele Menschenleben auf dem Spiel. Auch extreme Sachschäden könnten die Folge sein.
Wahrscheinlich ist dies so, weil die Schweiz seit ihrer Gründung andere und wesentlich konkretere Gefahren zu meistern hatte: von Kriegen bis zu Epidemien. Oder weil die Schweiz im Gegensatz zu Italien für lange Zeit von grossen, verheerenden Erdbeben verschont blieb.
Eine seismisch heikle Zone
Aber die Schweiz ist keineswegs vor solch einem Naturereignis gefeit. Dies betont der Geologe Gaetan Rauber, Kurator einer Ausstellung über seismische Phänomene im Naturhistorischen Museum von Freiburg.
«Wir wollen keine Angstmacherei betreiben, aber einfach darauf hinweisen, dass die Gefahr eines Erdbebens auch in der Schweiz besteht, selbst wenn das Risiko relativ klein ist», sagt Rauber.
Mit Sicherheit stellt die Schweiz keine «seismisches Mienenfeld» wie Japan oder Kalifornien dar. Doch die Eidgenossenschaft gehört gleichwohl zu einer delikaten geologischen Zone, insbesondere der Raum Basel und der Alpenbogen.
Denn die Schweiz befindet sich an der Schnittstelle und damit an der Reibungszone zwischen der tektonisch eurasischen Kontinentaltplatte und der afrikanischen Platte. Eine hohe Seismizität gibt es, wie gesagt, am Rheinknie.
Katastrophe von 1356
Es ist somit kein Zufall, dass die Region Basel am 18.Oktober 1356 gegen 22 Uhr abends vom verheerendsten Erdbeben heimgesucht wurde, das sich je auf der Alpennordseite im Bereich des mitteleuropäischen Schollenlandes ereignete. Das Beben erreichte 6,5 Grad auf der Richter-Skala. Die Rheinstadt wurde vollständig zerstört.
Schon im Jahr 250 hatte das römische Städten Augusta Raurica (Augst)
in der Nähe Basels das gleiche Schicksal erlitten. Und Erdbeben waren wiederholt auch in anderen Landesteilen spürbar.
1601 stürzte in Folge eines solchen Bebens ein riesiges Felsstück in den Vierwaldstättersee. Es entstand eine Flutwelle, die sogar Luzern überspülte.
«Es ist bis heute allerdings unmöglich, ein Beben genau vorherzusagen. Wir können nur von einer Wahrscheinlichkeit für bestimmte Regionen ausgehen, die sich in der Grössenordnung von Jahrzehnten und Jahrhunderten befinden «, meint Experte Rauber.
Kleinere Erdstösse mit einer Intensität von einem oder zwei Grad auf der Richter-Skala werden fast täglich in der Schweiz verzeichnet. Sie können von Menschen allerdings gar nicht wahrgenommen werden.
Starke Beben alle 1000 Jahre
Erdstösse der Intensität von 3 bis 5 Grad gibt es im Durchschnitt alle 10 Jahre. Diese können schon gewisse Folgen wie Erdrutsche oder Murgänge haben. Mit Erdbeben der Intensität 6 ist alle Hundert Jahre zu rechnen. Sie bleiben immer noch relativ harmlos.
Die Wahrscheinlichkeit für ein Beben der Stärke 6 ist alle Hundert Jahre gegeben. Schwerwiegendere Beben können verheerende Folgen haben, sind im Durchschnitt jedoch nur alle 1000 Jahre zu erwarten.
Ein Erdbeben, wie es sich vor 600 Jahren in Basel ereignet hat, würde auch heute Tausende von Opfern fordern und Schäden zwischen 40 und 80 Mrd. Franken zur Folge haben. Ein grosser zusätzlicher Risikoherd stellt dabei die chemische Industrie in diesem Raum dar.
Zum Vergleich: Im Beben, das 1995 die japanische Stadt Kobe getroffen hat, sind 6000 Menschen gestorben. Die Schäden beliefen sich auf 100 Mrd. Franken.
Ein Naturereignis dieser Dimension würde auch die Schweizer Wirtschaft hart treffen. Die Versicherungen haben beschlossen, im Falle von Erdbeben die Schadenobergrenze auf 2 Mrd. Franken festzusetzen.
Unterschätzte Risiken
«In der Schweiz wird das Erdbebenrisiko häufig unterschätzt», hält Gaetan Rauber fest. Die Ausstellung im Naturhistorischen Museum von Freiburg hält aus diesem Grund die Wichtigkeit von Präventionsmassnahmen fest. In der Schweiz fehlen diese häufig noch, aber das Eidgenössische Parlament arbeitet an gesetzlichen Grundlagen.
So wurden 90% der Gebäude vor 1989 gebaut. Aus diesem Grund verfügen die meisten Gebäude nicht über antiseimische Baunormen, die erst vor 15 Jahren in der Schweiz eingeführt wurden.
Gebäude, die in Risikozonen stehen, müssten eigentlich erdbebensicher umgebaut werden. Doch eine Sanierung alle Häuser wäre teuer, sie beträgt zirka 10 bis 15% des Gebäudewerts. Zuvor müsste ein Kataster für besonders erdbebengefährdete Gebiete erstellt werden.
Schliesslich müsste ein nationaler Interventionsplan erarbeitet werden. Und dies alles in der Hoffnung, dass es nur ein überflüssiger Zeitvertreib für die Beamten im Umwelt- und Bauministerium wäre. Denn alle hoffen, dass die Schweiz nicht mehr von einem starken Beben heimgesucht wird.
swissinfo, Armando Mombelli
(Übersetzung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
250 n.Chr.: Ein Erdbeben zerstört die römische Siedlung Augusta Raurica unweit von Basel. 1356: Erdstösse der Stärke 6,5 bis 7 zerstören Basel. 1601: Starkes Erdbeben im Raum Luzern.
Auch die Schweiz könnte von einem heftigen Erdbeben getroffen werden. So wie die japanische Stadt Kobe. Dort verloren in einem Beben von 1995 mehr als 6000 Menschen ihr Leben. Die materiellen Schäden beliefen sich auf 100 Milliarden Franken.
In der Schweiz hat die Vernehmlassung für einen Verfassungsartikel für Prävention und Interventionsmassnahmen im Falle eines Erdbebens begonnen.
Eine Ausstellung über seismische Phänomene im Naturhistorischen Museum in Freiburg ist bis 26. September geöffnet.
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