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Tsunamis bleiben unberechenbar

Durch Erdbeben oder Vulkanausbrüche ausgelöste Riesenwellen haben ein grosses Zerstörungspotenzial. Keystone

Ein ETH-Forscher erklärt, dass sich die Auswirkungen von Tsunamis nicht voraussagen lassen. Besser als Prognosen seien Aufklärung und Schutzbauten.

Willy Hager ist Forschungsleiter an der Versuchsanstalt der ETH und gehört zu den weltweit führenden Tsunami-Spezialisten.

Die Auswirkungen solcher Riesenwellen vorherzusagen, bleibe schwierig. “Auch die Auswirkungen des Erdbebens vor Sumatra waren nicht vorhersehbar”, sagt der Chef der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH).

“Wir wissen, dass bei einem Erdbeben unter oder in der Nähe des Meeres meistens Wellen entstehen. Dies haben viele Menschen vor einigen Wochen noch nicht verstanden.” Vorherzusagen, wie gross diese Wellen werden, das allerdings sei schwierig.

“Es gibt keine exakten experimentellen oder numerischen Modelle, um das Verhalten eines Tsunamis zu errechnen. Zu viele Faktoren, wie die jeweilige Küstenlinie, spielen dabei eine Rolle.”

Aufklärung und Schutz

Viele Experten verlangen derzeit nach einem Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean, um eine neue Katastrophe zu vermeiden.

Hager stimmt dem zu: Ein solches System wäre ein Schritt in die richtige Richtung; es gebe aber noch andere Wege, die zerstörerischen Auswirkungen von Killerwellen abzuschwächen.

“Wir sollten damit beginnen, die Kinder in den Küstengebieten über die Gefahren von Tsunamis aufzuklären,” appelliert er. “Die Menschen müssen lernen, dass ein Erdbeben nicht nur direkt, sondern auch indirekt durch riesige Flutwellen grossen Schaden anrichten kann.”

Die Tourismusindustrie könnte Menschen schützen – Touristen und besonders auch die einheimische Bevölkerung. In den gefährdeten Gebieten sollten Schutzeinrichtungen geschaffen werden.

“Das können beispielsweise erdbeben- und tsunami-sichere Hotels der Küste entlang sein mit Schutzräumen für Einheimische”, sagt er. Tsunamis würden beim Auftreffen auf die Küste zwar abgeschwächt, sie hätten aber immer noch genügend Kraft, um grossen Schaden anzurichten, so Hager weiter.

Gefahrenpotenzial in der Schweiz

Neben Erdbeben verursachen auch Vulkanausbrüche und Erdrutsche grosse Wellen. In der Schweiz geht die Bedrohung insbesondere von Lawinen und Felsstürzen aus. An einigen Orten könnten sie grosse Wellen auslösen.

“In der Schweiz gibt es viele Stauseen. Dort könnten sich Erdrutsche und Lawinen fatal auswirken”, sagt Hager. In der Schweiz ist das bisher nie geschehen. Vor vierzig Jahren kamen in Italien jedoch rund 2500 Menschen in einer grossen Welle um, die nach einem Erdrutsch bei einem Staudamm das Land überflutete.

Hagers Forschungsschwerpunkt sind die sogenannten Impuls-Wellen. Dabei untersucht er insbesondere, wie sich solche Wellen abschwächen lassen. Erst kürzlich hat sein Team die Auswirkungen des Erdrutsches am Lituya Strand in Alaska von 1958 studiert.

Dabei war eine riesige Welle ausgelöst worden, die am anderen Ufer des Fjords über 500 Meter hoch stieg, Bäume entwurzelte und Erdmassen mit sich riss.

Dem Team um Hager gelang es, diesen Erdrutsch zu simulieren. Es kam zu Ergebnissen, die bisherige Beobachtungen in Alaska bestätigen.

Überflutete Städte

Tsunamis, die nur im Meer entstehen können, sind keine Bedrohung für die Schweiz. Kleinere Flutwellen sind allerdings auch hier möglich. Zum Beispiel in der Stadt Zürich. “Der Sihlsee-Damm in der Nähe von Einsiedeln, der 1930 gebaut wurde, ist eine potenzielle Bedrohung für die Stadt”, sagt Hager gegenüber swissinfo.

Eine Welle, die von dort ausginge, könnte vor allem um den Hauptbahnhof herum Schaden anrichten. “Aber die meisten Gebäude dort sind so stabil, dass sie einer solchen Wassermasse Stand halten könnten.” Die Wahrscheinlichkeit sei eher klein, dass eine solche Welle Menschenleben fordern könnte, ergänzt der Wellen-Spezialist.

“Die meisten Leute nehmen nicht wahr, dass wir den Flutalarm zweimal im Jahr testen. Selbst wenn etwas geschehen sollte, bliebe für eine Evakuation genügend Zeit.”

swissinfo, Scott Capper
(Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel)

Tsunamis können durch plötzliche Bewegungen im Meer wie Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Erdrutsche entstehen.

Ein Tsunami breitet sich mit einer hohen Geschwindigkeit von 500 bis 1000 km/h über Entfernungen bis zu 20’000 km aus und kann in Ufernähe auf eine Höhe von 30 Metern und mehr ansteigen.

Den Begriff “Tsunami” prägten japanische Fischer auf Grund ihrer Erfahrung mit dieser besonders gefährlichen Art von Wellenbildung im Meer. Übersetzt heisst der Ausdruck “Grosse Welle im Hafen”.

Am 26. Dezember 2004 löste ein Erdbeben im indischen Ozean eine Riesenwelle aus.

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