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Deutscher Lokführerstreik hätte Folgen für die Schweiz

Zeichen stehen auf Lokführer-Streik: Regional Express Zug in Deutschland. Keystone

Der für Donnerstag angekündigte Lokführerstreik bei der Deutschen Bahn (DB) mitten in der Ferienzeit würde sich auch auf den internationalen Schienenverkehr auswirken, besonders im Nachbarland Schweiz.

Während in Deutschland der Arbeitsfrieden bei der Eisenbahn wegen der geplanten Privatisierung der DB erschüttert ist, präsentiert sich die Lage in der Schweiz entspannter.

Seit Wochen wurde damit gedroht – ab Donnerstag ist es nun soweit: Die Streikwarnung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) dürfte umgesetzt werden. In der GDL sind drei Viertel der rund 20’000 DB-Lokführer organisiert.

Fast 96% der GDL-Mitglieder sprachen sich bei der Urabstimmung für eine Arbeitsniederlegung aus.

Dieser landesweite und unbefristete Streik wird Auswirkungen auf den internationalen Personen- und Güter-Schienenverkehr haben – besonders auch auf jenen des Nachbarlandes Schweiz.

Deutschland ist mit Abstand der grösste Handelspartner der Schweiz, so dass im Cargo-Bereich mit wirtschaftlichen Verlusten gerechnet wird. Laut Ankündigung der GDL wird zuerst der Güterverkehr bestreikt – und zwar ohne Vorwarnung, so eine Medienmitteilung der DB.

Flächendeckender oder nur punktuell wirkender Streik?

Im Güterverkehr seien die Streikauswirkungen weniger klar vorauszusehen als im Personenverkehr, sagt Roland Kortz vom Regionalbüro Kommunikation DB in Stuttgart gegenüber swissinfo: «Man weiss ja noch nicht, ob flächendeckend oder nur punktuell gestreikt wird.»

Railion, die Cargo-Gesellschaft der DB, werde sich aber dafür einsetzen, dass die Versorgung zum Beispiel von Kraftwerken, Autofabriken, Seehäfen und anderen wichtigen Einrichtungen gesichert bleibt.

Was den Personenverkehr betrifft, «sind wir auf den Streik vorbereitet und werden unseren Kunden einen wenn auch eingeschränkten Fahrplan im Nah-, Fern- und internationalen Verkehr anbieten», scheibt die DB in einer Medienmitteilung.

Das heisst, es dürfte für Reisende aus der Schweiz weniger ein Problem sein, die grossen deutschen Städte zu erreichen, als von dort dann weiter zu kommen.

Die Dienstpläne der Lokführer seien so erstellt, dass die Streikwilligen möglichst nicht eingeplant werden. Laut Medienmitteilung werden «alle ICE-Linien bundesweit (landesweit) bedient, ebenso einzelne IC-Linien und mindestens die Hälfte des Nahverkehrs.» Auch Auto- und Nachtzüge würden nicht bestreikt.

Grundlegende Unterschiede zwischen den Ländern

«Der Einsatz der Lokführer endet mit wenigen Ausnahmen immer an den Landesgrenzen», sagt Walter von Andrian gegenüber swissinfo.

Der Chefredaktor der Schweizer Eisenbahn-Revue weist auf grundsätzliche Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz hin. «Beide Länder kennen zwar je eine alle Eisenbahner einschliessende und je eine spezifisch auf Lokführer ausgerichtete Gewerkschaft.»

Aber die Machtverhältnisse seien verschieden: In Deutschland sind drei Viertel, also die Mehrheit der Lokführer, in ihrer spezifischen GDL organisiert.

Beim Streik werde nur das verbleibende Viertel der Lokführer, das aus Personal mit Beamtenstatus oder mit anderem gewerkschaftlichen Bezug besteht, weiter den Dienst versehen. Das sind schätzungsweise 5000. In der Schweiz hingegen wäre eine ähnliche, nur auf Lokführer beschränkte Aktion gar nicht möglich, weil nur eine Minderheit der Lokführer separat organisiert ist.

Laut Fritz Sterchi, Sprecher Personenverkehr SBB, hat sich bei den SBB zudem mit dem neuen GAV das Berufsbild verbessert, da neu die Laufbahn geplant werden könne.

Gründe für den Streik

Seit Monaten schwelt ein Konflikt zwischen der GDL und der DB: Es geht um Forderungen nach Lohnerhöhungen bis zu 31% und nach einem eigenen Tarifvertrag (einer Art gesondertem Gesamtarbeitsvertrag).

Bereits Anfang Juli war es zu einem Warnstreik gekommen. Die DB und die anderen Gewerkschaften lehnen die GDL-Forderungen kategorisch ab. Die DB hat mit den anderen Gewerkschaften bereits Lohnerhöhungen von 4,5% und eine Einmalauszahlung ausgehandelt.

DB: Privatisierung am Horizont

Die Situation in Deutschland wird, so Eisenbahn-Experte von Andrian, zusätzlich durch die bevorstehende Teilprivatisierung der DB belastet, die bisher als klassisches Staatsunternehmen galt: Die DB ist bereits eine Aktiengesellschaft, gehört aber zur Zeit noch vollständig dem Staat.

Nun sollen 49% des DB-Aktienkapitals privatisiert werden. Streitpunkt ist dabei, ob das Streckennetz und die Bahnhöfe der Bahn mitprivatisiert werden oder an den Staat zurückfallen.

In der Schweiz hingegen ist es zur Zeit ruhig um das Privatisierungs-Thema, auch weil es politisch kaum durchsetzbar wäre.

In Deutschland fürchten Reisende und auch Politiker, dass die Privatisierung der Staatsbahn einen Abbau im regionalen Verkehr, wo es viele unrentable Strecken gibt, nach sich zieht.

Vor wenigen Tagen hat der deutsche Bundesrat (Länder-Kammer, entspricht Ständerat in der Schweiz), den Bahnprivatisierungs-Entwurf in der jetzigen Form verworfen.

Der Bundestag (Parlament) soll im Spätherbst darüber entscheiden. Stimmt dieser zu, muss der deutsche Bundesrat Ende Dezember nochmals darüber abstimmen.

swissinfo, Alexander Künzle

Die SBB informieren auf ihrer Website www.sbb.ch und an den Schaltern über die Auswirkungen des geplanten Streiks.

Beim telefonischen Rail Service 0900 300 300 sind ebenfalls Auskünfte erhältlich.

Die Deutsche Bahn hat eine telefonische Hotline eingerichtet: 0049 1805 334444.

Ausserdem sind Informationen auch bei www.bahn.de/aktuell abrufbar.

Laut DB werden Fahrkarten bei Anschlussverlust kostenfrei erstattet, oder man kann gratis zurückfahren. Auch Reservationen für Streiktage werden kostenlos rückerstattet.

Laut Gewerkschaft erhält ein Lokführer bei der DB ein Einstiegs-Salär von brutto 1970 Euro pro Monat (3235 Fr.). Ein Industriearbeiter verdient im Durchschnitt monatlich rund 2600 Euro.

Die Lokführer fordern nun 2500 Euro (4106 Fr.).

Laut DB-Chef Hartmut Mehdorn zahlt die DB einem Lokführer durchschnittlich 33’000 Euro im Jahr (54’200 Fr.)

Bei der SBB beginnt ein Lokführer hingegen bei 58’000 Fr. brutto. Der maximale Lohn beträgt 108’000 Franken.

Als absolute Werte sind diese Angaben aber nicht vergleichbar. Steuern und Sozialabzüge werden in den beiden Ländern unterschiedlich gehandhabt. Ausserdem sind die Lebenskosten in Deutschland günstiger.

Der Deutsche Bahn-Konzern hat 230’000 Mitarbeitende, davon 20’000 Lokführer.

Das Schienennetz umfasst 34’000 km.

Mit einem Umsatz von 30 Mrd. Euro ist die DB das grösste Eisenbahn-Unternehmen Europas. Weltweit gilt die DB als Nummer 2 in der Transport- und Logistikbranche.

Gewinnbringend sind der Personennahverkehr (subventioniert) und die Logistik. Defizitär sind Fern- und Güterverkehr.

Im Fall einer (Teil-)Privatisierung befürchten Politiker, dass private Investoren ihr Geld prioritär in die rentablen, da viel befahrenen Fernstrecken anlegen.

Der Regional- und Nahverkehr wird gegenwärtig vom Staat mit jährlich 7 Mrd. Euro subventioniert.

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