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Bergführer zwischen Klima und Klientel

Jede Hochgebirgstour ist ein Abenteuer. Auch die beliebte Tour auf den Piz Russein (Tödi) birgt Risiken. Bild: Stefan Hartmann

Die Hochtourensaison 2007 ist in vollem Gang. Die Alpengipfel ziehen viele Bergsteiger an, trotz des Jungfrau-Unglücks vom 12. Juli. Das Unglück zeigt erneut die hohe Verantwortung des Bergführerberufs.

Sind die Touren gefährlicher geworden? Und wie steht es um die Kunden? swissinfo ging mit auf eine Tour.

7. Juli auf der SAC-Hüte Punteglias: Der sternklare Morgen um 3 Uhr in der Früh verheisst optimale Bedingungen für die Hochtour auf den Piz Russein (oder Tödi).

Im Schein der Stirnlampe geht es über steile Firnfelder und den ersten Sattel dem Gipfel entgegen.

Die Schneedecke ist fest. Die Bergsteiger kommen an frischen Eisabbrüchen des «Glatscher da Gliems» vorbei.

Vor der Schlüsselstelle, der «Porta da Gliems», nimmt Bergführer Otti Flepp aus Disentis seine Vierergruppe ans Seil. Er lässt die Steigeisen montieren.

Der Übergang in den Fels am rund 50 Meter hohen Couloir ist problemlos, der Bergschrund ist Anfang Juli noch gut zu bewältigen. «In einigen Wochen wird das nicht mehr so einfach sein», meint Flepp.

Die Porta da Gliems erfordert wegen der brüchigen Felsplatten Aufmerksamkeit; vorausgehende Gruppen könnten jederzeit Steine auslösen. Wenig später stapft die Seilschaft über den Bifertenfirn zum Gipfel hoch; noch sind die Gletscherspalten mit Schnee bedeckt. Doch bald schon werden sie offen sein und Umwege nötig machen.

Einige Veränderungen am Berg

Otti Flepp (38) gehört zur jungen Generation der Bergführer. Sein Brevet hat er vor sechs Jahren gemacht.

Vor 15 Jahren war er erstmals auf seinem «Hausberg», dem Piz Russein. Seither hat er einige Veränderungen am Berg beobachtet. «Der Bifertengletscher hat im oberen Teil, dem Nährgebiet, viel an Masse eingebüsst.»

Die Route musste angepasst werden. Flepp kennt auch andere Bündner Berge, die im Sommer heikler geworden sind, so etwa den «Glüschaint» oder den «Capücin». «Heute könnten Schneebrücken auf dem Gletscher einbrechen, die bis anhin nie ein Problem dargestellt hatten.»

«Die Risiken sind gleich geblieben»

Sind Hochtouren heute riskanter als früher? «Am Risiko des Bergsteigens hat sich nichts geändert, denn das Hochgebirge ist und bleibt Wildnis!», entgegnet Wolfgang Wörnhard, Geschäftsführer des Schweizer Bergführerverbandes (SBV).

«Wir haben es eher mit einer Verschiebung der Risiken zu tun.» Ein Beispiel: «Früher waren gewisse Touren heikel wegen vereisten Firnfeldern. Heute ist dieses Eis weg und die Stelle harmlos begehbar. Dafür droht jetzt an andern Orten vermehrt Steinschlag.»

Andererseits sei das Bergsteigen technisch sicherer geworden. «Die Ausrüstungen sind viel besser als vor 30 Jahren», sagt Wörnhard.

Zudem stünden den Bergsteigern viel mehr Erkenntnisse über Schneebeschaffenheit, Lawinengefahr und Risikomanagement zur Verfügung. Und nicht zuletzt seien die Bergführer heute viel solider und vielfältiger ausgebildet.

«Sie werden viel umfassender geschult, müssen auch Eis- und Sportklettern können und ebenfalls von Disziplinen wie Sozialkompetenz und Psychologie etwas verstehen», betont Wörnhard.

Und: «Sie müssen sich vermehrt auch als Reisebegleiter und Bergführer in aussereuropäischen Destinationen wie Nepal, Kenia oder Peru engagieren.»

Anspruchsvollere Kunden

Der Kunde sei heute anspruchsvoller, beobachtet Wörnhard: «Einerseits will er vom Bergführer sicher zum Gipfel gebracht werden, anderseits wünscht er, dass dieser ihn schult, etwa in Schneekunde oder Klettertechnik.»

Die Berggänger seien aber auch ungeduldiger geworden. «Sie haben sich extra ein Wochenende freigemacht und wollen den Gipfel partout erreichen, dafür zahlen sie.» Das kann zur bekannten Situation führen – ungünstiges Wetter, Durchführung der Tour fraglich.

«Der Entscheid, eine Tour aufgrund der Einschätzung von Risiken, wie Steinschlag, Lawinen, Wetterumbruch abzubrechen, braucht neben der Erfahrung auch Mut und Autorität», versichert Otti Flepp.

«Der Bergführer muss den Druck aushalten und immer besonnen bleiben», doppelt Wörnhard nach. «Er muss attraktive Alternativen anbieten, wie Klettersteige, beobachten von Planzen und Tieren, Canyoning oder Kristalle suchen (Strahlen).»

Wegen der technischen Errungenschaften seien manche Berggänger auch risikobereiter geworden. «Das gut ausgebaute Rettungswesen verführt natürlich zu einem gewissen Leichtsinn.»

swissinfo, Stefan Hartmann

Das Unglück an der Jungfrau werde die Tourenpraxis kaum verändern, sagt Bergführer und Mediator Emanuel Wassermann. Er ist als Experte in verschiedenen Gremien des Schweizer Bergführerverbandes SBV tätig.

Die laufenden Untersuchungen werden laut Wassermann aber zeigen, ob vielleicht die Lehrmeinungen überprüft werden müssten. Unter den Bergführern werde der Unfall intensiv diskutiert.

Jede Hochtour sei ein Abenteuer, dessen Ausgang nie hundertprozentig «sicher» sein könne. Als Bergführer gestalte er eine Tour so erlebnisreich wie möglich und er vermeide unnötige Risiken, so Wassermann. Bergführer müssten jederzeit die Grenzen erkennen, sei es jene der Umwelt oder jene des Gastes.

In der Schweiz gibt es rund 1500 Bergführer, darunter etwa 25 Frauen. Die Ausbildung dauert 3 Jahre und ist berufsbegleitend.

Die Ausbildung kostet rund 21’000 Franken. Derzeit sind 120 Leute in Ausbildung, darunter nur wenige Frauen.

Auffallend: Die Zahl von Interessenten mit Hochschulabschluss nimmt zu. Bergführer haben nach wie vor eine sehr hohe gesellschaftliche Anerkennung.

Der Abschlusskurs mit eidgenössischem Fachausweis nimmt vier Wochen in Anspruch – vor 100 Jahren dauerte die Prüfung gerade mal einen halben Tag.

Gipfeltarife sind Richtpreise. Sie werden von den Bergführern einer Region bestimmt.

Beispiel: Der Preis von 750 Franken für eine Tour auf den Tödi gilt für 2 Personen; jede weitere Person zahlt einen Zuschlag.

Der Preis richtet sich nach Länge und Schwierigkeit der Tour, nach der touristischen Bedeutung und der Anzahl möglicher Besteigungen pro Saison.

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