
Röstigraben-Wissenschaft

Der "Röstigraben" ist "le roestigraben" ist der "fossato dei rösti" ist der "foss da la rösti". Eine Fachtagung wirft ein Schlaglicht auf die Kluft zwischen deutscher und romanischer Schweiz.
Dem Röstigraben widmet das Landesmuseum und das Forum Helveticum eine Fachtagung: Während drei Tagen beleuchten rund 30 Referentinnen und Referenten aus den Bereichen Archäologie, Numismatik, Volkskunde, Geschichte, Politologie, Geographie und Kultur das helvetische Phänomen.
Den Auftakt machte am Dienstagabend der Westschweiz-Korrespondent der NZZ, Christophe Büchi. Der Röstigraben sei eine «schiefe Metapher», denn das Kartoffelgericht werde in der ganzen Schweiz gegessen und ausserdem sei der Begriff in der ganzen Eidgenossenschaft verbreitet, sagte Büchi. Eine Antwort auf die erfolgreiche Verbreitung liefere das Wort selber: Der Röstigraben dramatisiert (Graben) und entdramatisiert zugleich (Rösti). Das Wort ist somit kurz, prägnant und ironisch.
«Röstigrabologe» Büchi
Der in Freiburg – beziehungsweise im oder am Röstigraben – geborene Journalist Büchi lebt heute bei Lausanne. Er ist durch seine Arbeit gewissermassen ein «Röstigrabologe». Die Unterschiede zwischen der übermächtigen Deutschschweiz und der romanischen Schweiz konnte er aber nicht gebührend journalistisch verarbeiten. Darum publizierte er ein 300-seitiges Buch zum Thema. Der Titel: «Röstigraben».
Darin beschreibt er den beschwerlichen Weg der Eidgenossenschaft von den zaghaften Anfängen bis hin zur heutigen «Vernunftehe gereizter Eheleute», in der die Mehrsprachigkeit zum Problem zu werden droht.
Probleme und Krisen
Die Entstehung der heute von Politikern als ach so viersprachig und ergo tolerant gelobten Schweiz demaskiert er als Abfolge von Krisen und Kriegen. Letztere wurden gegen gemeinsame Feinde ebenso blutig geführt wie gegen das fragile Innere: «Das Verhalten der Eidgenossen (zwischen 1291 bis 1481) deutete jedenfalls nicht darauf hin, dass die Schweiz dereinst die sogenannte Wiege des Roten Kreuzes werden sollte. Dass es eine welsche Schweiz gibt, ist in erster Linie das Resultat von Kalkül, Zufall, Macht und Gewalt», schreibt Büchi.
Blicke jenseits der Schulstuben
Von der ominösen Gründungs-Versammlung bis hin zu den aktuellsten Reibereien spannt der Autor den Bogen zwischen den Landesteilen. Wohlgemerkt weit entfernt von der Schulstuben-Geschichtsstunde, dem Schillerschen Theaterstück über den Scharfschützen Willhelm Tell und alljährlicher 1.-August-Reden.
Dass die Schule oft mehr Spaltpilz als Multikulti-Liane ist, untermauert Büchi mit Anekdoten vom eigenen Schulausflug ebenso wie mit dem Streit und den Widerständen ums Frühfranzösisch und dem «Sprachenstreit», den Ernst Buschor 1997 vom Zaune brach: Der Zürcher Erziehungsdirektor wollte in den Primarschulen die Wirtschafts-Sprache Englisch vor der Landessprache Französisch lehren lassen.
Schwarzer Samichlaustag 1992
Buschors Absicht könnte als wenig sensibler Plan eines wirtschaftsfreundlichen Regierungsrats abgetan werden. Für die romanische Schweiz lieferten seine Pläne aber einen weiteren Beweis für die Arroganz und Fremdbestimmung der finanzstarken Deutschschweiz.
Geöffnet hatte sich die gähnende Kluft zwischen der Suisse Allemmannique und dem Welschland nach dem EWR-Verdikt vom 6. Dezember 1992: Der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) wurde mit 50,3 Prozent verworfen – und alle welschen Kantone überstimmt. Das Tessin stimmte mit der Deutschschweiz.
Dieser Abstimmungs-Sonntag wurde zum Trauertag aller europhilen Geister in der (West)schweiz. Danach wurde der Röstigraben – erstmals 1979 in den Medien aufgetaucht – immer breiter geschaufelt. Zeitweise gebärdeten sich welsche Medien so, als ob die Schweiz seither am Auseinanderbrechen sei und die Romandie sich Frankreich anschliessen wolle und das Tessin Italien zugeschlagen würde.
Röstigraben-Analyse
Noch bevor die Wunde verheilte, wurde der feine Schorf weggerissen: 1994 wurde die Alpen-Initiative, welche den Transitverkehr eindämmen sollte, mit 52%-Ja-Stimmen angenommen. Ein weiterer Schlag gegen die französisch-sprachigen Kantone, welche Nein gestimmt hatten. Wieder stimmte die italienisch-sprachige Sonnenstube mit den Schweizer Allemannen. Für Büchi der Beweis, dass es selbst um die Solidarität zwischen den lateinischen Minderheiten nicht nur gut bestellt ist.
Spätestens seit diesen Ereignissen werden alle Abstimmungs-Resultate auf den Röstigraben hin untersucht – ob er zustande kam, oder eben nicht.
Philippe Kropf

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