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Genf feierte seinen «Sonderfall»

Der 430 Kilo schwere Kochtopf der Catherine Cheynel (heute aus Schokolade) ist das Symbol der Genfer Escalade. Keystone Archive

Der Kanton Genf ist ein Sonderfall in der Schweiz. Den Beweis dafür lieferte er mit seinem ureigenen Fest, der Escalade, die am Sonntag nach viertägiger Dauer zu Ende ging.

Dank dieser «nationalistischen» Feier behält die Stadt trotz ihrer Vielfalt den Zusammenhalt.

Mit einem grossen Umzug sind am Sonntag in Genf die viertägigen Feierlichkeiten zum 400. Jahrestag der «Escalade» zu Ende gegangen. Erinnert wurde an den Sieg über die Invasion der Savoyer in der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember 1602.

Am historischen Umzug durch die Gassen der Altstadt nahmen rund 800 kostumierte Mitglieder der «Compagnie 1602» und rund 50 Pferde teil. Zu den Ehrengästen gehörten die «Spaleclique» von Basel und das «Korps der 100 Schweizer». Diese Elitetruppe hatte den französischen Königen als Leibwache gedient.

Die diesjährige Escalade war ein Anlass zu besonderer Freude, eine prunkhafte Feier, welche schon im Sommer mit einem Licht- und Tonspektakel eingeleitet wurde.

Die Show mit dem Namen «Sur les ailes du temps» liess die berühmte Nacht vom 11. zum 12. Dezember 1602 wieder auferstehen, in der 2000 Söldner – zumeist Spanier und Neapolitaner – versuchten, die kleine protestantische Republik einzunehmen.

Die Invasion wurde von der gesamten Bevölkerung der Stadt machtvoll abgeschmettert, wie im «Cé qu’è lainô» ziemlich rüde besungen wird. Das Lied in franko-provenzialischem Dialekt wird in Genf noch heute jedes Jahr gesungen.

Ein einzigartiges Fest

Laut Bernard Lescaze, Mitglied des Genfer Grossen Rats und Historiker, hat die Feier etwas in der Schweiz Einzigartiges. «Es ist sicher das einzige lokale Volksfest, das auf einen bewiesenen historischen Anlass zurückgeht», bestätigt der Freisinnige.

Ausserdem feiert man den Anlass schon lange. «1603 gab die Regierung für die bei der Escalade Verwundeten eine Mahlzeit aus, und danach verteilte sie jedes Jahr willkommene Geschenke wie das Recht auf Bürgertum», erzählt der Historiker.

Die Escalade war nur zweimal eine Weile offiziell verboten. «Von 1782 bis 1789», so der Historiker, «als sich eine besonders reaktionäre Regierung, um an der Macht zu bleiben, auf die Truppen der Franzosen, Berner und Sarden stützte.»

Das zweite Mal wurde die patriotische Feier während der französischen Besetzung der Republik Genf von 1789 bis 1813 untersagt.

Ein anpassungsfähiges Fest

Form und Intensität der Gedenkfeier veränderten sich mit der Zeit. Die gegenwärtige Version der Escalade geht auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück.

«In den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts erlebte die Folklore einen Aufschwung», führt Lescaze aus. So entstand 1926 die «Compagnie 1602», die seither die Feierlichkeiten organisiert.

Zu Beginn gehörten der Gesellschaft Leute aus dem politisch rechten Lager an. «Das war vor allem eine Reaktion auf den Zustrom von Eidgenossen, die sich in Genf niederliessen, und auf die Internationalisierung der Stadt, die begann, als der Völkerbund, der Vorgänger der UNO, nach Genf kam», glaubt der freisinnige Abgeordnete.

Dieses patriotische Auflodern fällt auch mit einer Periode starker sozialer Unruhe und der Wahl des Waadtländer Sozialdemokraten Léon Nicole in die Kantonsregierung im Jahr 1933 zusammen.

Wie auch immer, die vereinigende und Identität stiftende Kraft der Escalade scheint heute unumstritten.

Ein misslungener Umsturz

Vor einigen Jahren setzten es sich ein paar Linke und Kunstschaffende in den Kopf, diese Kriegsgedenkfeier abzuschaffen und durch die Feier der Genfer Revolution (1789-1794) zu ersetzen. Doch der «Staatsstreich» misslang.

Dabei hatte die Genfer Revolution (welche die lokale Geschichtsschreibung lange vernachlässigte) im Kern der Feierlichkeiten um die Escalade immerhin beachtliche Spuren hinterlassen.

Der Historiker Eric Golay erinnert daran, dass das Liedchen, das die Genfer Schülerinnen und Schüler jedes Jahr in den Strassen der Stadt singen – «Ah, la belle Escalade» – aus dem Jahr 1793 stammt.

«Und die Melodie», betont Golay, «ist die gleiche wie jene der Carmagnole, des berühmten Lieds der französischen Revolutionäre.»

swissinfo, Frédéric Burnand und Agenturen

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