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Mercosur oder EFTA – wer profitiert stärker vom Freihandelsabkommen?

Dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (links) fällt die Aufgabe zu, die Unterzeichnung des EFTA-Mercosur-Abkommens vor Ende 2025 zu organisieren. Sein argentinischer Amtskollege Javier Milei hatte zuvor die Verhandlungen über das Abkommen abgeschlossen.
Dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (links) fällt die Aufgabe zu, die Unterzeichnung des EFTA-Mercosur-Abkommens vor Ende 2025 zu organisieren. Sein argentinischer Amtskollege Javier Milei hatte zuvor die Verhandlungen über das Abkommen abgeschlossen. Copyright 2025. The Associated Press. All Rights Reserved

Die EFTA – und mit ihr die Schweiz – ist dem Ziel nähergekommen, zollfreie Produkte nach Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay zu exportieren. Aber wie wertvoll ist das neue Freihandelsabkommen, das kurz vor der Unterzeichnung steht?

In Kürze:

  • Am 2. Juli 2025 wurden die Verhandlungen über das Abkommen zwischen der EFTA (Schweiz, Norwegen, Island, Liechtenstein) und den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) abgeschlossen.
  • Rund 95% der Schweizer Exporte in die Mercosur-Staaten sollen durch das Abkommen innerhalb von 15 Jahren vollständig von Zöllen befreit werden.
  • Die Schweiz gewährt den Mercosur-Staaten 25 bilaterale Kontingente für sensible Agrarprodukte wie beispielsweise Fleisch, mit einer Begrenzung auf unter 2% des gesamten Schweizer Verbrauchs.
  • Der Vertragstext wird derzeit juristisch geprüft und voraussichtlich im Herbst veröffentlicht.

Die disruptive Wirtschaftspolitik von Donald Trump stärkt abseits der USA die Bindungskräfte: Ein weiterer Beleg für diese Entwicklung ist das zwischen der EFTA und den Mercosur-Staaten verhandelte Freihandelsabkommen.

Das Abkommen habe angesichts der von US-Präsident Donald Trump verhängten Zölle eine neue Dringlichkeit, sagt Luciana Ghiotto, ausserordentliche Professorin für Wirtschaft und Internationale Politik an der Universidad Nacional de San Martín in Buenos Aires.

«Es bringt den Mercosur-Staaten aber nicht unbedingt Vorteile. Sie werden im geopolitischen Wettbewerb des Westens nur als eine Alternative zu China neu verortet.»

Und die bestehenden Asymmetrien zwischen dem südamerikanischen und dem europäischen Wirtschaftsraum würden reproduziert, sagt Ghiotto.

Während die Mercosur-Staaten Agrarprodukte exportierten, seien es bei den EFTA-Staaten mittel- und hochveredelte Produkte aus dem Technologie- und PharmaExterner Link-Sektor.

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Die EFTA schützt sich mit Quoten

Ghiotto warnt, dass die Mercosur-Staaten mit weit grösseren Auswirkungen konfrontiert sein dürften als die EFTA-Staaten.

Denn im südamerikanischen Wirtschaftsraum liegen die Einfuhrzölle heute bei durchschnittlich 8% bis 12%, während die EFTA im Schnitt 3% bis 5% verlangt.

Kommt hinzu: Die EFTA wird Zölle auf Agrarprodukte, bei denen Südamerika starke Wettbewerbsvorteile hat, nicht einfach abschaffen. Stattdessen wird es Einfuhrquoten geben, für Fleisch, Kaffee, Ethanol oder Rotwein, wobei die Grenze in der Schweiz bei 2% des inländischen Verbrauchs liegt.

Im Gegenzug werden die Mercosur-Länder innerhalb von 15 Jahren ihre hohen Zölle auf Industrieprodukte aus der EFTA abbauen: auf pharmazeutische Erzeugnisse (bis zu 14 %), Maschinen (14–20%) und chemische Produkte (bis zu 18%). Das zeigt ein öffentliches DokumentExterner Link der EFTA.

Brasilien übernimmt die Führung

Die Verhandlungen aufseiten der Mercosur-Staaten hatte zuletzt Argentinien geführt, das den halbjährlichen Vorsitz innehatte. Nun ist Brasilien an der Reihe und damit betraut, die Unterzeichnung des Abkommens in der zweiten Hälfte des Jahres zu organisieren.

Der argentinische Präsident Javier Milei hatte in diesem Kontext damit gedroht, den Block zu verlassen, falls der Abbau der Handelsschranken noch scheitern sollte. Er sagte: «Wir werden den Weg der Freiheit beschreiten – begleitet oder allein.»

Lesen Sie hier mehr über die Vorgeschichte der EFTA-Mercosur-Annäherung:

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Allerdings stehen die Chancen ohnehin gut, dass die Unterzeichnung stattfindet. Diese Meinung vertritt Aldo Centurión López, Wissenschaftler am Zentrum für Analyse und Verbreitung der paraguayischen Wirtschaft (CADEP).

Er erinnert daran, dass Luiz Inácio Lula da Silva seine Erwartung ausgedrückt hat, dass das Abkommen noch vor 2026 abgeschlossen werde. Der brasilianische Präsident war es auch, der die südamerikanische Integration am stärksten gefördert hat und 2024 die Vollmitgliedschaft Boliviens im Mercosur unterstützte.

Bolivien war nicht in die 2017 begonnenen Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit der EFTA einbezogen. Das Land hat nun bis 2028 Zeit, um seine Gesetzgebung und insbesondere das Zollsystem an die des Mercosur-Staaten anzupassen und damit seinen Beitrittsprozess abzuschliessen.

Ein Puzzleteil im Kampf gegen Korruption

López teilt die Einschätzung, dass es sich um ein asymmetrisches Abkommen handelt. Er ist aber trotzdem überzeugt, dass es viele Vorteile für Südamerika bereithält.

«Die Akteure erkennen die Bedeutung des Integrationsprozesses und des Multilateralismus. Das kann sich in einer stärkeren Beteiligung nicht nur der Wirtschaftsmächte und der Arbeitnehmerschaft, sondern auch einer aktiveren Bürgerschaft niederschlagen – mit dem Aufbau solider Institutionen.»

López erkennt darin ein mögliches Mittel gegen die Korruption. Die Schweiz, wo die Bevölkerung Pro- und Kontra-Argumente abwägen und via ein Referendum über das Abkommen entscheiden kann, sei ein gutes Beispiel für ein informiertes Bürgertum.

Das Abkommen polarisiert

Trotzdem polarisiert das Freihandelsabkommen, wobei nicht immer auf sachlicher Grundlage argumentiert wird. «Logik und Politik gehen nicht immer Hand in Hand», sagt dazu Cédric Dupont, Professor für Internationale Beziehungen am Geneva Graduate Institute.

«Es gibt stark übertriebene Argumente über mögliche negative Auswirkungen. Dabei sind die Effekte eines Abkommens wie dem zwischen den EFTA- und den Mercosur-Staaten insgesamt eher begrenzt.» Die nationale Regulierung sei bedeutender. «Was Präsident Milei tut, hat viel mehr Einfluss auf die Armut in Argentinien als jedes Handelsabkommen.»

Lesen Sie mehr in unserem Überblick über Freihandelsabkommen der Schweiz:

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Aus Sicht der EFTA unterscheidet sich der Deal in Südamerika nicht grundlegend von anderen kürzlich von ihr ausgehandelten Freihandelsabkommen wie etwa mit Indonesien, den Philippinen oder Thailand.

Dupont erwartet zudem nicht, dass es zu grossen Veränderungen in den Handelsströmen zwischen der EFTA und dem Mercosur kommt.

Ein neues Selbstbewusstsein

Aus Sicht der Mercosur-Staaten hingegen hat der Vertrag nebst seinen rechtlichen und praktischen Auswirkungen auch einen symbolischen Gehalt. Der Export von Gütern in die EFTA sei für Unternehmen in den Mercosur-Staaten reputationsfördernd, erklärte etwa der argentinische Experte Lautaro M. Ramirez gegenüber AduananewsExterner Link.

Der Uruguayer Politikwissenschaftler Nicolás Albertoni fasst es in einer Analyse auf Diálogo PolíticoExterner Link so: «Das Abkommen wird nicht alle Herausforderungen lösen, denen sich der Aussenhandel des Mercosur gegenübersieht. Aber es stellt ein Instrument dar, um Wachstum, Investitionen und Beschäftigung zu fördern. Darüber hinaus stärkt es die Bereitschaft des Blocks, eine aktive Rolle auf der internationalen Bühne zu spielen.»

Editiert von Marc Leutenegger

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