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Der geplante Neubau der Thurgauer KVA gerät unter Druck

Keystone-SDA

Die Finanzierung des mehrere hundert Millionen Franken teuren Neubaus der Thurgauer KVA Weinfelden TG steht auf der Kippe. Gemeinden des Zweckverbands proben den Aufstand. Sie fordern einen Marschhalt und eine unabhängige Überprüfung des Projekts.

(Keystone-SDA) Die 1996 gebaute KVA bei Weinfelden TG soll einem deutlich grösseren Neubau weichen, der gemäss Projektbeschrieb 1,5-mal so viel Abfall verbrennen könnte. Im Sommer reichte der Verband KVA ein Baugesuch ein und stellte bis zu 76 Meter hohe Visiere auf.

Doch einige an die Anlage angeschlossene Gemeinden äussern nun Bedenken. Sie wollen kein finanzielles Risiko eingehen.

Überdimensioniert und zu teuer?

66 Thurgauer und 4 Schaffhauser Gemeinden gehören dem Verband KVA Thurgau an. Für die nächste Delegiertenversammlung hat nun eine Gruppe einen Antrag eingereicht, in dem ein Marschhalt und eine Überprüfung gefordert wird. Zu ihnen gehört Ruedi Zbinden, Gemeindepräsident von Bussnang TG, sowie die Gemeindepräsidenten von Herdern, Stettfurt, Wigoltingen, Sulgen und Kradolf-Schönenberg.

Noch vor einem Jahr winkten die Delegierten das Bauvorhaben durch. Doch seither hat sich die Ausgangslage geändert. Banken verweigern der KVA die nötigen Baukredite, sollten nicht die Gemeinden die finanzielle Haftung übernehmen. «Aufgrund der relativ dünnen Finanzdecke», wie die KVA in einer Mitteilung schrieb, dürften auch keine Rückerstattungen mehr an die Gemeinden fliessen – bisher waren es 12 Franken pro Einwohnerin und Einwohner.

«Es ist nun zentral, dass wir alle verfügbaren Mittel einsetzen und alle notwendigen Entscheide treffen, um die Finanzierung des Ersatzbauprojekts zu sichern und unser Eigenkapital zu stärken», wurde KVA-Verwaltungsratspräsident Reto Stäheli in einer Medienmitteilung zitiert.

Das wollen nicht alle Gemeinden so hinnehmen. «Wir verlangen, dass eine umfassende Drittmeinung zum Projekt eingeholt wird», sagte Zbinden gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Es gelte die Fragen zu klären, ob die neue Anlage nicht überdimensioniert und zu teuer sei. «Die KVA muss in Zukunft finanziell tragfähig sein.»

Delegierte rechnen mit Kosten von 800 Millionen Franken

Der Verband KVA Thurgau spricht seit 2020 von Investitionskosten in der Höhe von 558 Millionen Franken, Mehrwertsteuer und Teuerung nicht eingerechnet. Die Berechnungen der Gruppierung um Zbinden ergeben inklusive des geplanten «Energy Hub» und der Mehrwertsteuer Kosten von rund 800 Millionen Franken.

Müssten die Einwohnerinnen und Einwohner seiner Gemeinde ihren Teil der Haftung übernehmen, würde das die Finanzkompetenz des Gemeinderats übersteigen, findet Zbinden. Somit wäre in jeder der 70 KVA-Gemeinden eine Volksabstimmung darüber nötig. Mit der verlangten Drittmeinung zum Projekt könne das Vertrauen allenfalls gestärkt werden, sagte Zbinden weiter.

KVA ist auch Thema im Grossen Rat

Zusätzlich in Bedrängnis bringt das Bauvorhaben eine Verordnung der EU. Jährlich importiert die Thurgauer KVA rund einen Fünftel des Abfalls aus dem Raum Konstanz (D). Ab 2029 will die EU Abfallexporte in Drittstaaten verbieten – das träfe auch die Auslastung in anderen Schweizer KVA. Gemäss aktueller Abfallstatistik des Kantons St. Gallen werde in den KVA St. Gallen, Bazenheid SG und Buchs SG rund 22 Prozent der Abfallmengen aus Vorarlberg, Deutschland und Italien importiert.

Das Thema ist auch in der Thurgau Politik angekommen. Kantonsrat Patrick Siegenthaler (Mitte) stellt mehrere Aspekte des Neubauprojekts in Frage, wie er gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA erklärte. Er reichte zwei von vier Vorstössen im kantonalen Parlament ein.

Nicht nur stünden die Finanzierung des KVA-Projekts und die Haftungsforderung für die Mitgliedergemeinden auf wackligen Beinen. Siegenthaler bezweifelt zudem, dass die geplante KVA wirtschaftlich betrieben werden kann, falls tatsächlich kein Abfall mehr aus Deutschland angeliefert wird oder sich die Abfallmenge nicht wie prognostiziert entwickle.

Andererseits setzt er ein Fragezeichen hinter die wirtschaftliche und technische Umsetzbarkeit im Energiebereich. So soll etwa ein bestehendes Wärmenetz bis nach Konstanz (D) ausgebaut werden. Auch Siegenthaler fordert aufgrund dieser Ungewissheiten eine Neubeurteilung. Bewirken könnte dies eine Mehrheit der Delegierten am 10. Dezember.

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