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FOKUS—-LINKS—LEAD—Sahara-Entführung: Ein äusserst heikles Dossier

Wieder in Freiheit: Die entführten Schweizer werden am Zürcher Flughafen von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey empfangen. Keystone

Nach der Entführung von 32 Touristen, darunter vier Schweizer, in der algerischen Sahara 2003 hatte die Schweiz ein Verfahren gegen die mutmasslichen Täter eingeleitet.

Da Algerien die Zusammenarbeit mit der Schweiz verweigere, habe er der Bundesanwaltschaft beantragt, das Verfahren einzustellen, sagt der Eidgenössische Untersuchungsrichter Ernst Roduner.

Für Ernst Roduner ist das Verfahren gegen die mutmasslichen Entführer im Sahara-Entführungsfall ein harter Rückschlag. «Wir haben alles versucht», sagt er. «Doch Algerien weigert sich, der Schweiz und den anderen Ländern, die von der Entführung betroffen sind, Rechtshilfe zu leisten. Das ist kläglich.»

Die Schweizer Ermittlungen zur Entführung von 32 europäischen Touristen im Süden von Algerien im Jahr 2003 (4 aus der Schweiz, 10 aus Österreich, 1 aus Schweden, 1 aus den Niederlanden und 16 aus Deutschland) stehen damit voraussichtlich vor dem Aus.

Anfang Jahr hatte Roduner der Bundesanwaltschaft beantragt, das Verfahren einzustellen. Der Entscheid der Bundesanwaltschaft sollte nächstens fallen.

Dass Algerien der Schweiz die Rechtshilfe verweigert, erstaunt. Die Schweiz und Algerien unterhalten seit dem Ende des blutigen Bürgerkrieges Ende der 90er-Jahre ausgezeichnete politische und wirtschaftliche Beziehungen. Am 16. Dezember 2007 trat ein Rechtshilfevertrag zwischen den beiden Ländern in Kraft.

«Mit der Schweiz zusammen gearbeitet»

Kamal Houhou, der algerische Botschafter in der Schweiz, kontert die Vorwürfe des Schweizer Untersuchungsrichters, dass Algerien die vereinbarte Rechtshilfe verweigere. «Sicher ist, dass wir sowohl in diesem als auch in anderen Dossiers mit den Schweizer Behörden zusammen gearbeitet haben. Und das werden wir auch weiterhin tun, vor allem im Justizbereich», sagt er und fügt an: «Ich kann nicht kommentieren, was Schweizer Richter gesagt haben.»

Er habe nicht einmal abklären können, was mit dem Anführer der Sahara-Entführung Amari Saïfi alias Abderrazak el Para genau passiert sei, widerspricht Roduner.

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Bundesanwaltschaft

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht In der Schweiz sind die kantonalen Justizbehörden für einen Grossteil der Strafuntersuchungen zuständig. Einige Delikte fallen jedoch in die Kompetenz der Bundesanwaltschaft (BA). Dazu gehören beispielsweise Attentate, Spionage, internationale organisierte Kriminalität, Geldfälschung, Geldwäscherei, Korruption oder von Bundesbeamten im Rahmen ihrer Aufgabe begangene Straftaten.

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Der ominöse Abderrazak al Para

«Es heisst, er sei in Algerien im Gefängnis. Die algerischen Justizbehörden haben ihn jedoch in Abwesenheit verurteilt. Das ist ein Widerspruch», sagt Roduner. «Diese Affäre hat eine politische Tragweite.»

Die Bundesanwaltschaft und das Bundesamt für Justiz wollen sich zurzeit nicht weiter über eine eventuelle Einstellung des Verfahrens äussern. Auch zu möglichen Folgen auf die Justizzusammenarbeit zwischen Bern und Algier wollen sie keine Stellung nehmen.

Auch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hüllt sich diesbezüglich in Schweigen. «So lange das Verfahren in der Bundesanwaltschaft hängig ist, geben wir zu diesem Fall keinen Kommentar ab», sagt Jean-Philippe Jeannerat, Pressesprecher beim EDA.

Amerikanische GIs in Algerien

«Nachdem Abderrazak el Para 2004 von tschadischen Rebellen festgenommen worden war, wurde er unter der Bedingung, dass er nicht vor Gericht kommt, an die algerischen Behörden ausgeliefert. Er wurde in Abwesenheit verurteilt, obwohl er in Algerien im Gefängnis war», sagt eine anonyme Quelle, die das Dossier kennt.

Gemäss diesem Informanten hat die Salafistengruppe für Predigt und Kampf (GSPC), die geschwächt ist und sich politisch zu legitimieren versucht, ihre Kontakte zu Al-Kaida durch die Intervention der amerikanischen GIs gerechtfertigt.

Diese seien seit 2003 zur Terroristenbekämpfung auf dem algerischen Boden stationiert. Es sei diese amerikanische Präsenz, die Algerien so geheim wie möglich zu halten versuche.

Drohungen an Algier

Beim Schweizer Verfahren um die entführten Sahara-Touristen handelt es sich um ein komplexes und äusserst heikles Dossier. Hasni Abidi, Direktor des Cermam, des Zentrums für Recherchen und Studien über die arabische Welt in Genf, glaubt denn auch nicht, dass die Schweiz in dieser Sache Druck auf Algerien ausübt.

«Man will Algerien nicht verärgern. Um so weniger als Deutschland sein Verfahren gegenüber den mutmasslichen Entführern bereits im Januar 2007 eingestellt hat», sagt der Politologe.

Gemäss Abidi ist ein Teil der algerischen Bevölkerung überzeugt, dass die von der Salafistengruppe (GSPC) in Algerien verübten Attentate – wie jenes vom 11. Dezember 2007 auf den Obersten Gerichtshof sowie ein Uno-Gebäude – eine Folge der Clan-Kämpfe unter den algerischen Machthabern sind.

Gemäss dieser These wird die GSPC von den algerischen Geheimdiensten instrumentalisiert, die sich zurzeit gegen den Präsidenten Abdelaziz Bouteflika und seine dritte Wiederwahl stellen.

Gemäss Hasni Abidi handelt es sich bei der GSPC um eine Organisation, die sehr schwer einzuordnen ist. «Organisationen wie die GSPC können manipuliert und infiltriert werden», so Abidi.

Spuren der Geheimdienste

Dass die GSPC infiltriert wurde, davon ist der Franzose François Gèze, Mitglied des Vereins Algeria-Watch, der sich für die Menschenrechte in Algerien einsetzt, überzeugt.

«Wir haben den Entführungsfall in der Sahara genau untersucht. Es hat sich gezeigt, dass es keine andere Erklärung für die Entführung gibt als jene, dass diese durch den algerischen Militärgeheimdienst (DRS) geleitet worden sind», sagt François Gèze.

Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Rolle von Abderrazak el Para. «Abderrazak el Para, der Anführer bei dieser Entführung, wurde als einer der Führer der GSPC vorgestellt. Doch die Salafistengruppe hat sich nie zu dieser Entführung bekannt.» Auch dass er in Abwesenheit verurteilt worden sei, obwohl er in Algerien in Gefangenschaft war, gehe nicht auf.

«Die Entführung der europäischen Touristen sollte glaubhaft machen, dass die Sahelzone der Al-Kaida als Rückzugsgebiet dient. Es ging darum, die politischen Machthaber in Algerien zu stärken und zu legitimieren, deren Image durch den Bürgerkrieg im Westen getrübt worden war», sagt Gèze und untermauert damit die These, dass die GSPC durch den algerischen Militärgeheimdienst instrumentalisiert wurde.

Das sei eine völlig abwegige Erklärung, sagt Kamel Houhou, der algerische Botschafter in der Schweiz.

swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Corinne Buchser)

Zwischen dem 22. Februar und dem 8. März 2003 wurden in der Algerischen Sahara insgesamt 32 europäische Touristen entführt. Ein Deutscher Staatsangehöriger war dabei umgekommen.

Am 12. April 2003 leitete die Bundesanwaltschaft ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein.

Im Mai 2003 wurden 17 Geiseln von der algerischen Armee befreit. Im darauf folgenden Monat wurden die andern 14 Geiseln, darunter auch die 4 Schweizer, im Norden von Mali freigelassen.

Am Tag nach der Freilassung verlangte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey, dass die Entführer nicht unbestraft bleiben dürften. Und Michael Kläy, Chef des Bundessicherheitsdiensts sagte: «Die Sache ist damit noch nicht beendet. Wir müssen wissen, was sich genau abgespielt hatte.»

Im März 2004 wurde das Dossier dem Untersuchungsrichter zur Einleitung einer Voruntersuchung übergeben.

Auf Schweizer Seite:
1998: Wiedereröffnung der Schweizer Botschaft in Algerien.
1999: Joseph Deiss besucht Algerien. Es handelt sich um den ersten offiziellen Besuch eines Schweizer Ministers seit der Unabhängigkeit Algeriens im Jahr 1962.
2005: reiste Joseph Deiss als Wirtschaftsminister nach Algier, um den Weg für Wirtschaftsbeziehungen zu ebnen.
2006: Besuch der Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Sie unterzeichnet drei bilaterale Abkommen und bekräftigt die freundschaftlichen Beziehungen mit Präsident Bouteflika.
2007: Besuch des Innenministers Pascal Couchepin in Alger.

Auf algerischer Seite:
1999: Für seine erste Auslandreise wählt Präsident Bouteflika die Schweiz aus. Er nimmt am 10. Forum von Crans-Montana teil, wo er Innenminister Pascal Couchepin trifft..
2001: Besuch einer starken Delegation des algerischen Parlaments in der Schweiz. Im gleichen Jahr hat eine parlamentarische Delegation der Schweiz Algerien besucht.
2004: Bei einem offizieller Besuch in Bern unterzeichnen der Algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika und der Schweizer Bundespräsident Joseph Deiss ein Investionsschutz-Abkommen.

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