The Swiss voice in the world since 1935
Top Stories
Schweizer Demokratie
Newsletter
Top Stories
Schweiz verbunden

Soziale Ängste fördern Rechtsextremismus

Rechtsgesinnte beim Singen der Nationalhymne auf dem Rütli am Nationalfeiertag. Keystone

Der Auftritt von Skinheads bei der Augustfeier auf dem Rütli hat eines klar gemacht: Rechtsextremismus ist auch in der Schweiz ein Problem. Das Ereignis rüttelte die Öffentlichkeit wach und stärkte Abwehrreflexe gegen Rechts.

Laut dem Journalisten Jürg Frischknecht, der die Szene seit längerer Zeit beobachtet, demonstrierten die Rechtsextremen mit der Rütli-Aktion ihr neues Selbstbewusstsein. Die Situation sei ähnlich wie beim «zweiten Frontenfrühling» vor zehn Jahren.

Dabei waren die Buh-Rufe während Bundesrat Villigers Ansprache nur eine Aktion von über 100 Übergriffen der rechtsradikalen Szene, welche die Bundespolizei (Bupo) dieses Jahr registrierte; das sind doppelt so viele wie im Vorjahr.

Harter Kern von 800 Personen

Der «harte Kern» der Rechten wuchs gemäss Bupo 1997 bis 2000 von 300 auf gegen 800 Personen an. Sie sind mehrheitlich zwischen 16 und 22 Jahre alt.

Die Szene ist laut Frischknecht auch sozial breiter verankert. Sie erhalte nicht mehr nur aus unteren, ländlichen Sozialschichten, sondern auch aus dem Mittelstand Zulauf – vereinzelt auch von Frauen. In den grösseren Städten sei sie allerdings noch weniger präsent.

Als Gründe für das Anwachsen der rechtsradikalen Szene nennen Experten soziale Ängste im härteren wirtschaftlichen Verteilungskampf und Überfremdungsängste angesichts der Zuwanderung.

Begünstigt werden die Rechtsextremen aus Sicht der Politologen durch politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen – etwa den asylpolitischen Diskurs, Populismus, und die Akzeptanz von Gewalt und Neorassismus in Teilen der Bevölkerung, wie die Bupo in ihrem «Skinhead»-Bericht festhält.

Nationale Organisationen

Zum neuen Selbstbewusstsein der rechten Szene gehört laut Frischknecht auch ihre Ankündigung, sich schweizweit zu organisieren und Parteien zu gründen. So will der Aktivist Pascal Lobsiger alle Skingruppen unter dem Dach einer «Nationalen Aufbau-Organisation» vereinen. Der Berner Skinhead David Mulas rief im Frühling eine «Nationale Partei Schweiz» ins Leben.

Wie weit diese Organisationen aber tatsächlich gediehen sind, ist unklar. Es gebe bei den Skins grosse Vorbehalte gegenüber Politik und Parteien, gibt Frischknecht zu bedenken.

Laut dem Journalisten Hans Stutz, der die Chronologie «Rassistische Vorfälle in der Schweiz» führt, verkehren die Skinheads vorwiegend in lokalen Cliquen. Nur die elitären «Hammerskins» und die «Blood & Honor»-Bewegung operieren landesweit und haben internationale Kontakte.

Internationale Kontakte

Da die Zunahme rechtsextremer Gewalt auch in anderen Ländern Europas, speziell in Deutschland, zu beobachten ist, stellt sich die Frage nach einer internationalen Steuerung. Laut Stutz finden auf internationaler Ebene wohl Kontakte zwischen Exponenten der Szene statt, und das Internet wurde zu einem wichtigen Kommunikationsmittel der Skins ausgebaut, doch gibt es bislang keine institutionalisierte Zusammenarbeit und keine gemeinsamen Projekte.

Eine Ausnahme bilden die Holocaust-Leugner, gewissermassen die «intellektuelle Elite» der extremen Rechten. Sie sind international gut vernetzt und organisieren öffentliche Kongresse. Ihre bekanntesten Schweizer Vertreter Gaston-Armand Amaudruz und Jürgen Graf sind unterdessen zu Haftstrafen verurteilt worden. Amaudruz‘ Fall liegt beim Bundesgericht. Graf entzog sich der Strafe durch Flucht ins Ausland.

Massnahmen der Behörden

Die rechtsextremen Aktivitäten rüttelten die Öffentlichkeit auf und riefen die Behörden auf den Plan. Bundesrätin Ruth Metzler setzte im September eine interdepartementale Expertengruppe zum Thema Rechtsextremismus ein. Die Eidg. Kommission gegen Rassismus plant eine Hotline für Rassismusopfer. In Malters LU schlossen die Behörden einen Treffpunkt der internationalen Nazi-Szene.

Die Bundespolizei liess im Kampf gegen Internet-Rassismus einzelne Nazi-Websites sperren. Allerdings muss sie in diesem Bereich erst die notwendigen Strukturen aufbauen, und es bestehen rechtliche Lücken, wie die Diskussion eines Bupo-Positionspapiers mit Internet-Providern zeigte.

Auf internationaler Ebene beschlossen die Innenminister der Alpenländer im Herbst in Konstanz eine enge Zusammenarbeit bei der Bekämpfung Rechtsradikaler, und die Polizeien der Schweiz und Deutschlands vereinbarten entsprechende bilaterale Massnahmen.

Zeichen setzen

Wichtiger als Behörden-Massnahmen sind laut Frischknecht die Aktionen und Demonstrationen gegen rechte Gewalt, die in zahlreichen Städten stattfanden. Damit setze man Zeichen, dass Rechtsextremismus nicht stillschweigend geduldet oder bejaht wird.

Howard Dubois und swissinfo

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft