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Schicker Abfall

Aus Alt mach Neu: Flaschenhälse werden zu Garderobe-Haken. Keystone Archive

Unter dem Titel "Alles Abfall? Recycling im Design" zeigt das Zürcher Museum Bellerive eine bunte Ausstellung mit rezyklierten Gegenständen.

Schweizer Fantasien sind grenzenlos, wenns ums Wiederverwerten geht: Von Tinguelys Kunst bis zur Freitags-Tasche.

Das währschafte Recycling gehört zu den Schweiz-Klischees wie Finanzplatz, Kühe und Berge. Im Ausland wird diese uralte Nationaltradition des Wiederverwertens halb bewundernd, halb belächelnd mit der typisch helvetischen Mischung von protestantischen Tugenden, Geiz und früh entwickeltem Umweltbewusstsein in Zusammenhang gebracht.

Trendy statt währschaft

Schweizer selber hingegen erklären sie gerne aus dem früheren Mangel an Ressourcen heraus, als es zwar schon Kühe und Berge, aber noch keinen Finanzplatz gab.

Nur: modern schweizerisch – und jetzt sogar ausstellungswürdig – ist vor allem der Umstand, dass das Recycling in der Schweiz auch gern mit einem entsprechenden Design verpackt wird: althergebracht aufgezwungene Bescheidenheit entwickelt sich damit zum gewollten «trendy understatement».

Das zeigt sich schon im ersten Ausstellungsraum im Zürcher Museum Bellerive, das sich dem Raummotto «Ideal der Reinheit» anpasst.

Nackte Glühbirnen stecken in ehemaligen Einmachgläsern, bringen Licht in abstrakte Abfallberge, die gar nicht mehr sichtbar sind. Schön und «designed» kommen die rezyklierten Gegenstände daher, verwaschen sind ihre Spuren aus ihrer Vergangenheit, in der sie anderen Zwecken dienten. Auf einem Monitor erscheinen Zitate, die das Ideal der Reinheit preisen.

Weniger ist mehr

«Less is more» (weniger ist mehr) hiess zum Beispiel einer von Ludwig Mies van der Rohes (1886-1969) Glaubenssätzen und so steht eine künstliche Rose mit weiss angemalten Blättern als Zitat für den Architekten und Designer im Raum.

Die Vorstellung, dass Abfall etwas Interessantes, möglicherweise sogar Wertvolles sein kann, aus dem Neues geschaffen wird, ist keineswegs selbstverständlich.

Insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Tendenz zur «Reinigung» in der Architektur, in der abstrakten Malerei äusserst prägend. Das Reine ist positiv besetzt, das Unreine, Schmutzige und Weggeworfene hingegen negativ.

Von Tinguely bis zur trendigen Freitags-Tasche

In den 60er Jahren trat dann die Wende ein. Der oftmals als steril empfundenen Moderne wurde die Postmoderne entgegengesetzt. Jean Tinguelys Schrottmaschinen wirkten auf ihre provozierende Art fast heimelig.

Die «Fallenbilder» von Daniel Spoerri mit dreckigem Geschirr und überquellenden Aschenbechern erzählten Geschichten voller Unrein- und Ungereimtheiten. Abfall wurde schick.

Die Ausstellung im Museum Bellerive konzentriert sich auf Abfall im Bereich des Designs, des Re-Designs und der Ästhetik einer bestimmten Epoche. Im Raum «Sichtbares Recycling» werden Produkte aus Lastwagen-Planen, die mittlerweile bekannten Freitag-Taschen, gezeigt.

Einstige Swissair-Sicherheitsgurten werden in trendige Gürtel umfunktioniert, nach oben gerichtete abgeschnittene Flaschenhälse verwandeln sich in eine Garderobe. Und auch das Gilet aus der einstigen Armeewolldecke fehlt nicht.

Einkaufen im Brockenhaus



Früher bestand die Kundschaft der Brockenhäuser lange Zeit ausschliesslich aus Leuten, die aus finanziellen Gründen Gebrauchtes kaufen mussten. Seit den 80er Jahren gehört der Gang ins Brockenhaus – und damit verbunden das Aufspüren von Trouvaillen – zur neuzeitlichen Freizeitbeschäftigung.

Folgerichtig ist also auch der Gang ins Brockenhaus eine Form von Wiederverwertung. Für 1000 Franken hat Aline Ozkan einen ganzen Raum mit Gegenständen aus verschiedensten «Brockis» eingerichtet.

Der Hauch der 70er Jahren weckt Erinnerungen, bringt längst Vergessenes wieder an den Tag. Fototapete mit herbstlichem Wald-Sujet, viel Plastik, olivgrüne, gewobenen Vorhänge, Polyesterhose.

Faserpelz aus PET-Flaschen

Der Raum «Unsichtbares Recycling» zeigt Produkte, bei denen ausdrücklich auf ihren Recycling-Charakter hingewiesen werden muss. So Sportbekleidung aus Faserpelz, die zwar aussieht wie andere Sportbekleidung auch. Mit dem einen Unterschied, dass sie zu 50 bis 90% aus weggeworfenen Kunststoff-Getränkeflaschen und nicht ausschliesslich aus Erdöl besteht.

Die Ausstellung im Museum Bellerive zeigt die vielfältigen Aspekte rund ums Rezyklieren auf. Sie zeigt, dass auch im Lande der Wiederverwertungs- Weltmeister (Schweiz) Trends und Modeströmungen neben einem überlegten Umgang mit Ressourcen ihren Platz finden.

swissinfo, Brigitta Javurek

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