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“Schuluniformen sind unschweizerisch”

Schuluniformen sind auch in Südafrika obligatorisch. Keystone

Teure Markenkleider, bauchnabelfreie Shirts, Schuhe mit dem "richtigen" Label: Auf den Pausenplätzen wird oft exzessive Selbstverwirklichung betrieben.

Bei der Frage, ob deshalb in der Schweiz die Kleidung für Schülerinnen und Schüler uniformiert werden soll, haben vorerst die Gegner die Oberhand behalten.

“Die Idee ist ja gut gemeint, aber ich habe, ehrlich gesagt, schon etwas Mühe mit Uniformen. Das hat was mit Militär, mit dem ‘WIR’-Gefühl der braunen Vergangenheit zu tun”, schreibt ein Internet-Forumsteilnehmer der Basler Zeitung BAZ zum Thema “Schuluniformen”.

Seiner Ansicht nach sind Schüler zwar “oftmals lebende Werbesäulen, aber das ist eben Freiheit.”

Die Luzerner Schulkinder jedenfalls müssen dem Unterricht auch in Zukunft nicht uniformiert folgen. Die Kantons-Regierung hat Ende Januar ein Postulat von Grossrat Josef Roos mit der Begründung abgeschmettert, Schuluniformen passten nicht ins kulturelle Umfeld, Einheitskleidung unterdrücke die Identität und Persönlichkeit der Schüler.

Roos von der rechtsgerichteten Schweizerischen Volkspartei (SVP) begründete seine Forderung mit dem zu hohen Stellenwert, den Kleidung bei den Schülerinnen und Schülern einnehme.

So herrsche auf den Pausenplätzen ein wahrer “Markenwahn”, der auch vom Unterricht ablenke. Und wer nicht mitmache, werde ausgestossen, gemobbt, verprügelt.

Für Roos schafft einheitliche Schulkleidung zudem Klassengeist und Gemeinschaftssinn. So lasse sich nicht mehr erkennen, ob ein Schüler aus einer Juristen- oder Fabrikarbeiter-Familie stamme.

“Schuluniformen sind unschweizerisch”, behauptet dagegen Damian Meier, Grossrat der Freisinnigdemokratischen Volkspartei (FDP). Roos kontert: “Auch die Mutterschaftsversicherung hatte bei uns keine Tradition. Dennoch führten wir sie ein.”

Ein BAZ-Forumsteilnehmer stellt sich gleichwohl die Frage, wie viel der elterlichen Erziehung der Staat, die Schule denn noch übernehmen müssten: “Es kann nicht sein, dass Eltern, welche mit ihren Kindern punkto Kleider usw. überfordert sind, die Verantwortung an den Staat/Schule weitergeben.”

“Schulkleidung ist nicht Schuluniform”

Trotzdem: Schüleruniformen in der Schweiz sind offiziell kaum denkbar, wären gar revolutionär. Anders in Grossbritannien, Irland oder Neuseeland. Dort ist ein Schüler in Schulkleidung so normal wie die der Postbote in Uniform, der Arzt im weissen oder grünen Kittel, der Richter in seiner Robe oder der Mönch in seiner Kutte.

Für Studienrätin Karin Brose von Haupt- und Realschule in Sinstorf in Hamburg ist “Schulkleidung nicht Schuluniform”. Denn eine Uniform sei etwas Totalitäres, von der Obrigkeit Verordnetes. Schulkleidung dagegen sei demokratisch, da sie Schülerinnen und Schüler mitbestimmten.

Brose weiss, wovon sie spricht. Vor fünf Jahren hat die heute 55-Jährige bei ihrer Klasse die “Schulkleidung” eingeführt, die im Gegensatz zur Schuluniform bei ihren Schülern Akzeptanz gefunden hat. “Sie identifizieren sich mit ‘ihrer Schulkleidung’, weil jeder aus einer umfassenden Kollektion moderner Kleidungsstücke wählen kann.” Nur Farbe und Logo sind festgeschrieben.

Die Studienrätin machte die Erfahrung, dass in Klassen, wo Schulkleidung getragen wird, das Zusammengehörigkeitsgefühl wächst, genauso wie bei Sportvereinen und anderen Interessengruppen. “Nobelinternate nutzen dieses Prinzip schon immer.”

Positive Reaktionen der Betroffenen

Die Schülerinnen und Schüler aus Karin Broses Klasse sind durchwegs der Ansicht, die Schulkleidung habe eine nachhaltige positive Veränderung bewirkt. Auch habe sich der Status-Wettbewerb nicht einfach auf den Turnschuh-Besitz verlagert.

Dies belegt auch eine Studie der Universität Giessen: In Klassen mit einheitlicher Schulkleidung herrschen ein besseres Sozialklima, höhere Aufmerksamkeit und ein höheres Empfinden von Sicherheit. Weiter werde in solchen Klassen der Kleidung ein niedrigerer Stellenwert beigemessen.

Es liegt nicht nur an der Kleidung

Die Schulkleidung muss gemäss der Studie jedoch einige Zeit getragen worden sein, bis sich die Unterschiede herausschälen. Die Uni-Pädagogen sagen aber nicht, die positiven Veränderungen seien lediglich auf das Tragen gleicher Pullover zurückzuführen.

Denn ohne engagierte Lehrkräfte und vom Konzept überzeugte Eltern und Schüler wäre kein Erfolg möglich gewesen, so Oliver Dickhäuser, Verfasser der Studie.

Dem pflichtet Karin Brose bei. Es müsse mit den Schülern über Mode, Marken, Zwang, Respekt und Anstand diskutiert werden. Dies löse einen Bewusstwerdungs-Prozess aus.

So könnten auch Schweizer Schülerinnen und Schüler etwas lernen über die niedrigen Herstellungskosten von teurer Markenkleidung und die hohen Kosten für Werbung und Imagebildung.

swissinfo, Etienne Strebel

Bei Immer mehr Jugendlichen nimmt der teure Statuskonsum bei Kleidern, Mobiltelefonen oder Laptops zu.

Experten schätzen, dass Kinder und Jugendliche in der Schweiz jährlich mindestens 600 Mio. Franken Taschengeld zur Verfügung steht.

Die durchschnittliche Schuldenlast eines 13-Jährigen beträgt rund 500 Franken. Die Spanne reicht von 5 bis zu mehreren Tausend Franken.

Laut einer Befragung von 1000 Jugendlichen waren 760 bereit, sich zu verschulden, wenn ihnen das Geld zum Barzahlen fehlte.

In Finnland gehört der Umgang mit Geld von der 7. bis 9. Klasse zum Stundenplan.

(Quelle: Bildung Schweiz)

Ende Januar 2006 hat sich die Regierung des Kantons Luzern gegen die Einführung von Schuluniformen ausgesprochen.

In der Schweiz gibt es keinen einzigen Kanton, der seine Schülerinnen und Schüler in Uniformen oder Schulkleidung steckt.

In Europa herrscht in Grossbritannien, Irland und Zypern Schuluniformzwang. Dasselbe gilt für Australien, Singapur, Hongkong, Neuseeland, Indien, Japan, Korea und Südafrika.

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