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Bankenplatz Tessin – wohin?

Big Brother-Methoden: Kameras, die italienische Autos mit möglichem Fluchtgeld bei der Einreise in die Schweiz filmen. Keystone

Laut Giorgio Ghiringhelli, Präsident der Tessiner Bankvereinigung (ABT), stellt das Bankgeheimnis einen der letzten Wettbewerbs-Vorteile für den Bankenplatz Tessin dar.

Giorgio Ghiringhelli sprach am Mittwoch an einer Tagung der Industrie- und Handelskammer zum Thema «Das Schweizer Bankgeheimnis und die Tessiner Wirtschaft» in Lugano-Agno. Der Bankenplatz befinde sich in einem «nicht sehr einfachen Moment».

Nach Zürich und Genf ist Lugano der dritte Finanz- und Bankenplatz der Schweiz. Mit 400 Mrd. Franken entfällt auf das Tessin rund ein Zehntel des in der Schweiz verwalteten Vermögens. Diese Zahl zeigt, dass die Banken für die Tessiner Volkswirtschaft eine besondere Rolle spielen, denn der italienisch-sprachige Kanton entspricht in Bezug auf Einwohner und Brutto-Inlandprodukt nur 4 Prozent der Eidgenossenschaft.

Vorteil des Bankgeheimnisses

Der Grossteil des Vermögens auf Tessiner Banken stammt aus Italien. Die konstante Abwertung der Lira, die Angst vor dem Kommunismus und die wenig moderne Banken-Gesetzgebung in Italien führten dazu, dass viel Geld aus dem Nachbarland in den letzten Jahrzehnten über die Grenze floss. Dazu kamen einige Lire, die am Fiskus vorbei geschmuggelt wurden.

Die wichtigen Wettbewerbs-Vorteile bestünden auf Grund der veränderten weltpolitischen Lage, der Einführung des stabilen Euro und einer neuen Gesetzgebung in Italien nicht mehr, führte Ghiringhelli aus. «Das Bankgeheimnis stellt einen der letzten Vorteile für unser Modell des Private Banking dar,» fügte er an.

Ghiringhelli sieht kaum operative Alternativen für den Bankenplatz südlich der Alpen. Er wies Kritik zurück, das Tessin habe sich zu einseitig auf die Vermögens-Verwaltung und eine italienische Kundschaft spezialisiert.

Kritik aus Italien

Der ABT-Präsident forderte den Bund auf, den Bankenplatz energischer zu verteidigen und sich bei der Kritik anderer Staaten zurückzuhalten. So habe sich die Kritik an Italien in Bezug auf das Rechtshilfe-Abkommen negativ ausgewirkt, weil die Regierung Berlusconi dies als Parteinahme der Schweiz für die Opposition verstanden habe.

Dies erkläre unter anderem den Generalangriff des italienischen Finanzministers Giulio Tremonti auf das Schweizer Bankensystem.

Tremontis Amnestie-Dekret zur straffreien Rückführung nicht-deklarierten Vermögens nach Italien stellt für den Bankenplatz im Tessin nach wie vor ein heisses Eisen dar. Claudio Generali, Verwaltungsratspräsident der Gotthard-Bank, warnte in Agno allerdings davor, bei den Auswirkungen dieses Dekrets den Teufel an die Wand zu malen: «Unser Bankenplatz geht deshalb nicht ein, er wird nur ein wenig zurechtgestutzt.»

Er bezifferte den Kapitalabfluss auf zirka 2 Prozent, bezog sich dabei aber einzig auf Daten seiner Bank, der BSI und des Banco di Lugano. Kontraproduktiv für Italien nannte Generali die neuen Big-Brother-Methoden am Zoll, die italienische Autos bei der Einreise ins Tessin filmen. Ihm sei unverständlich, welche Freiheits-Auffassung hinter dieser Massnahme stehe, die eine Koalition namens «Casa della libertà» (Haus der Freiheit) ergriffen habe.

Einigung mit EU nötig

Nicht das Dekret Tremonti, sondern das Bankgeheimnis stelle die entscheidende Frage für die Zukunft des Bankenplatzes dar. Um dieses zu erhalten, sei es wichtig, dass die Schweiz in wichtigen Fragen wie Zins-Besteuerung und Schmuggel mit der EU zu einer schnellen und vernünftigen Einigung käme.

Ein Drittel des weltweiten Off-shore-Privatkapitals liege in der Schweiz, davon stamme mehr als die Hälfte aus Europa. Generali: «Da ist es nur verständlich, dass der Appetit aus EU-Ländern gross ist.»

Einsparungen beim Personal

Trotz der vielfältigen Probleme weist die Bankenbranche im Südkanton noch eine stabile Gesundheit auf. 67 Kreditinstitute sind operativ (nur Mitglieder der Bankvereinigung ABT), seit 1995 haben sogar 13 Banken neue Niederlassungen in der Südschweiz eröffnet.

Die Zahl der Beschäftigten in der Branche betrug im Jahr 2001 genau 8625 Personen. Damit ist das Niveau von 1990 erreicht. Bis 1998 war der Sektor nach umfangreichen Restrukturierungen auf 7258 Angestellte geschrumpft. Vor allem wenig qualifizierte Mitarbeiter verloren ihre Stelle.

Trotz der Wellenbewegung beim Personalbestand stieg das Lohnvolumen konstant: Von 531 Mio. Franken (1990) auf 848 Mio. Franken (2001). In jüngster Zeit – in Folge der Börsenkrise und des 11.September – haben viele Kreditinstitute aber wieder begonnen, beim Personal Einsparungen durchzuführen.

Gerhard Lob

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