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Steuerrrabatt für Working Poor

Arm trotz Erwerbstätigkeit: Besonders hart kann es auch für Familien sein. swissinfo C Helmle

Die Armut unter Erwerbstätigen in der Schweiz soll mit Steuergutschriften statt mit gesetzlich verankerten Mindestlöhnen bekämpft werden.

Dies ist das Fazit einer Studie, die Bundesrat Pascal Couchepin am Dienstag während eines Medienausflugs auf die Petersinsel vorlegte. Von der neuen Armut sind in der Schweiz schätzungsweise 284’000 Menschen betroffen.

Die von den beiden Berner Universitäts-Professoren Michael Gerfin und Robert Leu im Auftrag des Volkswirtschafts-Departements (EVD) erstellte Studie beleuchtet das Phänomen der erwerbstätigen Armen, der so genannten Working Poor.

Trotz Einkommen kein Auskommen

Working Poor werden in der Studie als Menschen oder Familien definiert, deren Einkommen trotz einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 40 Stunden unter der Armutsgrenze liegen. 1998 waren demnach 86’000 Haushalte in der Schweiz betroffen, in denen 284’000 Menschen lebten. Dies ergibt eine Quote von 4,5% aller Schweizer Haushalte.

In der Studie werden Vorschläge zur Lösung des Problems gemacht. Diese bestätigen Wirtschaftsminister Couchepins Auffassung, dass staatlich aufgezwungene Mindestlöhne, wie sie vom Gewerkschaftsbund verlangt werden, kein geeignetes Rezept sind.

Steuergutschriften statt Mindestlohn

Abgesehen von der Gefahr, dass durch zu hohe Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichtet würden, sei dieses Instrument wenig effektiv bei der Reduktion der Armut, erklärte Couchepin. Eindeutig besser seien demgegenüber Modelle, welche die Armutslücken über Steuergutschriften zu schliessen versuchten.

Ein staatlich vorgeschriebener Mindestlohn ist laut den beiden Berner Professoren eindeutig am wenigsten geeignet, um die Zahl der erwerbstätigen Armen zu reduzieren.

Gemäss den Autoren entlasten Steuergutschriften zudem die Sozialhilfe. Ohne Zweifel seien Mindestlöhne ein wirksames Instrument zur Reduktion der Lohnungleichheit unter Erwerbstätigen. Bei hohen Mindestlöhnen bestehe aber die Gefahr, dass die Beschäftigung negativ beeinflusst werde.

Trotz eines Mindestlohns von netto 3000 Franken im Monat müssten 30’000 Familien oder 95’000 Menschen weiterhin unter der Armutsgrenze leben, heisst es in der Studie. Ein Nachteil des Mindestlohns sei, dass er sich im Unterschied zu anderen Modellen nicht nach der Kinderzahl einer Familie richte.

Nicht alle in Armut Lebenden sind Working Poor

Hinzu komme, dass 91% der Menschen mit sehr tiefem Einkommen nicht in die Kategorie der Working Poor fielen, weil es zum Beispiel häufig um tiefe Zusatzeinkommen gehe.

Die Wissenschafter bevorzugen Steuergutschriften als Mittel gegen die neue Armut. Sie wiesen gegenüber einer Erhöhung der Mindestlöhne den zusätzlichen Vorteil auf, dass sie auch für selbständig Erwerbende eingesetzt werden könnten.

Dies ist gemäss Gerfin und Leu umso bedeutsamer, als die Armutsquote in dieser selbständigen Erwerbsgruppe deutlich höher liegt als bei den unselbständig erwerbstätigen Haushalten.

Zwei Gutschrifts-Modelle

Die Studie untersucht zwei Modelle von Steuergutschriften. Das erste, von den Autoren bei gleichen Kosten als wesentlich wirksamer bezeichnet, geht von der Grundidee aus, dass alle anspruchsberechtigten Haushalte über Steuergutschriften genau jenen Betrag erhalten, der nötig ist, um ihre Armutslücke zu schliessen. Mit durchschnittlich 9000 Franken Steuererleichterung pro Jahr könne eine Familie aus der Armut geführt werden.

Das zweite Modell lehnt sich an Instrumente der USA und Grossbritanniens an und gleicht die Differenz zwischen dem Einkommen und der Armutsgrenze nicht unbedingt vollständig aus. Dafür enthält es über lineare Kürzungen der Steuergutschrift ab einem gewissen Betrag einen Anreiz für die Bezüger, ihre Arbeitszeit nicht zu verkürzen.

swissinfo und Agenturen

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