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“Wozu ‘Genève internationale’, wenn wir immer nur Briefträger spielen?”

Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis trifft Irans Präsident Hassan Rouhani am 7. September in Teheran. Keystone / President Office Handout

Der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder hat als Mitglied der Aussenpolitischen Kommission eine Schweizer Delegation in den Iran begleitet. Er ist überzeugt: Die Rolle der Schweiz als Vermittlerin in der Region ist ausbaufähig.

swissinfo.ch: Sie sind zurück aus dem Iran, wohin Sie den Schweizer Aussenminister begleitet haben. Was ist Ihre Bilanz?

Thomas Minder: Die Situation ist angespannt, aber die Schweiz ist zum Vermitteln prädestiniert. Sie kann das. Vielleicht nicht direkt auf Ebene Staatsoberhaupt, aber mit der Nummer 2 oder 3, etwa einem Wirtschaftsminister.

Man vergisst oft: Der Kontext ist noch grösser als nur der Konflikt zwischen den USA und dem Iran. Der Iran unterhält auch keine Beziehungen zu Saudi-Arabien. Die beiden Länder führen im Jemen einen Stellvertreterkrieg. Auch hier haben wir Schutzmachtmandate. Der neutralen Schweiz traut man in diesem Konflikt zu, dass sie vermitteln kann.

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Ging es vorwärts in diesen Dossiers?

Man redet miteinander, man signalisiert seine Bereitschaft, man hat sogar eine Roadmap, aber es bräuchte etwas mehr Mut, um den Iran und die USA an den Tisch zu bringen, mehr Proaktivität.

Die Rolle als aktive Vermittlerin hat die Schweiz zwischen den USA und dem Iran bisher nicht angestrebt. Sie fungierte nur als Briefträgerin.

Die Rolle der Schweizer Botschaft in Teheran ist aber ausbaubar. Wir sind im iranischen Volk hoch angesehen. Wir vertreten die Interessen der USA vor Ort, und wir unterhalten gute Beziehungen in die USA. Wir müssen diese Dinge mehr in die Hand nehmen. Wozu haben wir Genève internationale, wenn wir immer nur den Briefträger spielen?

Thomas Minder (2.v.l.) mit Aussenminister Cassis (r.) in der Schweizer Botschaft in Teheran. EDA Mediendienst

Die Sache ist verzwickt, es geht ja nicht nur um Politik.

Wir können natürlich 100 Jahre lang mit dem Iran über die Menschenrechte reden. Ja, es ist absolut wahnsinnig, was dort passiert. Aber wir kommen so nicht weiter, schon gar nicht in einer Ära Trump mit verschärften Sanktionen und brutalen Strafen bei entsprechenden Verstössen.

Wo sehen Sie Möglichkeiten?

Die Schweiz hat ja bereits zwei Kanäle offen. Wir dürfen Medizinalgüter exportieren und im Foodbereich auch Babynahrung. Vielleicht schaffen wir es, noch eine dritte Schiene zu öffnen, in kleinen Schritten. Ich spreche nicht vom Aufheben der Sanktionen oder von Freihandel. Aber die Wirtschaft ist sicher die richtige Schiene. Nur eine Roadmap für den Iran zu haben wird der längerfristig nicht genügen.

Die Schweiz hat also eine Roadmap? Wie sieht diese aus?

Da sind zwölf Punkte drauf, und man bewegt sich in Millimetern.

Zum Beispiel?

In Sachen Iran-Saudi-Arabien lässt die Schweiz keine Vorwärtsstrategie erkennen. Man war nahe daran, dass man die saudi-arabische Interessensvertretung in einer Stadt wahrnimmt, und jene der USA in einer anderen.

Wo harzt es?

Es braucht mehr Wille. Bei Aussenminister Cassis ist dieser spürbar. Er ist von seiner Partei her ein Wirtschaftsvertreter. Er dürfte aber im Iran den Fokus noch mehr auf die Wirtschaft legen. Das Humanitäre wird folgen. Unter Cassis Vorgängern war man meines Erachtens zu passiv oder zu stark auf die Menschenrechte fixiert. Denn es ist klar: Die Leute setzen sich nur an einen Tisch, wenn sie über wirtschaftliche Fragen verhandeln können.

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Wie geht es eigentlich der Schweizer Wirtschaft vor Ort?

Man hält die Stellung. Ein Vertreter einer börsenkotierten Schweizer Unternehmung sagte mir: ‘Wir sind hier, aber wir machen nichts.’

Von Nestlé sahen wir Kitkat-Riegel und Nespresso. Kaffee ist kein humanitäres Gut, aber er findet den Weg ins Land.

Steht alles still? Wirken die US-Sanktionen also?

Nein. Das Land funktioniert, die Regale sind voll, die Bazare auch. Man muss sich nicht weismachen, dass diese Sanktionen funktionieren. Es gibt eine Parallelwirtschaft. Wir fuhren neue Mercedes, vorbei an einem Samsung-Geschäft, einem Lego-Geschäft. Die iranische Führung bis hin zu Khamenei benutzt Apple-Geräte.

Von Nestlé sahen wir Kitkat-Riegel und Nespresso. Kaffee ist kein humanitäres Gut, aber er findet den Weg ins Land.  Das ist ein Problem: Es kann ja nicht im Interesse von Nestlé sein, dass Nestlé-Produkte im Graumarkt angeboten werden. Und doch wird es keine seriöse Schweizer Unternehmung wagen, im Iran zu geschäften, solange es illegal ist. Die USA strafen das knallhart ab.

Nach drei Tagen in Luxushotels und Limousinen: Glauben Sie, Ihr Blick auf Irans Wirtschaft ist vollständig?

Ich habe mit Leuten geredet. Natürlich leiden sie an einer unglaublichen Inflation. Der Parallel-Import macht die Waren teuer. Der Schwarzmarkt hinterlässt kein Steuersubstrat.

Und dennoch bin ich überzeugt: Nur wenn wir die verdammten Sanktionen wegbringen, dann kann man auch über mehr Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit reden.

Gleichzeitig gibt es viele Stimmen, die Handel und Dialog mit dem Iran sehr kritisch beurteilen. Sie sagen: Erst die Menschenrechte, dann der Rest.

So warten wir nochmals 100 Jahre. Es gibt im Land ja bereits eine starke Opposition, Ausschreitungen, Demos vor dem Parlamentsgebäude, Bombenanschläge. Ein Brodeln im Volk ist nicht zu ignorieren. Und wir Schweizer sind auch nicht still. Wir sprachen vieles an: Die Todesstrafe bei Minderjährigen zum Beispiel, da wurden Fortschritte erzielt. Aber es ist ein langer Prozess.

Ihr Eindruck von der Schweizer Diplomatie und unserem Aussenminister?

Gut, mehrsprachig, teils sogar mit Farsi, hervorragend. Aber das ist es ja, sie sind diplomatisch. Ich bin Unternehmer. Ich stelle mir vor – wenn man schon vier Tage miteinander in so einem Land ist und so ein hohes Ansehen hat, so viele Top-Begegnungen – dann setzt man sich am Ende an denselben Tisch und unterschreibt mit einem Schweizer Kugelschreiber eine Absichtserklärung, im Mindesten.

Woran machen Sie übrigens fest, dass das Ansehen der Schweiz so hoch ist?

Das spürt und hört man überall. Ein Beispiel: Wir trafen uns mit iranischen Parlamentariern. Die haben soeben eine parlamentarische Gruppe Iran-Schweiz gegründet. Das bringt im Iran Wähler.

Das iranische Parlament ist nicht unbedingt demokratisch legitimiert.

Überhaupt nicht. Gewählt werden vorselektionierte Kandidaten, bestimmt vom Wächterrat. Auch das könnte man ansprechen, aber wie gesagt, ich sehe hier nicht den Fokus. Man muss nicht zuerst über Demokratie reden. Man kann auch niederschwelliger in den Dialog treten, etwa über Wasserfragen oder Waldwirtschaft.

Gibt es diesbezüglich Projekte?

Ich habe das eingebracht, bei Forschern und Forscherinnen, bei Parlamentariern und beim Aussenminister. Der Iran hat grosse Probleme mit zunehmenden Dürren. Ihre Wälder sterben, und wir haben so viel Know-how mit Borkenkäfern und Waldwirtschaft. Zudem haben wir mit unseren Tessiner Kastanienbäumen bereits in Äthiopien Versuche unternommen. Dieser Baum hält Trockenheit sehr gut aus.

Tessiner Kastanien?

Mit dem Tessiner Ignazio Cassis? Ja. Im Ernst: Irans Aussenminister gab mir recht, er will nun dieses Dossier eröffnen.

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