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Der Pragmatiker, der die Schweiz durch die Pandemie führte

Alain Berset
Alain Berset, Bundesrat und derzeitiger Bundespräsident, bei der Bekanntgabe am Mittwoch, den 21. Juni 2023, dass er Ende des Jahres aus dem Bundesrat ausscheiden wird. © Keystone / Peter Klaunzer

Alain Berset wird den Bundesrat Ende Jahr verlassen, wenn sein Jahr als Bundespräsident zu Ende geht. Während drei Legislaturperioden hat der Sozialdemokrat aus dem Kanton Freiburg die Schweizer Gesundheitspolitik geprägt. Die Erinnerung an ihn wird durch die Covid-19-Pandemie geprägt bleiben, während der er allgegenwärtig war. Ein Porträt.

Die politische Karriere von Alain Berset verläuft in einem kometenhaften Aufstieg. Der Freiburger, ehemaliger Westschweizer Juniorenmeister im 800-Meter-Lauf, startete im März 2000 in die Politik.

Im Alter von 27 Jahren erlangte er sein erstes Mandat und wurde Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung des Kantons Freiburg. Trotz fehlender Erfahrung wurde der Sohn und Enkel gewählter Sozialdemokrat:innen Vorsitzender der SP-Fraktion. Im Jahr danach zog er ins Gemeindeparlament von Belfaux ein.

Nach diesem rasanten Start machte Alain Berset keine Pause. Sehr schnell rief ihn die Bundespolitik: Im Jahr 2003 ging der damals 30-Jährige ins Rennen um einen Sitz im Ständerat und schaffte das Kunststück, seinen freisinnigen Rivalen zu überholen und den Sitz zurückzuerobern, den die Freiburger SP vier Jahre zuvor verloren hatte.

Als hervorragender Taktiker, den Kolleg:innen für seinen Pragmatismus loben und der sich auch in der deutschen Sprache wohlfühlt, erarbeitet er sich schnell einen Platz in der Kammer der Kantone. Parallel dazu promovierte er an der Universität Neuenburg in Wirtschaftswissenschaften.

Nach acht Jahren im Ständerat erklimmt Alain Berset die höchste Stufe und tritt die Nachfolge von Micheline Calmy-Rey im Bundesrat an. Mit seiner Wahl übernahm er die Leitung des Departements des Innern (EDI) und gab dieses nicht mehr ab.

Zwölf Jahre, zwei Präsidentschaften und eine Pandemie später, am 21. Juni 2023, kündigt Alain Berset seinen Rücktritt mit Wirkung zum Jahresende an. Er verlässt den Bundesrat in seiner zweiten Bundespräsidentschaft und verschafft mit der Rücktrittsankündigung seiner Partei kurz vor den Schweizer Wahlen willkommene Sichtbarkeit.

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Der Kapitän in der Covid-Krise

Zum Zeitpunkt seines Abschieds bleibt Alain Berset vor allem derjenige, der den Bund durch die grösste Gesundheitskrise geführt hat.

Über zwei Jahre lang, von der Bekanntgabe der ersten Covid-19-Fälle in der Schweiz im Februar 2020 bis zur Aufhebung der letzten Gesundheitsmassnahmen am 1. April 2022, war er als Gesundheitsminister der Hauptakteur bei fast allen Pressekonferenzen des Bundesrats zum Thema und Initiator fast aller Entscheidungen, die sich auf das tägliche Leben der Menschen in der Schweiz auswirkten.

Während der Pandemie brachten die Konzentration der Macht in den Händen der Regierung sowie die Omnipräsenz von Alain Berset im politischen und medialen Raum dem sozialdemokratischen Bundesrat heftige Kritik und sogar Drohungen seitens der Kreise ein, die die Pandemieeindämmungsmassnahmen ablehnten.

Dieser Groll wurde von der rechtskonservativen SVP aufgenommen, der einzigen Partei, die sich auf die Seite der regierungsfeindlichen Bewegungen geschlagen hat. Der Zürcher SVP-Altbundesrat Christoph Blocher ging sogar so weit, den Freiburger Alain Berset als “Diktator” zu bezeichnen.

Trotz der Angriffe, denen er ausgesetzt war, behielt Alain Berset stets die Unterstützung der Mehrheit der Schweizer:innen. Meinungsumfragen zufolge konnte er seine Popularität sogar noch steigern. Der Vorsteher des Innendepartements hat vor dem Volk seine Abstimmungskämpfe gegen die Gegner:innen des Covid-Gesetzes dreimal mit Leichtigkeit gewonnen.

Rückblickend kann man sagen, dass der Freiburger zweifellos gestärkt aus der Krise hervorgegangen ist. Sie hat seine Statur als Staatsmann gestärkt.

Ein Bundesrat, bei dem die Meinungen auseinandergehen

Leutselig und höflich für die einen, hochmütig und mürrisch für die anderen – Alain Berset hat sich unter der Bundeshauskuppel nicht nur Freund:innen gemacht. Während seiner gesamten Regierungszeit musste der Freiburger sowohl von der SVP als auch von der rechtskonservativen Presse mitunter heftige Kritik einstecken.

Er wurde sowohl für seine politischen Positionen als auch für sein privates Verhalten kritisiert. Bei seinem Rücktritt bestand er aber darauf, dass die “Affären” bei seiner Entscheidung keine Rolle gespielt haben.

In den letzten zwölf Jahren hat der SP-Bundesrat auch seine eigene Partei mehrfach verärgert. Das letzte Mal tat er das mit seiner sehr aktiven Kampagne für die AHV-Reform 21 im letzten Jahr. Ein Teil seiner Partei machte ihn mitverantwortlich für die Erhöhung des Rentenalters der Frauen, die von den Stimmberechtigten mit einer sehr knappen Mehrheit angenommen wurde.

Doch trotz aller Angriffe und Polemiken ist die Popularität von Alain Berset ungebrochen. Man kann fast sagen, dass der Freiburger auf dem Höhepunkt seines Ruhmes geht.

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Laut dem SRG-Barometer, das im März 2023 veröffentlicht wurde, halten 55% der Befragten den Freiburger für sehr sympathisch oder eher sympathisch. Und was den wahrgenommenen Einfluss angeht, übertrifft der Sozialdemokrat alle seine Kolleg:innen im Bundesrat: Sieben von zehn Schweizer:innen zählen ihn zu den zwei Einflussreichsten im Bundesrat.

Eine durchwachsene politische Bilanz

Alain Berset hat mehr als ein Jahrzehnt an der Spitze des EDI gestanden, einem Departement, dem neben dem Gesundheitswesen auch die Sozialversicherungen und die Kultur angehören. In dieser Funktion war er derjenige, der der Bevölkerung jedes Jahr fast ausnahmslos die schlechte Nachricht von der Erhöhung der Krankenkassenprämien überbrachte. Auch wenn es ihm gelang, einige Reformen durchzusetzen, war der Freiburger nicht in der Lage, eine Mehrheit des Parlaments von vielen der von ihm vorgeschlagenen Massnahmen zur Eindämmung der Gesundheitskosten zu überzeugen.

Die grösste politische Niederlage von Alain Berset bleibt jedoch die Ablehnung der Altersvorsorge 2020. Die Rentenreform erlitt Schiffbruch durch das Volk im September 2017.

Die Niederlage war für ihn umso bitterer, als er sich mit Leib und Seele für diesen Kompromiss eingesetzt hatte, der im Parlament nach jahrelangen erbitterten Debatten hart erkämpft worden war. Der Freiburger hatte den Kampf in allen Winkeln des Landes geführt und war quer durch die Schweiz gereist, um die Bevölkerung zu überzeugen.

Dennoch ist die Bilanz des EDI-Chefs an der Urne insgesamt positiv. In den langen Jahren seines Wirkens an der Spitze eines Mammutdepartements hat Alain Berset die grosse Mehrheit der Kämpfe, die er vor dem Volk ausgetragen hat, gewonnen.

Neben den erfolgreich abgewehrten Referenden gegen das Covid-Gesetz sind die Annahme der AHV-Steuervorlage, die aus der Asche der Altersvorsorge 2020 entstand, und das knappe Ja zur AHV 21 – zum Leidwesen der Linken – die wichtigsten Erfolge des sozialdemokratischen Bundesrats.

Bern, New York, Cox’s Bazar – ausgewählte Augenblicke bei der Arbeit eines Bundesrats:

Übertragung aus dem Französischen: Benjamin von Wyl

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