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Mehr Entwicklungs-Projekte in Städten

Die Armut wächst in städtischen Gebieten, wie in diesem Slum im brasilianischen Sao Paulo, schneller. Keystone

Ab nächstem Jahr wird die Hälfte der Menschheit in Stadtgebieten leben. Dennoch gehen nur 10% der internationalen Entwicklungs-Zusammenarbeit an städtische Projekte.

Auch die Schweiz sollte ihre Entwicklungs-Zusammenarbeit diesem Phänomen anpassen, meint ein Hochschulexperte im Rahmen des Weltbevölkerungstags vom Mittwoch.

In seinem im Juni publizierten Jahresbericht weist der UNO-Bevölkerungsfonds (UNFPA) darauf hin, dass im Jahr 2008 3,3 Milliarden Menschen in Städten leben werden.

Zu dieser Entwicklung trägt die Migration einiges dazu bei.

Jean-Claude Bolay von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) ist der Ansicht, die Profis der Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit müssten ihre “kulturelle Blockade” gegenüber den Grossstädten im Süden aufgeben.

Die Schweiz habe in diesem Bereich einige Trümpfe in der Hand.

swissinfo: 2006 hat die Schweiz ein wenig mehr als 2 Milliarden Franken für Entwicklungs-Zusammenarbeit ausgegeben. Wieviel davon ging an städtische Projekte?

Jean-Claude Bolay: Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) hat heute keine Nomenklatur mehr, die eine Differenzierung zwischen ländlichen und städtischen Projekten vorsieht. Vor vier bis fünf Jahren wurde der Bereich für städtische Projekte in andere Sektoren integriert.

Der Bereich war bei der DEZA seit jeher unbedeutend gewesen, dennoch gab es ein gewisses Expertenwissen. Mit dem Eingliedern in andere Sektoren ist die kritische Masse von Spezialisten zur Klärung urbaner Fragen nicht mehr vorhanden.

swissinfo: Verpasst die Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit damit die Herausforderung der Verstädterung?

J.-C.B.: Im internationalen Vergleich ist die DEZA sicher jene Organisation, die in Sachen Investitionen in urbane Projekte am meisten tut und am intelligentesten arbeitet.

Entwicklungs-Zusammenarbeit leisten aber auch viele Nichtregierungs-Organisationen (NGO). Die Schweizer NGO, für ihre Professionalität bekannt, sind im städtischen Bereich noch weniger präsent als die DEZA.

swissinfo: Aus welchem Grund?

J.-C.B.: Ich glaube, auf dieser Ebene gibt es eine kulturelle Blockade. Und dann betrachtet man als Schweizer sein Land als klein, ein Land, das unfähig ist, die grossen Städte im Süden zu begreifen.

Man kann sich nicht vorstellen, dass sich die Entwicklung ausserhalb der Zusammenhänge zwischen Naturschutz und Umwelt einerseits sowie Armut und ländlichen Gebieten andererseits abspielt. Statistiken weisen heute auf eine Tendenz zur Urbanisierung der Armut hin.

swissinfo: Laut dem Bericht des UNO-Bevölkerungsfonds lebt heute einer von drei Mensch in einem Slum.

J.-C.B.: Die Investitionen der Entwicklungs-Zusammenarbeit werden heute zu oft nach Rentabilitätskriterien oder politischen Kriterien gemacht. Die Bedürfnisse der Mehrheit werden oft nicht berücksichtigt.

In den Städten befinden sich ganze Zonen ausserhalb der Kontrolle der Behörden. Auch wenn es in den Städten mehr Möglichkeiten gibt als auf dem Land, die humanitären und sanitären Bedingungen und die daraus resultierenden sozialen Folgen sind sehr oft kaum akzeptierbar.

Man muss hier viel besser vorarbeiten, denn die Entwicklungs-Investitionen dürfen nicht erst gemacht werden, wenn die städtischen Zonen bereits besetzt sind. Das kommt nämlich teurer zu stehen.

swissinfo: Ist die Entwicklungs-Zusammenarbeit nicht dazu verdammt, zu spät zu kommen?

J.-C.B.: Man kommt immer zu spät, wenn man denkt, die Lage sei nicht prioritär. Heute sieht man, dass kleine Städte mit 20, 30 oder 50’000 Einwohnern vernachlässigt werden.

Wir müssen aus den gewohnten Schemen ausbrechen und dort arbeiten, wo sich das Phänomen der Urbanisierung rasch ausbreitet.

Von diesem Standpunkt aus gesehen kann die Schweiz einige Trümpfe geltend machen. In den Bereichen Stadtplanung, Regelung der Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturen sowie guter Regierungsführung hat die Schweiz nützliche Erfahrungen.

swissinfo, Carole Wälti
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

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Deza

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ist die Agentur für internationale Zusammenarbeit im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Sie ist Teil der Schweizer Behörden (Verwaltung) und zuständig für die Gesamtkoordination der Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit mit andern Bundesämtern sowie für die humanitäre Hilfe der Schweiz.

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Die urbane Bevölkerung hat im 20. Jahrhundert stark zugenommen: Laut UNO-Statistik ist sie von 220 Mio.auf 2,8 Mrd. Menschen angestiegen.

2008 wird eine historische Grenze überschritten werden: Erstmals wird die Hälfte der Weltbevölkerung, d.h. 3,3 Mrd. Menschen, in der Stadt leben.

2030 werden 5 Mrd. Menschen in Städten leben, d.h. 60% der Weltbevölkerung. 1950 waren es noch 29%.

Die Armut wächst schneller in städtischen als in ländlichen Gebieten. In Afrika leben 72% der städtischen Bevölkerung in Armut, in Asien sind es deren 56%.

Von 2000 bis 2030 wird die städtische Bevölkerung in Asien von 1,36 auf 2,64 Mrd. ansteigen.
Afrika: von 294 auf 742 Mio.
Lateinamerika: von 394 auf 609 Mio.
2030 werden in Europa 685 Mio. Menschen in Städten leben.

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