The Swiss voice in the world since 1935
Top Stories
Schweizer Demokratie
Newsletter
Top Stories
Schweiz verbunden

Häusliche Gewalt als Offizialdelikt?

Noch immer bleiben viele Delikte hinter den häuslichen Fassaden ungeahndet. swissinfo.ch

Die Idee, häusliche Gewalt künftig von Amtes wegen zu verfolgen, findet breite Zustimmung. Umstritten sind vor allem die Umstände, unter denen ein Verfahren allenfalls eingestellt werden kann.

Auf der Grundlage einer parlamentarischen Initiative der früheren Basler Nationalrätin Margrit von Felten (damals SP) arbeitete die Rechtskommission des Nationalrates Vorschläge für eine entsprechende Revision des Strafgesetzbuchs aus. Der Bundesrat schickte den Entwurf bis Ende Juni in die Vernehmlassung.

Viele Delikte bleiben ungestraft

Die meisten Straftaten in der häuslichen Gemeinschaft wie Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, einfache Körperverletzung, wiederholte Tätlichkeiten und Drohungen werden heute nur auf Antrag verfolgt. Da sich die Opfer häufig scheuen, von sich aus Anzeige zu erstatten, bleiben viele dieser Delikte ungestraft.

Damit soll Schluss sein: Gewalt in der Ehe und in jeder festen Beziehung zwischen hetero- oder homosexuellen Paaren soll in Zukunft von Amtes wegen verfolgt werden. Für gewisse Fälle – wie etwa einfache Körperverletzung – sieht der Vorschlag die Möglichkeit der Verfahrens-Einstellung vor, wenn das Opfer damit einverstanden ist.

Knackpunkt Verfahrens-Einstellung

Die Konferenz der Schweizer Staatsanwälte zweifelt allerdings an der Wirksamkeit der Revision. Wenn ein Verfahren mit der Zustimmung des Opfers eingestellt werden könne, dann ändere sich nicht viel gegenüber heute.

Auch die SP und die Grünen bezeichnen dies als wunden Punkt: Einerseits werde das Opfer entlastet, indem Delikte von Amtes wegen verfolgt würden; andererseits werde es zusätzlich belastet, indem die Einstellung eines Verfahrens von seiner Zustimmung abhängig gemacht werde. Die Grünen schlagen vor, die Einstellung eines Verfahrens nicht bei Zustimmung, sondern nur auf ausdrücklichen Wunsch des Opfers zu ermöglichen.

Mit dem Vorhaben, Gewalt in der häuslichen Gemeinschaft zum Offizialdelikt zu erklären, ist die Liberale Partei ebenfalls einverstanden. Sie möchte jedoch Gewalttaten mit sexuellem Hintergrund wie etwa Vergewaltigung ausklammern: Sie fragt sich, wie ein Richter eine Vergewaltigung nachweisen könne, wenn keine Anzeige vorliege.

Die Freisinnigen sind gegenteiliger Ansicht. Vergewaltigung in der Ehe müsse gleich behandelt werden wie Vergewaltigung allgemein, das heisst als Offizialdelikt. Tätlichkeiten und andere Delikte jedoch sollten nach Auffassung der FDP nur auf Anzeige des Opfers hin strafrechtlich verfolgt werden, so wie es auch ausserhalb von festen Beziehungen gehandhabt werde.

Kein Handlungsbedarf

Von allen Parteien und Organisationen, die sich zur Revision äusserten, sehen nur die SVP und der Schweizerische Gewerbeverband keinen Änderungsbedarf. Die SVP hält des geltende Gesetz als ausreichend, umsomehr, als die Kommissionsvorschläge Anwendungs-Probleme brächten.

Begleitmassnahmen

Die Dachorganisation der Frauenhäuser (DAO), in denen schweizweit jede Nacht 120 Frauen Unterschlupf finden, begrüsst die geplante Revision. Mit den vorgeschlagenen Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung ist sie einverstanden. Sie möchte jedoch die Schutzmassnahmen für Frauen erweitern.

So solle ein Offizialdelikt auch zu einer Wegweisung des Tätersund zu einem Kontaktverbot führen können. Die Täter sollen fernerzu einer Teilnahme an einem «Täterprogramm» verpflichtet werden;auch dem Opfer müsse eine angemesse Betreuung zuteil werden.

Sehr zufrieden mit der Revision sind auch die Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS). Sie wünschen sich jedoch noch einen besseren Schutz der Kinder. Diese müssten im Gesetz ausdrücklich erwähnt werden.

swissinfo und Agenturen

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft